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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


den erbitterten Kampf gegen Oesterreich. Sein glänzender Stil, das Pathos seiner Worte gewannen ihm einen großen Anhang, die Jugend des Landes stand hinter ihm, und es war ihm ein Leichtes, auch im Reichstage, in den er 1847 als Vertreter des Pester Komitates eintrat, eine führende Rolle zu erlangen. Seine Reden waren Ereignisse, Zeitgenossen erzählen Wunder von der außerordentlichen Macht seiner Beredsamkeit. Er begeisterte die Kühlsten, veranlaßte die Besonnensten zu Ausschreitungen und ermutigte Tausende zu Tollkühnheiten.

Am 3. März 1848 hielt er in Preßburg eine denkwürdige Rede, welche auch den ersten Erfolg seiner Politik bedeutete. Infolge seines Antrages wurde eine Abordnung des ungarischen Reichstages nach Wien entsendet, welche vom Kaiser ein selbständiges ungarisches Ministerium verlangte. Der Kaiser erfüllte den Wunsch und schon am 17. März 1848 war das erste unabhängige ungarische Ministerium gebildet, dessen Finanzportefeuille Kossuth übertragen wurde. Aber diese Zeit des Entgegenkommens war bald vorüber. Im September 1848 löste die Wiener Regierung den ungarischen Reichstag auf, eine tiefe Erregung bemächtigte sich des Landes jenseit der Leitha, Krawalle entstanden hier und dort, dann brach der helle Aufruhr aus. Kossuth trat an die Spitze des „Landesverteidigungsausschusses“ und war schon im Oktober 1848 thatsächlich Gouverneur von Ungarn, obwohl dies erst später förmlich ausgesprochen wurde.

Das ungarische Heer erlitt Niederlagen, die Hauptstadt wurde erobert und der Reichstag setzte seine Sitzungen in Debreczin fort. Kossuth zwang den Reichstag mit Gewalt nach seinem Willen. Er ließ keine fremden Zeitungen in die Stadt gelangen und der Taumel einer falschen Siegesnachricht, doch noch mehr eine überwältigende Rede Kossuths bewogen den Reichstag von Debreczin am 14. April 1849 auszusprechen, daß Ungarn unabhängig und das Haus Habsburg des ungarischen Thrones verlustig sei. Kossuth wurde Gouverneur und hielt am 5. Juni seinen Einzug in die vom General Görgey wiedereroberte Hauptstadt. Dieser Tag war wohl der glänzendste seines Lebens. Die Straßen waren bekränzt, von Fenstern und Balkonen ergoß sich ein Blumenregen auf ihn herab und aus allen Kehlen tönten dem Liebling des Volkes jauchzende „Eljen“ zu.

Ludwig Kossuth.
Nach einer Photographie von M. Schemböhe in Turin.

Kossuth vertraute auf die Kraft des magyarischen Volkes und auf die Fähigkeiten seiner Generale. Das Volk blieb ihm treu, die Generale verließen ihn, eine Niederlage folgte der anderen und Kossuth – flüchtete. Am 11. August 1849 übertrug er Görgey seine Würde als Gouverneur, vergrub einige Tage später die ungarische Krone und die Kroninsignien in der Nähe won Orsova und ging hinüber in die Türkei, von wo er nach England flüchten wollte. Doch er wurde erkannt, verhaftet und in Widdin, später in der Festung Schumla eingeschlossen. Im August 1851 brachte man ihn mach Kutahia in Kleinasien, woselbst er mit seiner ganzen Familie lebte. Oesterreich forderte seine Auslieferung, doch Frankreich und Nordamerika traten für ihn ein, und schließlich mußte die Türkei infolge eines Drucks von seiten der letztgenannten Mächte Kossuth freilassen, welcher wohl im September 1851 in Pest in effigie gehenkt wurde, doch zur selben Zeit wohlbehalten in England eintraf.

Nun beginnnen die Kossuthschen Wanderpredigten. Er traf in England ein, ohne englisch sprechen zu können. Doch in wenigen Wochen hatte er die Sprache in seiner Gewalt und seine Reden begeisterten die Briten, welche sonst nicht allzuleicht zu erregen sind. Die Engländer rühmten nicht nur die makellose Aussprache Kossuths, sondern auch seine poetische Ausdrucksweise, die bei Politikern in England nicht häufig anzutreffen war. In Nordamerika fand Kossuth noch glühendere Verehrer. Es ist Thatsache, daß in zahlreichen Städten der Union dem Verbannten Kinder mit der Bitte entgegengetragen wurden, er möchte sie segnen. 1853 kehrte er nach England zurück und war hier als Schriftsteller für die hervorragendsten englischen Zeitschriften thätig. Kossuth schildert in seinen „Memoiren“ den Aufenthalt in London als wenig erfreulich. Seine Freunde behaupten sogar, er habe mit Nahrungssorgen kämpfen müssen. Das letztere ist freilich eine Uebertreibung, die sich aus den Berichten über Kossuths Londoner Aufenthalt im Jahrgang 1868 der „Gartenlaube“ leicht widerlegen läßt.

Auch von London aus war Kossuth bemüht, seinen Plänen im Ungarn zur Durchführung zu verhelfen. Er unterhielt Verbindungen mit hervorragenden Persönlichkeiten, sandte Briefe ins Land und suchte auch Verbündete im Ausland. Sowohl Napoleon III. als auch später Viktor Emanuel versprachen ihm Hilfe – doch beide Monarchen wußten ihre Versprechungen rechtzeitig zurückzuziehen.

Seit einer Reihe von Jahren lebte Kossuth in Turin. In seiner Heimat hat sein Name immer einen romantischen Klang behalten. Die Alten erzählen noch heute den Kindern von der glanzvollen Erscheinung des ehemaligen Diktators, seiner bestrickenden Beredsamkeit und von der Begeisterung, die er allenthalben hervorzurufen verstand, und die Bilder Kossuths, welche in den ungarischen Bauernstuben neben den Heiligenbildern hängen, umgiebt wie diese ein Glorienschein. W.     



Eiserne Rennpferde.
Eisenbahntechnische Skizze von W. Berdrow.

Es gab selbst in den riesenhaften Ausstellungshallen der „Weißen Stadt“ von Chicago, auf der größten jemals veranstalteten Schaustellung der Welt, wenige Gegenstände technisch-industrieller Gattung, welche dem Beschauer den Unterschied von „Einst“ und „Heute“ so eindrucksvoll gezeigt hätten wie die im Verkehrspalast aufgestellte Sammlung von Lokomotiven aller Länder und Zeiten. Hier „Rocket“, die Lokomotive Georg Stephensons, welche im Oktober 1829 bei dem berühmten Lokomotiven-Wettstreit der Liverpool-Manchesterbahn den Sieg errang und von derselben Eisenbahn mit 10000 Mark bezahlt wurde – und ihr gegenüber eine der riesigen Schnellzugslokomotiven der Vereinigten Staaten, wie sie heute gebaut werden, Kolosse, deren sechs Treibräder höher sind als der ganze Aufbau jenes alten Vorfahren der heutigen Dampfrenner. Hier ein dürres winziges Kesselchen über dem sich zwei lange schmale Cylinder aufrichten und durch allerhand umständliches Gestänge ihre Kraft auf die beiden kleinen Treibräder übertragen; mit neun Schritten mißt man die ganze Länge von Maschine und Tender ab – letzterer besteht aus einem kleinen Holzkarren mit ein paar Centnern Steinkohle und einer Wassertonne – 20 Kilometer in der Stunde war die Geschwindigkeit, 15 bis 20 Tonnen die Last, welche „Rocket“, zum Staunen der Zeitgenossen, bewältigte. Und dort die vierfache Länge, die doppelte Breite und Höhe; das Eigengewicht einer neuen Schnellzugsmaschine beträgt viermal mehr, als „Rocket“ mit sich zu schleppen vermochte, ihre Leistung aber, wenn man Schnelligkeit und Zugkraft gleichzeitig berücksichtigt, das Fünfzigfache!

Und ist man damit am Ende? Keineswegs! Stand doch nicht weit von jenen Dampfkolossen entfernt bereits das Modell

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_237.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)