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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


vereinzelten Sonnenstrahl durchließ und in der heißesten Sommerzeit köstlich kühlen Schatten gewährte. Heute webte ein sanftes Halbdunkel um die knorrigen Stämme und Dämmerung umfing das einsame Mädchen, das jetzt lautlos über den weichen Waldboden schritt. Schauernde Andacht hatte Ilse schon als Kind gefühlt, wenn sie vor langen Jahren an des Vaters Hand in diesen Wald eingedrungen war. Baron Doßberg war glücklich, wenn er seinem kleinen Mädchen den Eichenforst zeigen konnte, auf den er unsagbar stolz war. Betrat er, sein Töchterchen an der Hand, diesen seinen geliebten Wald, dann flossen ihm die Ueberlieferungen seines Hauses gleichsam ungewollt von den Lippen, und er berichtete der lauschenden Kleinen davon, lange ehe ihr Verständnis seinen Erzählungen zu folgen vermochte. So knüpften sich für Ilse an diese Eichen Dinge, die wie halbverklungene Sagen, wie seltsame Märchen aus ferner, ferner Zeit zu ihr herüberschallten.

Nun hörte sie es wieder wie schon zu hundert Malen, das stolze Wipfelbrausen über ihrem Haupt, und gewahrte aufschauend das unablässige Regen der Blätter, das majestätische Wiegen der weit ausladenden Aeste. Hierher hatte sie Albrecht Kamphausen damals geführt, und der alte Eichwald, der Anblick des Meeres hatten ihm das Geheimnis seines Herzens entrissen, das er fürs erste noch hatte bewahren wollen.

Je näher man der See kam, um so mehr lichtete sich der Eichenbestand; nur vereinzelte Ausläufer der herrlichen Bäume standen hier noch gleich Vorposten verstreut. Der Wind wehte jetzt vom Meere her und hatte an Heftigkeit zugenommen. Ilse mußte fest ausschreiten und sich ein wenig vorneigen, um gut vorwärts zu kommen. In die Stimmen des Waldes mischte sich schon das Gebrause der See ... einmal war es dem jungen Mädchen, als habe sie das Schnauben eines Pferdes vernommen, aber das mußte Täuschung sein, Philipp war ja seit mehr als einer halben Stunde nach der entgegengesetzten Richtung verschwunden.

Ilse erstieg noch nicht die Stufen, die zu dem kleinen Ufertempel hinaufführten; von der Anhöhe, auf welcher sie stand, hatte man denselben Blick wie dort vom Belvedere. Gefesselt blieb das junge Mädchen neben einer schlank aufragenden Buche stehen. Blutrot hing der Sonnenball am Rand des Horizontes, bereit, ins Meer hinabzutauchen, das sich bleigrau dehnte; nur dort, wo die Sonne hinunterwollte, färbte sich das Wasser wie flüssiges Kupfer, und am Strande schäumten die Wellen weiß auf und warfen schneeigen Gischt bis in die Grasbüschel und kümmerlichen Gesträuche, die sich höher hinauf am Sande festgeklammert hatten. Die Brandung donnerte zornig, und unruhig fuhren die Möven drüber hin, ihren schrillen Schrei in den tiefen allgewaltigen Klagelaut des Meeres mischend. Tief auf atmete Ilse. Ihr Auge hing an dem Glutball da drüben der eben mit seinem äußersten Rande die Wasserfläche berührte. Wie sie es liebte, das weite Meer, das seine Heimat war! Ihr Fuß hob sich, um weiterzugehen, und ihre Hand griff in die Tasche des Kleides, um Albrechts Brief hervorzuziehen, als von dem nächsten Baum eine Gestalt sich loslöste und fürs erste stumm, den Hut in der Hand, mit ehrerbietigem Gruß auf sie zukam. (Fortsetzung folgt.)


Ein Welttyrann.

Ein Blick in die Schatzkammern der Erde.
Von W. Berdrow.

Nicht nur Bücher, auch andere Dinge „haben ihre Geschicke“. Das lehrt ganz besonders die Geschichte der Edelmetalle. Man könnte heute das verbreitetere unter ihnen das Silber, mit Recht eine gefallene Größe nennen, während das weit seltenere Gold mehr und mehr Aussicht hat, als unumschränkter von keinem Nebenbuhler mehr gestörter Alleinherrscher die Schicksale der ganzen Welt zu lenken.

Die Geschichte des Goldes ist so alt wie die Geschichte überhaupt. Schon in den Sagen der alten Kulturvölker spielt das unzerstörbare, blendende, von den Menschen so sehr geliebte gelbe Metall eine Rolle. Alt-Indien, Aegypten wußten Jahrtausende v. Chr. Geburt von gegrabenem und gewaschenem Golde; Nubien und Aethiopien, ja das sagenhafte dunkle Land der Hyperboräer wurden in den Gedanken der Alten durch den Glanz gelben Goldsandes verklärt.

Um den Gebrauch des Goldes und des in der Wertschätzung ihm stets zunächst stehenden Silbers war man nie verlegen. Schon die im Kunstgewerbe noch gänzlich unerfahrenen Völker des Jagd- und Nomadenzustandes haben sich gerne mit rohen Zieraten geschmückt, und was konnte zu solchen geeigneter befunden werden als das weiche leicht formbare und doch allen Einflüssen der Verwitterung trotzende funkelnde Gold? Die Goldschmiedekunst sehen wir schon im Altertum in hoher Blüte stehen, als Tauschmittel sind Goldkörner und -barren ebenfalls stets im Gebrauch gewesen, und wenn wir auch geprägte Goldmünzen erst aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. besitzen - und zwar griechischen und kleinasiatischen Ursprungs - so verlegt doch sichere Kunde den Beginn der Goldmünzenprägung in Aegypten mm mindestens 1000 Jahre weiter zurück.

Die Benutzung des Goldes als eines gemünzten Zahl- und Tauschmittels ist seitdem mit der vermehrten Goldgewinnung gewachsen, und diese Art der Verwendung spielt auch heutzutage in den Geschicken des roten Metalls eine entscheidende Rolle. wenngleich in dieser Hinsieht durch lange Jahrhunderte das Silber dem Golde an Bedeutung überlegen war. Oft hat sich überhaupt die Wertschätzung des Goldes dem Silber gegenüber verschoben. Vor 1400 bis 1500 Jahren schätzte man das Gold durchschnittlich auf den 12fsachen Wert des Silbers, seit 1890 galt das Silber nur noch halb soviel wie zu jener Zeit, dann ist es im Preise von Jahr zu Jahr weiter gesunken, und jetzt, nach den gewaltigen Kursstürzen welche es im letzten Jahre auszuhalten hatte, wird ein Pfund Silber annähernd 30 mal geringer geschätzt als das gleiche Gewicht Gold. und die jährliche Silbergewinnung der Erde, welche nach dem 1870 gültigen Silberpreise der Goldgewinnung an Wert gleichgekommen wäre. erreicht an Wirklichkeit nur noch die Hälfte derselben. Wie sich diese beispiellose Entwertung des Silbers allmählich vollzogen hat, ist nicht so leicht zu erklären. Die immer zunehmende Neigung aller Nationen, die Silberprägungen einzustellen oder doch das Silber nur als Scheidemünze für den kleinen Geldverkehr beizubehalten und im übrigen alle Zahlungen in Gold zu vermitteln (man nennt das „Goldwährung“), ist in den letzten zwanzig Jahren wohl die Hauptursache gewesen, welche den Wert des Goldes erhöhte und den des Silbers herabdrückte. Weiterhin aber war von wesentlichem Einfluß die jeweilige Höhe der Gold- und Silbererzeugung. So oft die Goldgewinnung. wie z. B. in den ersten fünfzig Jahren nach der Entdeckung Amerikas, im vorigen Jahrhundert nach der Erschließung der brasilianischen und in unserem durch die Ausbeutung der kalifornischen und australischen Goldfelder, den Silberertrag der Erde bedeutend überwog, sanken die Goldpreise und das Silber ward etwas höher geachtet, um in den dazwischen liegenden weit längeren Fristen seiner überwiegenden Gewinnung beständig wieder zu fallen. Beide Gründe aber reichen zur vollen Erklärung der Silberentwertung doch nicht aus; denn trotz der um sich greifenden Neigung zur Goldwährung ist bis jetzt noch nicht die Hälfte des seit der Entdeckung Amerikas überhaupt gewonnenen Goldes als Münze im Umlaufs, und in den letzten Jahrzehnten ist die sinkende Bewegung des Silbers von irgend welchen Verändernden in der Gewinnung überhaupt nicht mehr aufzuhalten gewesen. Der Preisfall ist so groß, daß die in allen Kulturstaaten im Umlauf befindliche Menge von Silbergeld[1] plötzlich auf die Hälfte ihres Wertes zusammenschmelzen würde, wenn man die Münzen nicht mehr als Prägegeld, hinter dem die Einzelstaaten mit ihrem Kredit stehen, sondern nur noch als einfache Metallbarren in Rechnung zöge.

Nun aber zurück zum Golde, zu seiner Gewinnung und

Verwertung und vor allem zu der wichtigen Frage, ob die bekannten

  1. Nach einer von dem Münzdirektor der Vereinigten Staaten von Nordamerika neuerdings ausgearbeiteten Tabelle beträgt die Gesamtsumme des in Umlauf stehenden Silbergeldes rund 16000 Millionen. die des Goldes 14000 Millionen Mark.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_176.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)