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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Selbstverständlich hat die Uebertreibung, die mit allem Neugefundenen zusammenzuhängen pflegt, auch in Bezug auf Abbazia ihr Wesen getrieben. Die Orangengärten, die in den meisten Berichten ihre unvermeidliche Rolle spielen, wird man mit der schärfsten Brille nirgends zu erspähen vermögen. Der Citronenbaum dagegen kommt noch ungeschützt vor, und selbst der Johannisbrotbaum erscheint in nächster Nähe, als nördlichster Vertreter seiner Sippe. Unwahrheiten, welche auf der Absicht der Täuschung oder auch auf Selbsttäuschung beruhen, bewirken meist das Gegenteil von dem, was von ihnen erhofft wird. Darum wird man gut thun, gewisse Ueberschwenglichkeiten abzulehnen und sich zu vergegenwärtigen, daß man sich nur um zwei und nicht um fünfzehn oder zwanzig Breitegrade südlicher als Innsbruck oder Graz befindet. Der Winter liefert (wie dies übrigens in ganz Italien der Fall ist) dem vordringenden Frühling nicht selten noch das eine und andere höchst unwillkommene und unvorhergesehene Rückzugsgefecht – ganz im Stile der Riviera.

Wenn unter ähnlichen klimatischen Verhältnissen, wie sie etwa Gries bei Bozen oder Gardone-Riviera am Gardasee bieten, Abbazia immerhin an Zuspruch gewinnt und mit einer jedes Jahr sich steigernden Vorliebe aufgesucht wird, so muß man das vornehmlich dem Meere zuschreiben. Und dies nicht nur deshalb, weil es dem Auge so viel bietet, sondern auch wegen des Salzhauches, wegen der Brandung, die eine natürliche Inhalationsvorrichtung darstellt, wegen der mannigfachen Anregung, die von dem Treiben auf dem Wasser ausgeht, wegen der zerstreuenden Wirkung, die dem Spiel der Wellen zukommt.

Und hiermit berühren wir den vornehmsten Schatz von Abbazia. Das ist der Strandweg. Er ist das Ideal eines staublosen Weges. Nur Fußgänger können ihn benutzen. Er zieht sich in einer Länge von etwa fünf Kilometern hart am Ufer hin. An vielen Stellen hat man ihn durch Sprengen den Felsen abgewinnen müssen. Der dichte Pflanzenwuchs auf der einen, das Geflüster der Wellen und der hin und her rollenden Kiesel auf der anderen Seite reden den einsamen Wanderer in einer eigentümlichen Sprache an. Man denkt dabei an jene Verse im „Fegefeuer“ von Dante:

„So klingt’s, wenn Zweig um Zweige sich bewegen
Im Pinienwalde an Chiassis Meergestad’,
Sobald sich des Scirocco Schwingen regen.“

Dieser Weg heißt zu Ehren des eingangs erwähnten verdienstvollen Mannes „Friedrich Schüler-Strandweg“. Es sei durch diese Bemerkung dem abfälligen Urteil jenes Ungarn entgegengetreten, welcher beim Anblick der betreffenden Wegtafel höhnisch meinte, die „dummen Schwaben“ wüßten nicht einmal den Namen ihres größten Dichters orthographisch zu schreiben.

Wer es versteht, sich mit dem Meere zu beschäftigen – ein Verständnis, welches übrigens nicht jeder ohne weiteres mitbringt – kann da, in eine der kleinen Buchtungen zwischen den Klippen hinabsteigend, manche Stunde auf eine Weise hinbringen, die ihn reichlich entschädigt für vieles andere, was an belebteren binnenländischen Kurorten zu sehen ist.

Schon der wechselnden Beleuchtung wegen ist das Meer, ein ewig sich verändernder Spiegel, für den Beobachter ein Gegenstand unerschöpflicher Anregung. Nach einem Scirocco findet sich da auch Gelegenheit, Einblicke in die Wunderwelt des niederen Tierlebens der See zu gewinnen. Abgerissene Aeste vielstrahliger Sternkorallen schauen aus dem angeschwemmten Seegras heraus. Auf smaragdgrünen Polstern liegt die echte Seedattel, auf Sand, der von den winzigen Bruchstücken zerschmetterter Muschelschalen glitzert, der Feigenwulst einer lichtgrünen Actinie. Wo eine Süßwasserquelle aus einer Felsenritze ins Meer hinein vorbricht, halten sich gern Fische auf. Hier haftet auf dem Felsen eine von der Brandung ausgeworfene Hutqualle. Als sie sich, einem aufgespannten Schirme gleich, durch das Wasser dahintrieb, schillerte sie in Seidenglanz, jetzt, ihrem Element entrissen, hängt sie da, ein sulzartiger Fetzen. Wieder an anderer Stelle kleben die kleinen einschaligen Muscheln, „Patelle“ genannt. Sie sitzen so fest am Felsen, daß man sie mittels eines Messers nur mühsam losbringt. Die ansprühende Traufe hält sie am Leben. Bei diesem Anblick mag man sich eines Volksliedes dieser Küste erinnern, in dem es heißt:

„Träumt der rauhe Fels, ihn küß’ die Welle,
Schlägt mit Inbrunst dran die weiche Meerflut.
Nicht die fremden Felsen liebt die Welle,
Deckt die Kinder nur vor heißen Strahlen,
Helle Muscheln, eingeborne Kinder.“

Am südlichen Ufer fortschreitend hat man zur Rechten meist Oelwälder, hier und dort deuten hohe dunkle Cypressen ein Landhaus an. Ungefähr dort, wo eine bescheidene Schenke auf einem ins Meer vorspringenden Felsen steht, thut sich ein Blick auf, den man fast mit einer Aussicht am Gestade von Sorrent vergleichen könnte. Ueberhaupt läßt sich sagen, daß, vom landschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, die Lage von Abbazia nicht gerade die günstigste an diesem Küstenstriche ist. Unzweifelhaft schöner ist die des sechs Kilometer weiter südlichen Lovrana. Wie erwähnt, mußte jedoch die den Vätern der ehemaligen Abtei zuzuschreibende treffliche Erhaltung des Lorbeerwaldes bei der Auswahl den Ausschlag geben. Schon jetzt macht sich indessen das Bestreben geltend, die Ansiedlung von Abbazia nach jener südlichen Richtung hin auszudehnen, und in Lovrana selbst ist bereits eine vielbesuchte Gaststätte entstanden. Am Wege nach Lovrana liegt auch das kühn am Felsgestade klebende Dörfchen Ika mit seiner hübschen Hafenstraße.

Bei einer Küstengestaltung, die zwischen dem Abfall des Gebirges und dem Meere nur einen sehr schmalen Streifen flachen Landes übrig läßt, ist es begreiflich, daß sich die Gäste die vor ihnen ausgebreitete blaue Wasserfläche zum vornehmsten Tummelplatze ihrer Ausflüge ersehen. In der That nimmt man wahr, daß schon nach wenigen Tagen, wenn die Uferstrecke einigemal flüchtig abgegangen worden ist, entweder die Unruhe, welche die modernen Reisenden kennzeichnet, oder die Wißbegierde oder der Drang, vom Deck eines Dampfers aus Meerluft einzuatmen, die Ankömmlinge veranlaßt, den gegenüberliegenden Küstenstrichen und Inseln einen Besuch abzustatten. Zunächst kommt die Stadt Fiume dran, in deren Hafen man jedes einzelne Schiff von Abbazia aus mit freiem Auge unterscheiden kann. Von Fiume aus führt auch ein schöner Fahrweg am Meere entlang über das malerische, terrassenförmig sich aufbauende Volosca nach Abbazia.

Sodann wendet man sich dem hammerförmigen Fjord von Buccari zu (die Enge, durch welche derselbe mit dem offenen Meere in Verbindung steht, bildet den Stiel des Hammers) und befindet sich alsbald in einer der seltsamsten Landschaften des Mittelmeergebietes. Die Umrandung dieser Bucht, die in ihrer scheinbar vollständigen Abschließung vom Meere einem Bergsee ähnlich ist, sucht an Wildheit ihresgleichen.

Bände ließen sich schreiben über die Schaustücke, welche weiterhin die kroatische Küste, dann die Inseln Veglia, Cherso darbieten. Es ist uns nicht der Raum hierzu gegeben. Doch sei noch eines merkwürdigen Verhältnisses gedacht, welches sonst im ganzen Süden nicht wieder vorkommt.

In vierzehnhundert Meter Höhe gerade über Abbazia steigt der Monte Maggiore, der bis nahe an seine höchste Kuppe hin bewaldet ist. Vierhundert Meter unter seinem Gipfel steht an der Straße, die über den Paß nach dem westlichen Istrien führt, ein trefflich bewirtschaftetes Schutzhaus. Sowohl in der Nähe dieses Hauses, als auch anderweitig auf gleicher Höhe, lehnen sich an den Berg buchenbeschattete Halden an, Flächen mit Quellen, kühlen Lüften und wundervoller Fernsicht über Land und Meer. Eine Zahnradbahn, welche von einer dieser Hochflächen an das Meer hinuntergeführt wäre, würde es ermöglichen, in einer halben Stunde die Entfernung zurückzulegen. Es wäre also die Möglichkeit gegeben, sich in der frischen Luft eines sogenannten Höhenortes aufzuhalten, dort im Walde oder auf Bergwiesen herumzugehen, und – eine halbe Stunde später in den Wellen des Meeres zu baden.

Diese Ansiedlung in der Höhe und das laue Meerbad in der Tiefe würden zusammen einen Kurort bilden, wie es in der Welt keinen zweiten mehr giebt, weil anderwärts entweder die eine oder die andere Bedingung fehlt. Vielleicht daß doch noch einmal sich die Mittel finden werden, diesen Gedanken zum Heile vieler Menschen zu verwirklichen.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_231.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2019)