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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Ruhla in Thüringen.

Zur Geschichte der Tabakspfeife.

Mit Zeichnungen von R. Starcke und R. Völkel.

Ein großer, wenn nicht der größere Teil des starken Geschlechtes nennt eine Freundin sein eigen, die ihm überaus wert und teuer, zuweilen sogar unentbehrlich, seine Zuflucht in trüben Stunden, sein Trost im Ungemach, die Quelle seiner stillen Freuden, kurz sein Alles ist. Freilich besteht diese Freundin, wie zur Beruhigung aller zur Eifersucht geneigten weiblichen Gemüter sofort bemerkt werden möge, keineswegs aus Fleisch und Blut, sondern ist entweder aus Thon, Gips, Holz, Porzellan, oder bei vornehmen Herren der Schöpfung aus jenem Stoffe, aus welchem dereinst Venus emporgestiegen ist, nämlich aus dem „Schaume des Meeres“ hergestellt. Allein dennoch atmet sie Glut und Leben und hält den Mann nicht selten so ganz und gar in ihrem Banne, daß er ohne sie nicht existieren zu können glaubt und ihr alles opfert.

Lessing z. B. war ihr so zugethan, daß er sich, wie seine Wirtschafterin einmal bezeugte, von morgens früh bis abends spät nicht von ihr trennte, und Nikolaus Lenau erklärte jedem, der es hören wollte: „Ich vermöchte keine Zeile zu schreiben ohne meine Tabakspfeife – denn sie ist die Freundin des Mannes, die wir meinen – im Munde zu haben.“ In demselben Sinne, nur mit anderen Worten, äußerte sich der vor zwei Jahren verstorbene englische Dichter Lord Alfred Tennyson. Tennyson und Tabakspfeife, das waren überhaupt zwei unzertrennliche Begriffe. Er liebte sie unendlich. Sie war alltäglich sein erster und letzter Gedanke und ihm besonders nach dem Essen unentbehrlich. Nur sie durfte ihn in sein Arbeitszimmer begleiten, und je mehr sie dampfte und glühte, desto beschwingter wurde sein Geist.

In die Geschichte eines so hervorragend wichtigen Gerätes einmal einen Blick zu werfen, verlohnt gewiß die Mühe, und wenn wir seinen Spuren auch bei den fremden Völkern nachgehen, so werden uns die merkwürdigsten Gebilde menschlicher Kunstfertigkeit und Erfindungsgabe vor Augen treten.

Als die Spanier unter Führung von Christoph Kolumbus zum erstenmal die Antillen besuchten, sahen sie dort zu ihrem größten Erstaunen Männer und Frauen Kräuter rauchen. „Es waren das,“ wie der Bericht des Entdeckers lautet, „trockene Kräuter, in ein gleichfalls trockenes breites Blatt eingewickelt; sie waren von der Art der kleinen Musketen, deren sich die spanischen Kinder an Pfingsten bedienen. Am einen Ende waren sie angezündet, am anderen Ende saugten die Leute und tranken gewissermaßen durch Einatmung den Rauch. Sie werden dadurch berauscht, sind aber offenbar vor Müdigkeit geschützt. Die Leute heißen diese Art kleiner Musketen tabacos.“

Neben anderen Dingen überreichten die Eingeborenen den Entdeckern diese getrockneten Blätter, die indessen den Spaniern höchst gleichgültig waren. Keiner von ihnen konnte ja ahnen, daß in vierhundert Jahren der Tabak ein Weltbeherrscher sein würde, daß eines Tages in den fünf Weltteilen alljährlich rund eine Milliarde Kilogramm dieser Blätter geerntet und deren Wert nach Hunderten von Millionen Mark geschätzt werden würde!

Kolumbus selbst, der ausgezogen war, um die königlichen Kassen Spaniens mit dem Gold Indiens zu füllen, dachte nicht im Traume daran, daß diese nichtigen Blätter, die er geringschätzig beiseite schob, dereinst von den ewig geldbedürftigen Staatsmännern in ungeahntem Maße ausgebeutet werden sollten, daß der Ertrag von Tabakzöllen, Tabakmonopolen und Tabaksteuern jahraus jahrein Millionen über Millionen einbringen würde!

Rauchrohr der Pampasindianer.

Die „tabacos“ der Antillenbewohner oder die „Cigarren“, wie wir heute die zusammengerollten Blätter nennen, blieben in der That eine geraume Zeit ohne Bedeutung für die Völker Europas. Die spanischen Ansiedler und Abenteurer in der Neuen Welt gewöhnten sich wohl zum Teil das Rauchen an, aber die „barbarische Sitte“ machte keine bedeutenderen Fortschritte. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts sah man auch Matrosen, die aus Amerika zurückkamen, in den europäischen Hafenstädten rauchen, aber man beeilte sich nicht, ihrem Beispiel zu folgen. Matthias de Lobel hat in einem im Jahre 1576 zu Antwerpen erschienenen Buche einen dieser ersten Cigarrenraucher in Europa verewigt. Ein Blick auf die getreue Wiedergabe jener Abbildung (S. 209 unten, Nr. 1) belehrt uns, daß es sich da um einen Riesenstummel handelte, eine trichterförmige Röhre, welche aus Palmenblättern oder Schilf verfertigt und mit zerschnittenen trockenen Tabakblättern gefüllt war. Wir wollen es dahingestellt sein lassen, ob dieser ehrwürdige Raucher vor dem alten Lobel dickthun wollte; so viel steht fest, daß man damals auch annehmbarere Cigarren kannte, die ungefähr Größe und Form einer Kerze hatten. Aber die Cigarre, die heute in der Welt eine so große Rolle spielt, war gar nicht dazu berufen, dem Tabak die Wege in der Alten Welt zu ebnen. Erst als die Tabakspfeife nach Europa gebracht wurde, trat mit einemmal das duftende Kraut seinen stürmischen Siegeslauf um das Erdenrund an.

Im Laufe der Zeit lernten die Europäer in Amerika verschiedene Arten des Tabakrauchens kennen. In Mexiko bedienten sich die Azteken eigenartiger Rauchrohre, über deren Herstellung der Franziskanermönch Bernardino de Sahagun Folgendes berichtet:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_208.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)