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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Wunde tauchte. Während nun auch Wampo und die Knechte herbeigelaufen kamen, bethätigte Eberwein schweigend seine hilfreiche Kunst; als er mit dem Messer einen Knochensplitter aus der Wunde löste, streckte sich Hinzula stöhnend und schlug mit den Händen gegen den Arm des Arztes. „Halte sie fester!“ flüsterte Eberwein.

Schweiker fesselte mit raschem Griff die Hände des Mädchens, aber er wurde bleich bis in die Lippen, und nach einer Weile blickte er mit umflorten Augen zu Wampo auf: „Gieb mir einen Trunk Wasser, Bruder, mir ist übel!“

Wampo riß einem der Knechte die lederne Kappe vom Kopf und schöpfte Wasser, welches Schweiker in langen Zügen trank.

Als Wampo, um die Kappe von neuem zu füllen, sich wieder zum Wasser bückte, wurden seine Augen starr; er ließ die Kappe fallen, warf die Arme in die Höhe und schrie: „Herr Du Allmächtiger, ein Wunder! Der Teich, der gestern noch leer gewesen, hat Fisch’! Hat Fisch’!“ Lachend und schreiend sprang er in die seichte Flut und tappte mit beiden Händen nach den scheu durcheinander schießenden Hechten und Ferchen.

Da richtete sich Eberwein auf. „Bruder!“ rief er zornig. „Hier liegt ein armes Geschöpf in Not und Blut! Und Du ...?“ Sein zürnender Blick ergänzte, was seine Lippen verschwiegen. Bruder Wampo machte eine scheue Miene und stapfte aus dem Wasser. „Geh’ und bring’ einen Becher von unserem Meßwein!“

Wortlos schlich Wampo davon; auf halbem Weg schielte er über die Schulter zurück. „Sie kommen mir ja nimmer aus!“ murmelte er, rang das Wasser aus dem triefenden Saum der Kutte und begann zu laufen.

Pater Eberwein legte den Verband um Hinzulas Stirne; dabei erwachte die Hirtin aus ihrer Ohnmacht, und als sie den Pater und die fremden Gesichter der Knechte sah, wollte sie sich erheben. Schweiker aber hielt sie fest in seinen Armen. „Geh’, Kindl, schau’, thu’ Dich still halten – es ist Dir ja zum Guten, was geschieht.“ Sie blickte zu ihm auf, atmete tief und rührte sich nicht mehr. Ein sanfter Wind erwachte, in bläulichen Wölklein kräuselte sich der Nebel über den Berghang empor, die Sonne stieg und ihre Strahlen fielen mit hellem Glanz auf Schweiker und Hinzula. Bruder Wampo brachte den mit Wein gefüllten Becher; Eberwein setzte ihn an die Lippen der Hirtin und flößte ihr den stärkenden Trank bis auf den letzten Tropfen ein. Der Wein erquickte sie, ihre Augen bekamen Glanz, ihre Glieder Kraft, und von Schweiker gestützt, vermochte sie sich zu erheben. Zitternd stand sie, ihr Köpflein ruhte an Schweikers Brust, und der Anblick, den es bot, mußte Rührung erwecken.

„Wer bist Du, Mädchen?“ fragte Eberwein mit bewegter Stimme.

Sie starrte ihn an und wußte kein Wort zu finden. „Hinzula heißt sie,“ sagte Schweiker, „und ihr Vater ist der Greinwalder, der sell drüben über der Ache hauset.“

„Und sie ist die erste gewesen, die auf das Glöckl gehört hat,“ fiel Bruder Wampo eifrig ein, „die erste, die zu uns gekommen ist mit frommer Gab’. Aber sag’ nur, Bartele, sag’,“ wandte er sich an das Mädchen, „wie ist Dir denn das Unglück zugestoßen? Bist auf einen Stein gefallen?“

Auch Eberwein fragte; doch Hinzula stand schweigend, als hätte sie die Sprache verloren; ihre scheuen Blicke glitten über die fremden Gesichter und blieben mit stummer Bitte an Schweiker haften.

„So red’ doch, Kindl! Sag’, was willst denn?“

„Heim!“ lispelte sie.

„So komm nur, komm, ich führ’ Dich schon, wohl wohl!“

„Weißt Du den Hag ihres Vaters?“ fragte Eberwein den Bruder. „Ich hoffe nur, er liegt nicht weit … es ist noch schwach bestellt um ihre Kräfte.“

„Und läg’ das Haus einen Tag weit, ich bring’ das Kindl heim … so lang’ ich selber noch Füß’ hab’, kommt sie schon weiter, da brauchst Dich nicht zu sorgen, Herr! Komm nur, Hinzula, komm!“ Fester schlang er den Arm um die Hirtin und führte sie den Bäumen zu. Bis zum Waldsaum ging Eberwein mit ihnen, dem Bruder Auftrag gebend, welche Pflege Hinzula empfangen sollte. Zum Abschied drückte er die Hand der Hirtin und streichelte ihr Haar. „Gott mit Dir, mein Kind! Ich komme morgen und sehe nach Deiner Wunde.“

Als Eberwein die beiden nun verließ, flüsterte Schweiker dem Mädchen zu: „So sag’ ihm doch ein freundlich’s Wörtl!“

„Vergelt’s, guter Herre!“ rief Hinzula mit mattem Stimmlein. Eberwein blickte sich um und nickte ihr lächelnd zu.

Während Schweiker mit dem Mädchen im Wald verschwand und Eberwein zu den Zelten ging, sprang Bruder Wampo, als hätte er mit Sehnsucht diesen Augenblick erwartet, in flinker Eile zum Teich. Die Sonne lag über dem klaren Wasser und regungslos standen die Hechte und Ferchen auf dem seichten Grund. Die Aeuglein des Bruders glänzten, während er mit deutendem Finger die Fische zählte. Sorglich umschritt er den Teich, doch er fand keine Stelle, die den Fischen einen Fluchtweg geboten hätte. „Ich brauch’ keine Angst zu haben, sie können mir nimmer aus!“ Nun stand er und blinzelte vergnügt den größten und fettesten der Hechte an. „Du kommst morgen an die Reih’, zur heiligen Sonntagsfeier!“ Er legte die Hände hinter den Rücken, blickte mit hellen Augen hinaus in den leuchtenden Morgen und schmunzelte. „Heut’ gefallt mir die Gegend ein lützel besser! Ich mein’ doch, sie wär’ nicht gar so schiech!“ Eine Weile noch stand er und ließ sich die Sonne auf das Bäuchlein scheinen; dann eilte er, vergnügt die Hände reibend, zur Feuerstätte, um die Morgensuppe zu kochen. Bei der Klause erklangen schon die Rufe und Beilschläge der Knechte, welche über der hölzernen Mauer die Balken zum Dache schränkten.

Inzwischen hatte Schweiker mit Hinzula das Thal erreicht. Langsam und mühselig war die Wanderung durch den Wald gegangen; aber nun, da die Hirtin mit Schweiker allein war, hatte sie die Sprache gefunden und in stockenden Worten erzählt, daß es Henning gewesen, Wazemanns Aeltester, der sie blutig geschlagen im Zorn.

„Ja warum denn?“

„Ich weiß nicht. Er hat gesagt, weil Bannwald ist, wo ich geh’!“

Schweiker hob die geballte Faust. „Käm’ er mir nur in den Weg, ich wollt’ einen Bann legen um ihn her, daß er den Arm nimmer heben möcht’ zu einem Schlag!“

Scheu blickte Hinzula zu ihm auf und stammelte: „Laß Dich mit dem nicht ein, das ist ein Arger!“

„Ich fürcht’ ihn nicht! Und wenn er gleich hundertmal stärker wär’ und Macht hätt’ wie der Teufel … ich weiß schon einen, der mir hilft!“

„Wen meinst denn?“

„Schau’ hinauf, Kindl! Den mein’ ich, der sell droben hauset in der Himmelsburg, der für alle Guten die Hilf’ ist und für die Argen ein Schrecken!“

Hinzula hob das Gesichtlein und blickte mit großen Augen zum blauen Himmel auf; dabei übersah sie den Wurzelknorren, der den Pfad überquerte; sie strauchelte und wäre gestürzt, hätte Schweiker sie nicht aufgefangen in seinen Armen.

„Aber Kindl! Warum schaust denn nicht auf den Weg?“

„Hast ja gesagt, ich soll hinaufschauen zur Himmelsburg.“

„Freilich, freilich, aber man muß doch auch einen Blick auf die Erd’ hin haben.“

Als die Zwei das Ufer der Ache erreichten, schüttelte der Bruder bedenklich den Kopf. „Kindl, da hinüber tragen Dich Deine Füßlein nicht. Aber wart’, da wird gleich geholfen sein.“ Er bückte sich und hob die Hirtin auf seine Arme. Sie lächelte, umschlang seinen Hals und lehnte das Köpflein an seine Schulter. Schweiker stieg in das Wasser, und während die schießenden Wellen ihn umrauschten bis über die Knie, blickte er lachend zu dem Mädchen auf. „Jetzt mein’ ich aber schier, ich bin der Christophorus!“

„Wer ist denn das?“ fragte sie.

Da wurde er rot bis über die Ohren, denn er meinte nun doch im stillen, daß es nicht anginge, das Bartele mit dem Christuskinde zu vergleichen, welches Christophorus über den Strom getragen; und er selber war wohl auch noch weit davon entfernt, ein Heiliger zu sein. Als aber Hinzula ihre Frage wiederholte, mußte er Antwort geben, ob er wollte oder nicht. „Der Christophorus, weißt, das ist ein Heiliger … wohl wohl. Aber wie er noch ein Heid’ gewesen ist, da hat er einmal ein Kindl übers Wasser getragen und hat nicht gewußt, wen er auf seinen Armen hält; auf die Letzt aber hat er doch gemerkt, daß er sein Heil getragen und sein Himmelsbrot verdient hat.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_206.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2020)