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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

  Burg Dankwarderode

Abtei Riddagshausen     

und schlank aufstrebende Giebel mit ihren zierlichen Fensterwölbungen und kunstvoll durchbrochenen Rosetten im Stil so gut mit der gegenüberliegenden ehrwürdigen Martinikirche harmonieren. Wer diesen wundervollen Platz, dessen Mitte ein mittelalterlicher Brunnen schmückt, betritt, ohne von den andachtsvollen Schauern einer schönheitstrunkenen Stimmung überrieselt zu werden, der ist für den göttlichen Funken, welcher in solcher „gefrorenen Musik“ liegt, nicht empfänglich und mag nur spornstreichs in das auf der andern Längsseite belegene uralte Wirtshaus zu den „Sieben Türmen“ gehen. um sich in ein ehrbares Bierbankgespräch zu vertiefen.

Eines der hervorragendsten Gebäude Braunschweigs, dessen Längsseite von den Gebäuden auf der vierten Seite des Altstadtmarkts verdeckt wird, ist das im Jahre 1590 erbaute Gewandhaus, ein sechs Stockwerke hoher Bau mit außerordentlich reich ausgestatteter Renaissance-Vorderseite. In demselben befand sich ehemals das Warenmagazin der Kaufmannsgilde, namentlich der Tuchhändler, die hier ihre Lagerräume hatten, ein beredtes Zeugnis für den Reichtum der Stadt, die es errichten ließ.

Da unsere Altvordern mit großer Lebensklugheit das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden wußten so ließen sie es nicht an Stätten ermangeln, wo man einen guten Tropfen trank. Während in den mächtigen Kellergewölben des Gewandhauses die gewaltigen Stückfässer lagerten, die mit dem edlen Rebenblut von den fernen, im Besitz des Rats befindlichen Weinbergen angefüllt waren, hatte man in einem kleinen Anbau zur Seite des Hauptgebäudes eine Weinstube eingerichtet, in welcher die vom nahen Rathaus kommenden Ratsherren und die Patrizier der Stadt eine preisliche Labung fanden. Die Stube war zwar so klein, daß wohl nur 20 Personen daselbst Platz finden konnten, aber da man damals auf langen Bänken an den Wänden zu sitzen pflegte und der Bürger weniger dem Wein und mehr der trefflichen Mumme und dem nicht minder beliebten Broyhan[1] nachging, so mag sie wohl für ihren Zweck ausgereicht haben. Später soll sie als Wachlokal benutzt worden sein. Heute aber ist sie – „stilvoll“ restauriert – ihrem ursprünglichen Zwecke zurückgegeben und mit der in den Kellerräumen befindlichen Weinhandlung verbunden, in der man nach Hauffschem Vorgange sich in gar liebliche Träume von dem einstigen Glanze und der Tüchtigkeit der „Guten alten Zeit“ versenken kann. Eine fidele Gesellschaft lebenskluger Zecher, die sich mit philosophischer Heiterkeit über des Lebens Unverstand hinwegzutäuschen weiß, ein Gegenstück zu dem bekannten Berliner Verein „Tunnel über der Spree“ und zur „Grünen Insel“ in Wien, hat hier ihren Stammsitz. Sie führt den originellen Namen „Die Kleiderseller“, nach den braunschweigischen Althändlern, und ihr weiser Nestor ist Wilhelm Raabe. –

Die Braunschweiger waren als Niedersachsen stets ein kräftiger,

wehrhafter und auf seine Tüchtigkeit trutzender Volksstamm,

  1. Eine Art Süßbier.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_125.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)