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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„So hast Du’s haben wollen!“ murmelte Herr Waze. „Ich hab’ gemeint, es wär’ genug an Deinem Vater ... und ich hätt’ Dich gehalten! Jetzt lieg’, wo Du liegst!“ Er wandte sich von der Mauer und ging der Freitreppe zu. Da trat ihm Henning in den Weg. „Ich will meinen Dank, Vater!“

„Verlang! Nur nicht mein Roß und meinen Stächlinbogen[1] oder den Weißfalk ... die drei Ding’ halt’ ich, so lang’ ich leb’.“

„Da wär’ ein jedes zu viel begehrt!“ sagte Henning mit seinem dünnen Lächeln. „Was ich will, kannst Du leichter geben: laß Dir den Falben satteln und reit’ hinaus übers Thal, der Ritt wird Dir wohlthun! Ich mein’, Du kannst den Kopf heben und leichter schnaufen ... jetzt, wo der eine weg ist, der denen da draußen beim Lokistein für Hundert gewogen hätt’!“

Herr Waze schlug die Hand auf Hennings Schulter. „Ja, Bub’, ich will reiten,“ lachte er, „und aufschnaufen! Der eine hat mir Sorgen gemacht – die anderen halt’ ich wie die Mäus’ im Sack!” Und einem Knecht, der aus den Ställen trat, rief er zu: „Den Falben!“ Dann ging er ins Haus, um sich für den Ritt zu kleiden.

Henning gab dem Knecht, der das Pförtlein geöffnet hatte, einen Wink; dann folgte er dem Vater. Der Knecht stieg auf die Mauer, und durch die Pfeilscharte einer Eckzinne spähte er hinunter nach dem Fischerwesen. Den Lugaus, die Hofreut und den freien Platz vor dem Hagthor sah er leer; den Ufersaum der Lände verdeckten ihm die Bäume.

(Fortsetzung folgt.)




Aus Ostfrieslands Hochmooren.

(Hierzu das Bild S. 153.)

Die norddeutsche Tiefebene wird im Westen von einer Niederung eingenommen, die, mit Moor-, Gras- und Heideland abwechselnd bedeckt, ehemals eine große zusammenhängende Wildnis gebildet haben mag, heute aber dank der eingedrungenen Kultur durch die eingeflochtenen Dorfschaften und Ackerfluren ihr einstiges Aussehen völlig verändert hat. Nur in seinem nordwestlichen Teile zwischen Ems und Jade hat das eigentümliche Land noch viele seiner alten charakteristischen Züge bewahrt, und wer heute Ostfriesland von Emden aus durchwandert, der wird in den bis an die Jade reichenden ostfriesischen Moorbezirken noch ganz urwüchsige Zustände treffen. Auf Meilenweite dehnt sich oft ebener Boden, der seine braunen melancholischen Flächen bis unter den Nebel des Horizonts ausbreitet, ein gleichmäßiges düsteres Torfland mit der einzigen Abwechslung üppig wuchernder Sumpfpflanzen, hochstaudiger Riedgräser, Binsen und des blütenreichen Schaumkrautes.

Die Dorfschaften sind in den Hochmooren Ostfrieslands nicht zahlreich, und was hier sonst noch die einzige Abwechslung giebt, das sind blinkende Wasserstreifen von Gräben und Kanälen, die sich wie Silberfäden durch den Grund des Landes ziehen, mit ihrem Graswuchs und ihren Schilfbüscheln „dat gräne Land“ genannt. Wie die Pioniere der Civilisation im Westen der Vereinigten Staaten mit der Eisenbahn vorgedrungen sind, so haben sich die Bewohner der westdeutschen Hochmoore den Boden mit ihrem Kanalbau unterthan gemacht. Freilich ist diese Kulturarbeit sehr einfacher Art gewesen. Um sich des natürlichen Reichtums des Moorlandes, des Torfes nämlich, zu bemächtigen, haben sie zunächst diese Kanäle in Abzweigungen von den Flüssen angelegt, und hierauf, um die Erde zu entwässern und sie für ihre geringen Bedürfnisse anbaufähig zu machen, diese Kanalanlagen in ein System gebracht, mit den Flüssen und damit mit der übrigen Welt verbunden. Der Torf spielt hier als ein von der Natur freigebig gespendetes Geschenk eine große Rolle. Mehr noch wie die Steinkohle in England ist er in diesen Moordistrikten für die Bewohner ein Gegenstand von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Er ist nicht nur der Brennstoff in allen Dörfern, das vorherrschende Baumaterial für die Stallungen und die für dieses Moorland charakteristischen „Hutten“, er glüht nicht nur unter den Kesseln der Lokomotiven auf den ostfriesischen Eisenbahnen, sondern er ist vor allen Dingen auch eine wichtige Handelsware und giebt der friesischen Hausindustrie vielfache Beschäftigung, indem er zu „Torfpapier“, „Torftapeten“ und anderen Torfartikeln verarbeitet wird. Ja zu noch wichtigeren Diensten sucht man neuerdings diese unerschöpflichen Torflager heranzuziehen, indem man die aufsaugende, bindende Kraft des merkwürdigen Materiales der Landwirtschaft zu nutze macht. Die getrockneten und dann durch Maschinen zu Fasern zerkleinerten Torfstücke liefern dem Landmann eine Stallstreu, welche dem bisher üblichen Stroh unvergleichlich überlegen ist und bei größeren Viehständen sowohl für die Gesundheit der Tiere als für die spätere Ausnutzung zu Düngerzwecken unberechenbare Vorteile gewährt.

Der Torfstich ist eine sehr alte Nutzanwendung des Moorbodens. Schon der Römer Plinius hat davon berichtet, und wenn er an einer Stelle seiner „Naturgeschichte“ sagt, daß die Chauken die „brennbare Erde“ ihres Landes, mit der „sie ihre Speisen kochten und ihren Leib wärmten, viel mehr mit Hilfe der Winde als der Sonne trockneten“, so ersehen wir daraus, daß die Art und Weise des Trocknenlassens der ausgehobenen Torfmassen, von der gleich die Rede sein wird, hier uralt ist.

Die Thätigkeit in den Mooren beginnt schon mit dem Schneeschmelzen im Frühjahr. Die Moorbewohner wandern dann hinaus von ihren Dörfern „wie die Hirten auf die Alm“ und beziehen ihre Sommerwohnungen, d. h. die „Hutten“, einfache mit niedrigem Strohdach gedeckte Torfgemäuer, welche in ihrem Innern nichts enthalten, was wir sonst mit der Vorstellung von einer menschenwürdigen Häuslichkeit zu verbinden pflegen. Die Arbeit besteht im Abbau der Kanäle. Mit strohumwundenen Füßen wird tief im Morast solange gegraben, bis die reife Torfschicht abgestochen ist. An den Seiten der Kanäle wird der Torfbrei ausgebreitet, zu sogenannten „Petten“ glattgetreten und der Luft zum Trocknen überlassen, nachdem mit Hilfe großer Messer die Zerteilung in kleine „Sohlen“ vorgenommen worden ist.

Wenn Luft und Sonne dieses Geschäft des Austrocknens besorgt haben, wird zur Ernte geschritten. Die Torfsohlen werden zu diesem Zweck nach den schiffbaren Kanälen zusammengetragen und hier ähnlich wie die Getreiderocken auf den Feldern zu hohen pyramidenförmigen „Ringeln“ aufgehäuft. Später werden dann in die Kanäle Kähne bugsiert, welche die Beförderung der braunen Ware nach den Sammelstellen in den Dörfern besorgen. Die Torfarbeit ernährt große Dörfer und Gehöfte, die auf dem abgebauten Moorgrunde entstanden sind und sich in einen ansprechenden Schmuck von schillernden Wiesen, Kornfeldern und Gehölzen zu kleiden verstanden haben.

Die meisten Moorkulturen sind in Ostfriesland sowohl wie auch in den Moordistrikten an beiden Ufern der Ems nach holländischem Muster angelegt. Dieses holländische System, welches am großartigsten in den östlichen Provinzen der Niederlande, in Groningen, Drenthe, Overyssel, zur Ausbildung gelangt ist, besteht der Hauptsache nach darin, daß von den Moorrändern oder von einem Fluße aus ein Kanal – neuerdings auch deren zwei nebeneinander – in das Moor hineingebaut und daß von diesem Hauptkannal wieder Seitenkanäle, sogenannte „Inwieken“ d. h. Einlenkungen rechtwinklig abgezweigt werden. Auf diesen Kanalläufen dringen Ansiedler mit Hacken und Spaten vor, tragen die oberen Moorschichten ab, gewinnen aus den tieferen Schichten den Torf und bereiten den dazwischen liegenden Boden durch Vermengung mit künstlichen Düngmitteln zur Ackererde vor. So haben die Holländer von den Ufern der Yssel aus ihre „Moorkolonien“ in das Land vorgeschoben und dadurch, daß sie diese Anfänge des Kanalnetzes weiter ausgedehnt und über die großen Provinzen Overyssel, Drenthe, Groningen und Friesland bis an die Nordseeufer weiter geführt haben, die ganze Gegend dem Ackerbau und der Viehzucht dienstbar gemacht. Die „Holländereien“, welche heute in gemächlichen Abständen auf diesen ehemaligen Sumpfflächen angelegt sind, gehören zu den reichsten und behäbigsten Bauernsitzen. Der Segen geht in diesen Fruchtländern hinter dem Pfluge, und große Herden des vorzüglichsten Zuchtviehes grasen auf den grünenden Weiden der einstigen Hochmoore.

Auch in unseren ostfriesischen Marken ist, und zwar seit Jahrhunderten, an der Moorbesiedlung gearbeitet worden. Papenburg, Aurich, Emden, Norden, Leer, die lustigen blühenden

  1. Stahlbogen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_155.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)