Seite:Die Gartenlaube (1894) 147.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


weißblühender Flieder sein Dolden schüttelte, traten die beiden jungen Herren, das Rollen des Wagens hatte sie herbeigezogen. Herr von Montrose hob zwei Finger an den Hutrand zum Gruß und ging dann auf das Wohnhaus zu, aus dessen Thür ihm ein behäbiger Herr in Stulpenstiefeln und Jagdrock geschäftig entgegenkam.

„Na, Gott sei gepriesen, daß Ihr da seid und uns die Aussicht bringt, aus diesem reizenden Idyll fortzukommen!“ rief Georges und lüftete einen halben Zoll hoch den Hut zur Begrüßung für Clémence. „Ihr seid unerlaubt lange weggeblieben, Du und Papa! Hier war es einfach zum Auswachsen. Ein dickes ältliches Ehepaar, zwei Jungen, die uns anglotzten wie die Oelgötzen, ein halbwüchsiges Mädel, braungebrannt wie ’ne Kaffeebohne, die Haare mit Stangenpomade nach rückwärts dressiert, saure Milch und Quarkkäse, Fliegen und junge Teckel in ungezählter Menge, kein weibliches Wesen zu erblicken, soweit das Auge, das trostlose, schweifte! Zuletzt flüchteten wir vor des Hausvaters wirtschaftlichen Fragen und dem Quarkkäse der Hausmutter in den Garten und spielten – kostet den Botho rund achtzehn Mark! Glück im Spiel, Unglück in der Liebe – das ist mein Los! So, Clémence, das wären unsere Thaten und Abenteuer – nun erzähl’ Du die Deinigen!“

Das Brautpaar hatte indessen seine Begrüßung ausgetauscht. Botho hatte den Handschuh von Clémence leicht mit den Lippen gestreift und ein paar Phrasen zum besten gegeben, seine Braut hatte sich aus dem halboffenen Wagenschlag gebeugt, ihm beide Arme um den Hals geschlungen und seinen dunklen Kopf zärtlich an sich gedrückt. Sie küßte ihn wiederholt, fuhr ihm schmeichelnd mit ihrem weichen Spitzentuch über Augen und Wangen und flüsterte allerlei Koseworte, die der glückliche Bräutigam mit der Miene eines Mannes ertrug, der eine übernommene Verpflichtung in ihrem vollen Umfang begreift und zu erledigen gedenkt.

„So laß doch den armen Kerl los, Kind, willst Du ihn denn bei sechsundzwanzig Grad im Schatten mit Deinen Küssen ersticken? Sag’ mir lieber etwas über unser künftiges Eigentum, diese berühmte ‚Perle‘!“

Clémence rückte ihr Hütchen zurecht, das sich bei der Umarmung verschoben hatte, und lehnte sich tief aufatmend in die Seidenpolster des Wagens zurück. „O, ich habe allerlei gesehen – ein altes stolzes Ritterschloß, sehr ausbesserungsbedürftig, aber es läßt sich viel daraus machen – Ahnengalerie, Stammbaum, Bankettsaal, alte feudale Erinnerungen auf Schritt und Tritt, Name und Wappen verherrlicht, wo nur immer möglich.“

„Schön, schön!“ unterbrach Georges sie ungeduldig. „Versteht sich aber alles ganz von selbst!“

„Dann auch noch etwas minder Selbstverständliches,“ fuhr Clémence langsam fort und sah den Bruder mit einem lächelnden Blick von unten herauf an, was ihren Augen etwas Lauerndes gab, „etwas für Dich, mein Lieber.“

„Ah! Etwas Weibliches?“ Er warf den Kopf hintenüber und richtete sich straff empor. „Wirklich? Beschreibe ’mal ein bißchen, Clémence!“

„Ein wunderschönes blondes Schloßfräulein.“

Blond? O weh! Im ganzen nicht mein Fall. Wenigstens goldblond?“

„Goldblond!“

„Hübsch gewachsen, was?“ Er warf mit einem Ruck das Monocle ins Auge, als sähe er die Betreffende schon vor sich.

„Tannengerade, sehr schlank.“

„Hm! Nicht allzu schlank?“

„Mir fällt ein,“ warf Botho dazwischen, „die Kameraden haben mir mehrfach von einer jungen Schönheit auf ‚Perle‘ erzählt – soll etwas Entzückendes sein.“

„So? Entzückend?“ Clémence runzelte die Stirne unter dem künstlich gekräuselten Haar, und ihre Augen zogen sich argwöhnisch zusammen. „Leute wie Du, mein lieber Botho, Leute, die eine Braut ihr eigen nennen, haben sich um andere Damen, gleichviel, ob hübsch, ob häßlich, gar nicht zu bekümmern!“

„Aber, aber, Liebchen!“ Der schöne Botho zog von neuem begütigend die behandschuhte Rechte seiner Braut an den Schnurrbart empor. „Ich berichte ja ganz unpersönlich, rein sachlich, was mir die Kameraden –“

„Die läßt man eben schwatzen!“ Sie war dnrchaus noch nicht besänftigt. „Könnt Ihr Offiziere denn von gar nichts anderem reden als von Karten und Damen?“

„Die Pferde nicht zu vergessen!“ fiel Georges ein. „Nein, wir können wirklich nicht, auf Ehre! Davon verstehen aber kleine Mädchen nichts. Wie musterhaft übrigens Dein Botho ist, beweist die Thatsache, daß er mir von besagter Goldblondine bisher noch kein Sterbenswort gesagt hat.“

„Na!“ brummte Jagemann zwischen den Zähnen und wirbelte sein glänzendes schwarzes Seidenbärtchen, „ich hab’s ja selbst erst vor ein paar Tagen gehört, und ich wußte doch auch, daß – na – daß Du augenblicklich anderweitig –“

„Mund halten! – Nun weiter, Clémence!“

„Ach, weiter nichts! Was ist da noch zu sagen? Eben ein hübsches Mädchen, das ist alles! Natürlich ein Benehmen wie eine Prinzessin von Geblüt, und Papa Zoll für Zoll Ritter ohne Furcht und Tadel – er ist wirklich manchmal komisch mit seiner überfrorenen Höflichkeit!“

„‚Ueberfroren‘ ist gut! Ich muß mir übrigens doch nächstens ’mal etwas in ‚Perle‘ zu schaffen machen, um mit eigenen Augen zu sehen – Damen haben ja bekanntlich über ihresgleichen kein Urteil! Auftrag von Papa oder so etwas; so ein kleiner Vorwand findet sich rasch, wenn man einen edlen Zweck im Auge hat. Ich reite vielleicht hinüber, was meinst Du, Botho – Distanzritt, Du auf dem ‚Standard‘, ich auf der ‚Prinzeß Cora‘?“

„Hast Du Deine ‚Prinzeß Nellie‘ jetzt plötzlich in ‚Cora‘ umgetauft?“

„Ja, warum nicht? Ist ‚Cora‘ nicht ein hübscher Name, was?“ Georges zwinkerte seinem künftigen Schwager lustig zu, dieser lachte verständnisinnig, während die Augen von Clémence unruhig und mißtrauisch vom einen zum andern gingen.

„Du kannst Botho bei dem Distanzritt zu Hause lassen!“ entschied sie. „Es bedarf übrigens gar keines Vorwandes für Dich, um da hinzukommen. Wie mir Papa unterwegs sagte, will er diesen Bettelbaron Doßberg ersuchen, seinen Administrator zu spielen und mitsamt seiner Familie im Verwalterhause auf ‚Perle‘ zu bleiben.“

Georges stieß einen Pfiff aus. „Das sieht wieder ’mal meinem unberechenbaren Herrn Vater ähnlich! Er hat wirklich ungesunde Ideen, obgleich die Sache auch wieder manches für sich hat! Man kann sich die fragliche Baroneß bequem in der Nähe besehen und den Leuten, wenn sie anfangen, unverschämt zu werden, den Daumen aufs Auge drücken. Na, Kind, Du scheinst mit der Geschichte keineswegs einverstanden zu sein. Mach’ ein anderes Gesicht, Clémence, die schmollende Miene steht den wenigsten Weibern. Und sieh nur, wie Dein armer Botho schon den Kopf hängen läßt, gleich der Blume, welcher der Sonnenschein ausgegangen ist! – Unserem geehrten Herrn Papa hat man offenbar im Gutshause gleichfalls saure Milch und Quarkkäse vorgesetzt, die Verhandlung dauert bedenklich lange!“

„Nein“ sagte Botho, der sich umgedreht hatte, um den Augen seiner Braut, die unausgesetzt an seinem Gesicht hingen, auszuweichen, „dort kommt er schon!“

Herr von Montrose erschien in der Hausthür, begleitet von dem behäbigen Inhaber des Gutes und einigen Teckeln, die seine Füße beschnupperten. Das runde rote Gesicht des dicken Landmannes strahlte wie ein Vollmond.

„Die sind einig!“ bemerkte Georges halblaut, während er dienstfertig für den näherkommenden Vater den Wagenschlag öffnete. „Papa scheint die ganze Gegend hier ankaufen zu wollen. Hm, hm! Was das wohl für ’n Loch in seine Finanzen reißt! – Willkommen, Papa! Alles zur Zufriedenheit erledigt?“

„Vollständig!“ Montrose reichte dem Oekonomen, der sich ehrerbietig verbeugte, die Hand zum Abschied und stieg in den Wagen. „Es ist alles nach Wunsch gegangen!“

Im Ton und in den Worten lag nichts Auffälliges, dennoch schauten die Drei, die im Wagen saßen, den Sprecher wie auf Verabredung erstaunt an. Er lehnte nicht wie sonst lässig in den Polstern, er saß aufrecht da, in elastischer Haltung, der ganze Mann sah aus, als habe er einen Verjüngungstrank genossen.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_147.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2020)