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Blätter und Blüten

Zum sechzigjährigen Geburtstag von Emil Rittershaus. (Mit dem Bildnis S. 201.) Ein Dichter voll gesunder Kraft, voll volkstümlicher Frische der Empfindung ist es, der am 3. April zu Barmen seinen sechzigsten Geburtstag feiert. Nicht vielen ist es vergönnt, auf ein so harmonisches Leben zurückzuschauen wie Emil Rittershaus. Freilich hat auch ihm das Schicksal die Erfüllung manchen Wunsches versagt; vor allem hätte er gerne studiert, und zwar Naturwissenschaften, aber die Vermögensverhältnisse des Vaters ließen diesen Lieblingsgedanken seines einzigen Kindes nicht zur Ausführung kommen. Da zeigte sich denn die innere Tüchtigkeit, die in dieser Natur steckt: Rittershaus versank nicht in weichliche Träumereien über verfehlten Beruf, sondern griff herzhaft die Aufgabe an, die ihm als Kaufmann gestellt war, und indem er die Pflicht mit der Neigung zur Poesie zu vereinigen wußte, gedieh ihm beides, seine tägliche Arbeit und die dichterische Frucht seiner Mußestunden. Ja vielleicht verdankt er das, was er als Dichter geworden ist, nicht zuletzt seiner Stellung mitten im praktischen Leben, die ihm das Verständnis für die Bedürfnisse seiner Zeit und seines Volkes, das herzliche Empfinden für alle Not, den Sinn für das Einfache und Schlichte stets wach erhielt und mehrte. Was Rittershaus durch sein Lied gewirkt und geschaffen hat, das brauchen wir nicht erst zu erweisen durch Aufzählung seiner Dichtungen, von denen das erste Bändchen vor nun bald 40 Jahren, 1855, erschien. Unsere Leser haben in der „Gartenlaube“ Jahr um Jahr an dem Besten sich erfreut, was die Muse des rheinischen Sängers spendete, von jenem erschütternden Ruf an: „Zu Hilfe!“, mit dem die „Gartenlaube“ 1866 ihre Sammlung für die Opfer des Krieges eröffnete, bis zu dem heutigen Gedicht „Aus meinem Leben“, in dem Rittershaus voll rührender Innigkeit den Todestag seines Vaters schildert, der am 3. März 1885 starb. So dürfen wir denn gewiß sein, daß alle unsere Leser von Herzen sich den Glückwünschen anschließen, die wir dem Dichter zu seinem sechzigsten Geburtstag darbringen. Möge es ihm vergönnt sein, noch lange Jahre in rüstiger Schaffensfreude aus dem frischen Borne der Lieder zu schöpfen!

Eine zweideutige Tierfreundschaft. (Zu dem Bilde S. 205.) Der Prairiehund, dessen „Dörfern“ wir einen Besuch abstatten, ist ein Verwandter des Murmeltieres – die ersten Trapper, welche die nordamerikanischen Prairien betraten, nannten ihn „Prairiehund“, da er ähnlich wie ein Hündchen bellt und kläfft; sonst hat dieses Geschöpf mit dem Hunde nichts gemein. Die Naturforscher stellen es in die Ordnung der Nager und in die Familie der Hörnchen.

Der Prairiehund wird nicht viel größer als unser Eichhörnchen, auf der Oberseite ist er licht rötlichbraun, an der Unterseite schmutzig weiß gefärbt, seine äußere Erscheinung ist auf unserem Bilde von Meister F. Specht naturgetreu wiedergegeben. Die baumlose Steppe, die echte Prairie ist seine Heimat. Hier siedelt sich das muntere und aufgeweckte Tier in großen Gesellschaften an. Wo es sich niedergelassen hat, dort sieht man die Prairie wie mit Maulwurfshügeln besät, nur daß diese Hügel bedeutend größer sind und jeder aus einer guten Karrenladung Erde besteht, welche die Tiere beim Bau ihrer unterirdischen Wohnungen ans Tageslicht gefördert haben. Diese Hügel können als Häuser gelten, in denen eine oder zwei Familien wohnen; sie stehen bald dichter beisammen, bald weiter voneinander, in der Regel mag die Entfernung fünf bis sechs Meter betragen; dazwischen sehen wir festgetretene Pfade, die von einem Loch zum andern, von Haus zu Haus führen; oft bedecken solche Hügelgruppen mehrere Morgen Landes. Kein Wunder also, daß die ersten Wanderer in den Prairien diesen Ansiedlungen den Namen „Dörfer“ beigelegt haben!

In diesen Gemeinden herrscht stets ein reges Treiben und ein geselliger Geist; die Nachbarn besuchen sich fortwährend und kläffen und bellen, so lange die schöne Jahreszeit dauert; denn bei Wintersanfang verstopfen diese Dörfler ihre Hausthüren und halten einen halben Winterschlaf. Es ist aber nicht so leicht, das Leben und Treiben dieser kleinen Gesellen zu belauschen, denn sie sind scheu und stellen Wachtposten auf, die von den Zinnen ihrer Burgen herab die Gegend mustern und ihre Mitbürger durch Bellen vor jeder nahenden Gefahr warnen. Prairiewölfe, Füchse, Geier und – Menschen zählen bei ihnen immer zu den gefährlichen Erscheinungen; während sie früher wohlgemut zwischen den Hufen der Büffel hin und her huschten und heute sich dicht an Eisenbahnlinien anbauen, da sie wohl wissen, daß das schnaubende Dampfroß rauch- und dampfspeiend vorübereilt, ohne sich um sie zu bekümmern.

An diese Prairiehunde nun knüpft sich die Sage von einer eigenartigen Freundschaft, die sie mit zwei erbitterten Feinden aller Nager halten sollen.

Trapper wußten davon zu erzählen, daß die Prairiehunde mit Erdeulen und Klapperschlangen auf einem befreundeten Fuße leben. Man war vielfach geneigt, diese Berichte für amerikanisches Jägerlatein zu halten, aber als der bekannte Dichter und Schriftsteller Washington Irving im Jahre 1832 die Prairien besuchte, mußte er die Thatsache bestätigen. In seinem hinreißend geschriebenen Buche „Ein Ausflug in die Prairien“, welches der Welt die Poesie der amerikanischen Steppe zum erstenmal enthüllte, schrieb er:

„Die Prairiehunde sind aber nicht die einzigen Bewohner dieser Dörfer. Eulen und Klapperschlangen sollen unter ihnen hausen, ob aber als geladene oder als zudringliche Gäste, darüber ist man nicht einig. Die Eulen sind von besonderer Art, sehen lebendiger aus, sind hochbeiniger, fliegen rascher als die gewöhnlichen und am hellen Tage. Nach einigen bewohnen sie nur die verfallenen Höhlen der Prairiehunde, welche von letzteren verlassen worden sind, weil ihnen ein Verwandter darin gestorben ist; es soll dem Gefühle dieser sonderbaren kleinen Geschöpfe zuwiderlaufen, an einem Orte zu bleiben, wo sie einen der Ihrigen verloren haben. Andere behaupten, die Eule sei eine Art Haushälterin beim Prairiehund, und da ihr Geschrei fast ganz so klingt wie das seinige, so meint man sogar, sie lehre die Jungen bellen und versehe so das Amt des Hauslehrers. Was die Klapperschlange betrifft, so konnten wir nichts Bestimmtes darüber erfahren, welche Rolle sie im Haushalte der kleinen Gemeinde spielt. Manche erklären sie geradezu für einen Schelm und Verräter und behaupten, sie nehme schnöderweise die braven, leichtgläubigen Prairiehunde zu sich, und daraus, daß man hin und wieder ein junges Mitglied der Gemeinde in ihrem Magen findet, geht sattsam hervor, daß sie sich insgeheim nach etwas Besserem als Aschenbrödelkost umsieht.“

Etwas anderes können heute nach sechzig Jahren die Naturforscher nicht aussagen. Einige meinen, daß an ein friedliches Zusammenleben der drei Bewohner nicht gedacht werden könne. Dr. O. Finsch erklärte dagegen auf eine Anfrage Brehms: „Jeder, welcher mit der Prairie und ihren Bewohnern vertraut ist – und ich erkundigte mich bei sehr verschiedenen durchaus glaubwürdigen Männern – weiß, daß Prairiehunde, Erd- oder Prairieeulen und Klapperschlangen friedlich in einem und demselben Baue beisammenleben. Ausstopfer im fernen Westen wählen das Kleeblatt mit Vorliebe als Vorwurf zu einer Tiergruppe, welche unter dem Namen ‚Die glückliche Familie‘ bei Ausländern nicht wenig Verwunderung erregt. Da ich in die Aussagen meiner Gewährsmänner nicht den leisesten Zweifel setze, stehe ich keinen Augenblick an, dieselben als wahr anzunehmen.“

Diese Erklärung braucht nicht als ein vollgültiger Beweis angesehen zu werden. Viele der sogenannten „Tierfreundschaften“ haben sich infolge genauerer Beobachtung als ein Zusammenleben von Tieren erwiesen, bei dem die Freundschaft nicht weit her ist und bei dem das schwächere Tier zwar seinen Vorteil wahrnimmt, aber stets auf der Hut vor dem stärkeren ist. Die Freundschaft zwischen dem Prairiehund, der Erdeule und der Klapperschlange harrt sonach noch einer annehmbaren Erklärung; vielleicht ist einer der Gartenlaubeleser in den Prairien des fernen Westens in der Lage, uns über diese rätselhafte Erscheinung eine bessere Auskunft zu geben. Auch hat, soviel wir wissen, die Leitung des Berliner Zoologischen Gartens die Absicht, dem Wesen dieser vielumstrittenen Tierfreundschaft durch besondere Versuche auf die Spur zu kommen. *     

Tätowierte Lords. Die Sitte der Südseeinsulaner, sich zu tätowieren, hat zunächst bei den Matrosen Eingang gefunden; jetzt aber ist sie auch in höhere Kreise des meerbeherrschenden Albions gedrungen und besonders durch den Herzog von York, den Sohn des Prinzen von Wales, Mode geworden; derselbe hat seine Oberarme mit künstlichen Wappen und Flaggen bedeckt. Es giebt in London einen Professor Williams, der in dieser Malerei Meister ist und für jede derartige künstlerische Verschönerung 50 Pfund Sterling erhält. Auch noch andere englische Prinzen sowie der russische Großfürst Alexei sind tätowiert. Das Beispiel der Prinzen findet natürlich Nachahmung im Hause der Lords und viele derselben tragen jetzt ihre Wappen sowie Adelskronen mit den Anfangsbuchstaben ihrer Namen mit sich herum und können so mit den Fidschiinsulanern und anderen Bewohnern des Südseearchipels wetteifern, nur daß diese in der glücklicheren Lage sind, ungehindert Himmel und Erde und dem versammelten Kriegsvolk die Verzierungen zeigen zu können, mit denen sie ihr „sterblich Teil“ verschönt haben. †     

Russische Grenzpatrouille. (Zu dem Bilde S. 217.) Der Zollkrieg mit Rußland und die Verhandlungen über den russischen Handelsvertrag haben in letzter Zeit in besonderem Maß die Aufmerksamkeit auf jene Grenze gelenkt, welche Deutschland vom Reiche des Zaren trennt. Diese Grenze stellt sich äußerlich dar in einem neutralen Weg, welcher die Grenzstationen und Grenzpfähle miteinander verbindet. Auf deutscher Seite wird die Bewachung dieser Linie durch Grenzaufseher und Gendarmerie bewirkt, Rußland aber hat zu demselben Zweck eine ganze kleine Armee herangezogen. In geringen Entfernungen voneinander stehen die russischen Posten, und in entsprechenden Zwischenräumen liegen Grenzwachthäuser, in denen ein Kapitän oder Wachtmeister mit etwa dreißig Mann, darunter sechs bis acht Berittene, stationiert ist. Patrouillen sorgen für Aufrechthaltung des geordneten Dienstes, nötigenfalls auch für Verstärkung der Posten, wenn diese mit den ungemein waghalsigen Schmugglerbanden nicht allein fertig werden. Unser Bild zeigt uns eine solche Grenzpatrouille, von einem Offizier geführt. Haltung und Ausdruck dieser Leute lassen darauf schließen, daß sie ihren Dienst keineswegs als eine Annehmlichkeit betrachten, und in der That ist das Leben für Offiziere und Soldaten äußerst öde und einförmig, das sechs Jahre lang zu ertragen – auf diese Dauer sind gewöhnlich die Abkommandierungen zum Grenzdienst bemessen – keine leichte Aufgabe ist.


Inhalt: Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (12. Fortsetzung). S. 201. – Emil Rittershaus. Bildnis. S 201. – Tierfreundschaft in der Prairie. Bild. S. 205. – Zur Geschichte der Tabakspfeife. S. 208. Mit Abbildungen S. 208, 209, 210, 211, 212, 213 und 214. – Aus meinem Leben. Gedicht von Emil Rittershaus. S. 215. – Die Perle. Roman von Marie Bernhard (12. Fortsetzung). S. 215. – Russische Grenzpatrouille. Bild. S. 217. – Behandlung der Diphtherie mit Citronensäure. Von C. Falkenhorst. S. 219. – Blätter und Blüten: Zum sechzigjährigen Geburtstag von Emil Rittershaus. S. 220. (Mit dem Bildnis S. 201) – Eine zweideutige Tierfreundschaft. S. 220. (Zu dem Bilde S. 205.) – Tätowierte Lords. S. 220. – Russische Grenzpatrouille. S. 220. (Zu dem Bilde S. 217.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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