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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


behagen – ich kann einem leichtsinnigen Schlingel von Neffen die Leviten lesen und brauche ihm doch nicht die Schulden zu bezahlen, ich kann mir von einer niedlichen Nichte Herzenserlebnisse anvertrauen lassen und brauche sie dann doch nicht auszustatten – kurz, die Sache läßt sich hören!

In den zwanziger Jahren aber, wo man doch auch für sich selber Ansprüche macht, und keine kleinen, wo man ein ganz schmucker stattlicher Kerl ist, der sich im Ballsaal so gut zu drehen weiß wie ein anderer und besser als mancher andere – da ist es doch eine fatale Sache, wenn man da schon der Allerweltsonkel sein soll, und wenn da die jungen Damen schon mit einem so sehr schweichelhaften und ungefährlichen Vertrauen kommen: ‚Onkel, tanzen Sie doch den Kotillon mit mir – ich bin nicht engagiert‘ oder ‚Onkel, nicht wahr, Sie treten dem und jenem den Walzer ab, Ihnen ist es ja gleich!‘ – Na, die Zeit, in der man sich über dergleichen ärgert, ging auch hin, ich war so unversehens mitten in die Dreißig hineingeraten und fing schon an, mir in meiner Rolle ganz gut zu gefallen, um so mehr, da ich das Heiraten eigentlich von jeher verschworen hatte. Ich war als junger Dachs von neunzehn Jahren zu G .... in mein Regiment eingetreten und da geblieben – vom Sekonde- zum Premierlieutenant und jetzt schon zum Rittmeister aufgerückt – da kann man sich wohl denken, daß ich in der Stadt und den Familien der Gesellschaft bekannt war ‚wie ein bunter Hund‘, wie man zu sagen pflegt.

Namentlich in einem Hause ging ich aus und ein, als gehörte ich dazu; es war eine feine, behagliche Familie, meine Kameraden fanden sich dort auch gern und häufig ein. Der Hausherr war – na, sagen wir Präsident!

Die älteste Tochter dieses Hauses hatte ich schon, als sie noch Schulmädel war, an ihren dicken blonden Zöpfen gezogen, wenn sie ihre Weisheit im Ranzen nach Hause schleppte – und war ich damals für sie der ‚Onkel Karl‘ gewesen, so blieb ich’s nicht minder, als sie inzwischen vom Schulkind zum Backfischchen und vom Backfischchen zu einem allerliebsten Mädchen herangewachsen war. Ein bildhübsches Ding war es geworden und ein munteres dazu – ich hatte meine väterliche Freude daran, als es nun in die Gesellschaft eingeführt wurde und ich zusah, wie so manche meiner Kameraden sich die Flügel an diesen funkelnden dunkelblauen Augen verbrannten, wie aber das Persönchen so sicher, so unangefochten und triumphierend mit seiner hochgehaltenen kleinen Stumpfnase da hindurchschritt und gar nicht that, als merke sie das Unheil, das sie anrichtete.

Unter den Verehrern, die dies niedliche Mädel umschwärmten, war auch ein guter Freund von mir – wollen ihn Franz nennen! Ein netter Bursche, mit einem Schnurrbart wie ein ungarischer Reitersmann, und ein guter Kerl. Er hatte nur den einen Fehler – er konnte nie zu einem Entschluß kommen.

Na, daß einer beim Pferdekauf sich zwanzigmal besinnt und wieder besinnt und sich den Gaul immer noch ein letztes Mal ansieht und vorreiten läßt, das ist ja ganz gut und verständig. Denn so ein Pferdekauf ist doch immer eine wichtige Sache. Aber daß einer ein Jahr und darüber herumgehen läßt, ohne zu wissen, ob er ein Mädchen lieb genug hat, um sie zur Frau zu begehren – das ist mir doch unbegreiflich. Seht Ihr, wie gut es ist, daß ich mir das Unterbrechen von vornherein verbeten habe? Sonst wären jetzt schon alle Frauen und Mädchen mit Zetergeschrei über mich hergefallen – ob denn ein Pferdekauf wichtiger sei als eine Herzenssache – und ich hätte mich wenigstens zehn Minuten lang entschuldigen müssen: so hätte ich’s ja nicht gemeint, und dergleichen mehr, ehe ich mit meiner Geschichte weiter gekommen wäre.

Also kurz und gut – mein Franz war in dem Fall. Als wir beide nun wieder einmal so abends, in unsere Reitermäntel gehüllt bis an die Nasenspitzen, vom Ball nach Hause gingen, da seufzte er so erbärmlich, daß es einem Stein leid thun konnte. Ich hätte ja nun fragen können. ‚Was ist Dir denn?‘ hütete mich aber wohl, denn erstens wußte ich’s ganz genau und zweitens hab’ ich aus Grundsatz nie einen Verliebten um seinen Herzenskummer befragt. Die Sorte ist zum Sterben langweilig, wenn sie auf ihr Thema kommt, und hört nie wieder auf. Ich habe ’mal das Vergnügen gehabt, mit einem, der sich in diesem Fall befand, bis morgens um halb Fünf in den Straßen auf und ab zu gehen und mir von seiner Angebeteten vorschwärmen zu lassen – immer, wenn ich abschwenken und nach Hause gehen wollte, packte er mich am Rockknopf und drehte mich wieder um: ‚Ach, wenn Du sie so kenntest wie ich!‘ – Wie gesagt, bis um halb Fünf des Morgens, und um Sieben hatte ich Instruktion! Nein, darauf fiel ich nicht zum zweitenmal ’rein! Ich sagte also nichts – aber, o Schreck, er fing von selber an!

‚Karl!‘ seufzte er, ‚kannst Du Dir vorstellen, wie einem Menschen zu Mute ist, der nicht weiß, was er will?‘

‚Nein!‘ sagte ich – weiter nichts. Ich dachte, bin ich kurz, ist er’s am Ende auch.

Aber Gott bewähre! Er redete mindestens zwanzig Minuten lang auf mich ein, die – na, nennen wir sie Lisa! – wäre ja so reizend und er könnte kein lieberes und netteres Mädchen finden; aber ob sie auch wirklich so ganz zusammenstimmten und zusammenpaßten und ob sie nicht etwa bei näherer Bekanntschaft herausfänden, daß es nicht so wäre, und wenn man sich dann nun einmal gebunden hätte – und was weiß ich!

Zum Glücke hatte ich ihn, wie er so lebhaft wurde, schlau und unmerklich in meine Straße gebracht, und nun standen wir an meiner Hausthür. Ich steckte rasch den Schlüssel ins Schloß: ‚Franz,‘ sagte ich, ‚wenn Du jetzt in der Nacht um drei Uhr noch nicht weißt, was Du willst, so ist anzunehmen, daß Du es um vier Uhr auch noch nicht weißt – da werde ich inzwischen schlafen gehen!‘

Und weg war ich!

Aber die Geschichte ging mir doch im Kopf herum, um so mehr, als ich zu bemerken geglaubt hatte, daß Franz meiner kleinen Lisel nicht so ganz gleichgültig – zum mindesten derjenige aus ihrer Verehrerschar sei, der ihr am wenigsten gleichgültig wäre. Und noch etwas kam dazu. Seit einiger Zeit verkehrte ein sehr wohlhabender Gutsbesitzer mit unverkennbaren Absichten im Hause von Lisas Eltern. Ein greulich langweiliger Kerl, langsam und gemächlich in Gang und Sprache, dick und fett wie sein bestgenährter Preisochse – mich brachte er zur Verzweiflung. Wenn er in die Thür trat und mit seinem näselnden Organ anfing: ‚Einen schönen guten Morgen, meine Herrschaften, allerseits wohl?‘ so brauchte er zu dem Satze ungefähr soviel Zeit wie ein anderer, um ein Märchen aus ‚Tausend und eine Nacht‘ von Anfang bis zu Ende zu erzählen.

So urteilte ich und so urteilten die jungen Männer und jungen Mädchen seiner Bekanntschaft. Aber die Eltern der heiratsfähigen Töchter urteilten anders und thaten recht daran. Sie sahen in dem Langweiler den guten, anständigen Mann in glänzender Lage, und er hätte wohl überall anklopfen können, bei den Eltern und bei den meisten Töchtern, ohne einen Korb gewärtigen zu müssen. Bei den meisten Töchtern, – aber nicht bei allen – davon sollt’ ich mich überzeugen.

Es war kurz nach Weihnachten, ein klarer bissig kalter Wintertag – Schlittenbahn, wie sie nicht schöner sein kann – da fuhr ich mit meinem feinen Schlitten vor das Haus des Präsidenten und bat mir die Kinder, Fräulein Lisa eingeschlossen, zu einer Spazierfahrt aus. Das war wieder einmal ein Augenblick, wo mir meine Onkelrolle sehr zu statten kam, denn mir wurde unbedenklich zugestanden, was jedem anderen verweigert worden wäre.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_196.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2021)