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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

gewesen; die Gemüter waren erregt, die Köpfe glühten. Der Name der schönen Isolde von Doßberg, der Gedanke an ihre blühende Schönheit fiel wie der zündende Funke in ein Pulverfaß. Man hob die gefüllten Gläser und brachte ein Hoch auf sie aus, man versuchte, sie zu schildern, der eine pries ihre Augen, ihr Haar, der andere ihre Gestalt, ihre Haltung. Oesterlitz sollte hierhin, dorthin hören, jeder wollte ihm ein Bild entwerfen, jeder dachte, es am besten zu thun.

„Gut,“ sagte er endlich und strich sich den Bart mit der Miene eines Mannes, der klar sieht, „daß ich sie kennenlernen muß, steht felsenfest. Aber was mir die Herren da von ‚schwierigen Verhältnissen‘ sagen, das sehe ich nicht recht ein. Der Baron – wie heißt er doch? Doßberg? – also Doßberg kann sich von seinem Gut nicht trennen, die Familie will nicht fort – also einfach: Kamerad Montrose heiratet die schöne Tochter des verschuldeten Barons, und die Sache ist bestens geordnet!“ Ein schallendes Gelächter aus allen Kehlen folgte diesem „einfachen“ Vorschlag.

„Hört, hört – Montrose als Ehemann!“ – „Sehen möcht’ ich ihn!“ – „Na, lieber nicht!“ – „Lacht doch den Kameraden nicht aus, wie soll er’s denn wissen!“ – „Zeno, Schlußwort! Erklären!“

„Ja – also! Ihnen, Kamerad, scheint das eine so einfache Sache zu sein, aber die Geschichte hat ihren Haken. Sehen Sie, wir alle, die wir hier sind, hegen bedeutende Gefühle für die schöne Ilse von Doßberg – ‚teils dieserhalb, teils außerdem‘, und längst hätte einer von uns diesen süßen Käfer eingefangen, nur leider – ’s ist so gar kein Goldkäfer, und dann hängt so viel drum und dran: verschuldetes Gut, komischer Vater, schwerkranke Mutter, Bruder zu erziehen – kurz, um da hineinzuheiraten, dazu gehört neben sehr viel Mut auch kolossal viel Geld, und die Zeiten für den Lieutenant sind schlecht! Ach, der verfluchte Mammon, ’s ist doch gleich, um –“

„Zeno, nicht abspringen, bei der Stange bleiben!“

„Nun ist der Kamerad Montrose zwar einer von uns, und unter Kameraden ist ja bekanntlich alles egal – aber zur Steuer der Wahrheit: einen größeren Don Juan als den Kameraden Montrose haben meine Augen noch nicht gesehen ... wessen sonst?“

Es folgte eine Art von Stille auf diese Frage, nur ein unterdrücktes Gemurmel, ein paar halblaute Ausrufe antworteten.

„Jeder Schürze rennt er nach, jedem Mädel sieht er unter den Hut – Grundsätze nicht die Spur, Gewissen nicht vorhanden! Sie werden seinen Ruhm verkünden hören, Kamerad Oesterlitz, ehe Sie drei Tage älter sind. Die Spatzen pfeifen’s hier schon auf allen Dächern, daher sag’ ich es Ihnen lieber zum voraus, damit –“

„Damit Sie Stellung nehmen!“ schob Mock schmunzelnd ein.

„Ganz recht, Mock, dank’ schön: damit Sie Stellung nehmen. Daß Montrose sich, sobald er die Perle der ‚Perle‘ sieht, Hals über Kopf in sie verliebt, steht ja bombenfest, ebenso fest aber, daß diese interessante Thatsache sich mindestens zum fünfhundertneunundneunzigstenmal in seinem ereignisreichen Dasein vollzieht. Und so, selbst wenn das Unerhörte geschähe und er die schöne Ilse in eheliche Fesseln schlagen wollte – sich selbst schlägt er im ganzen Leben nicht in Fesseln, und um sie wär’s ein Jammer. Kerle von solchem Kaliber wie Montrose, die müssen das Heiraten bleiben lassen!“

„Ja,“ sagte Oesterlitz nachdenklich und nahm aufs neue seinen Bart zwischen die Finger, „dann weiß ich nicht, wie der jungen Schönheit zu helfen ist. Schade! Wo kann man sie sehen?“

„Das ist nicht leicht zu machen! Neulich war sie hier im Städtchen und besuchte ihren Onkel, ’nen alten verrückten Seemann, der draußen in der Schiffstraße sitzt! Na, Mock, Sie wohnen ja dem Gasthof gegenüber, in dem sie immer absteigt, thun Sie doch ein gutes Werk und nehmen Sie den Kameraden Oesterlitz einmal ins Schlepptau!“

„Werd’ nicht ermangeln! Sollen Nachricht haben, Herr Kamerad, sollen ’was zu schauen bekommen! O Gott, diese Ilse von Doßberg! Haben uns alle zusammen gehütet, sie bis jetzt dem Kameraden Montrose zu zeigen. – Giebt’s noch ’nen Rest in der Bowle?“

„Hier, Mock! Zwei, drei Gläser wird’s noch absetzen! Bescheidenheit ziert den deutschen Soldaten!“

„Wenn ich vorhin eine Bemerkung recht verstanden habe,“ sagte Oesterlitz, der hartnäckig denselben Gedanken verfolgte, „so sind die beiden Kameraden, von denen ich so viel habe erzählen hören, heute nach dem fraglichen Gut hinausgefahren. Da wird der Kamerad Montrose wohl doch die besagte Schönheit, die Sie ihm bisher so geflissentlich unterschlagen haben, zu sehen bekommen!“

„Natürlich wird er! Kann es nicht hindern!“ Mock trank seelenruhig sein Glas aus, dann stand er auf. „Jetzt, Ihr Herren, zum Abbruch der Zelte blasen! Sammeln! Die Tante dort giebt nichts mehr her!“, Man schnallte die Säbel fest, schloß die Uniformen und stülpte die Mützen auf. Mock hing sich etwas schwer in des großen stattlichen Oesterlitz’ Arm. „Schlepptau, Kamerad!“ lachte er, mit den weinseligen Aeuglein blinzelnd.

„Versteht sich!“ gab der neue Kamerad zurück und steuerte mit seinem Begleiter dem Ausgang zu.

Das Säbelklappern verlor sich mehr und mehr und verhallte endlich in der Ferne. Die Ordonnanzen räumten die Tische ab, tranken die Reste aus den Weingläsern und stellten die Stühle in Ordnung. Dann lag der Garten wieder still da im warmen Abendsonnenschein.




8.

„Guten Tag, Philipp! Baroneß Ilse zu sprechen?“

„Jawohl, Herr Landrat. Ich sah das gnädige Fräulein soeben in den Garten gehen. Hier kommt auch schon Fink, er kann Sie hinführen.“

„Schön, Philipp. Kunze“ – das galt seinem Kutscher – „spannen Sie nicht aus, fahren Sie nur unter Dach und tränken Sie den Rappen nach einer Weile – ich bleibe heute nicht lange.“

„Sehr wohl, Herr Landrat!“

Fink näherte sich mit seiner gesetzten Bedientenmiene. „Der Herr Baron ist soeben ausgeritten, Herr Landrat!“

„Dacht’ ich mir, komme auch gar nicht zum Herrn Baron – können Sie mir sagen, Fink, welchen Weg Baroneß Ilse genommen hat?“

„Die Baroneß ging nach dem Dianatempel.“

„Gut – nein, nein, Sie brauchen mich nicht hinzuführen, ich finde mich schon zurecht.“

Als alter Freund des Hauses fand Landrat Melchior wirklich den Weg, der am Dianatempel mündete, einem hübschen altertümlichen Steinbau, vor dem die kurzgeschürzte Göttin samt ihrer Hirschkuh Wache hielt. Es war ein träumerisches reizvolles Fleckchen; blühende Akazien standen in Menge umher, die stille Luft war schwer vom Blütenduft, in Scharen schwärmten die Bienen um die reich herabhängenden Dolden. Die Sonne hatte schon allen Morgentau von Gras und Busch fortgetrunken – es wollte offenbar ein sehr heißer Tag werden.

Ilse saß mitten in dem kleinen Tempel auf einer rissigen grauen Steinbank und nähte an einem Kinderkleidchen. Die Baronin liebte es nicht, wenn ihre Tochter für die Dorfkinder arbeitete, aber Ilse hatte sich von Lina unterweisen lassen und that in aller Stille, soviel sie konnte, die Armut im Dorf zu mildern.

Der Landrat musterte das reizende Bild, das sich ihm bot, mit Wohlgefallen, mit rein künstlerischem Wohlgefallen und unverminderter Seelenruhe. Er war ein Mann in gesetzten Jahren, zufriedener Gatte und Familienvater, und selbst in seiner Jugend hatte er keine stürmische Leidenschaft gekannt. Daß er gern hübsche Mädchen und von allen Ilse von Doßberg am liebsten sah, verhehlte er weder sich noch andern – warum hätte er dies sollen?

„Morgen, Fräulein Ilse!“ rief er, nachdem er eine Weile den stillen Beobachter gespielt hatte.

Sie sah überrascht, aber nicht erschrocken auf und erhob sich rasch. „So früh, Herr Landrat? Guten Morgen! Hat Fink Ihnen nicht gesagt, daß Papa –“

„Doch, weiß alles. Ich komme zu Ihnen. Bleiben Sie da oben, ich setze mich neben Sie auf diese Bank von Stein! Ein behagliches Plätzchen! Wie stark die Akazien riechen und wie das Bienenvolk schwärmt!“

Sie hatten einander als alte Freunde, die sie waren, die Hand geschüttelt. Ilse ließ ihre Handarbeit in den Schoß sinken.

„Lieber Herr Landrat, es ist gewiß etwas Ernstes, was Sie in dieser Frühe zu mir führt.“

„Natürlich ist’s das, Kind! Die Zeiten sind ernst für Ihre Familie – da hilft nichts, das muß ausgehalten werden. Zunächst sagen Sie einmal: wie steht’s mit Papa, seitdem wir neulich zur Besichtigung da waren?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_114.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2020)