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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

der stillen Nacht. Ueberall in weiter Runde, auf offener Flur und in dichtem Walde klangen Schritte, auf jedem Weg und Steg. Zuwweilen tauchte der Schein einer Fackel auf und ging wieder unter in Finsternis. Dunkle Gestalten wanderten, bald einzeln, bald zu dreien und vieren gesellt, und sie alle suchten das gleiche Ziel. Von der Höhe des Totenmannes reckte sich eine Feuerzunge über die schwarzen Wipfel empor. Zu der Stätte, an der sie brannte, war das Thing gerufen, welches entscheiden sollte über Wazemanns Haus und das Geschick der Klause, über die kommende Zeit im Gadem.

Dunkle Gestalten wanderten, und jeder Schritt auf rauhem Stein, der klirrende Aufschlag eines jeden Grießbeils klang in der stillen Thingnacht wie das Rollen eines ehernen Würfels. –

Auf der kahlen, von dichtem Urwald umschlossenen Kuppe des Totenmannes loderte in der stillen Nacht das helle Thingfeuer. Die Flammen beleuchteten eine alte dürre Eiche, zwischen deren Wurzeln ein behauener, von Moos und kümmerndem Epheu umwucherter Stein sich erhob. Mit zuckender Helle fiel der Schein des Feuers über die grasige Lichtung, auf welcher einzeln und in Gruppen die zum Thing erschienenen Männer standen oder lagerten, die einen schweigend, die anderen in halblautem Gespräch. Immer noch tauchten, von allen Seiten kommend, neue Gestalten aus dem finsteren Wald hervor und machten mit leisem Gruß oder wortlosem Händedruck die Runde bei den andern.

Neben dem Feuer stand Eigel, der Thingbote, und von dem dürren Holze, welches andere mit vollen Armen herbeitrugen, legte er Ast um Ast in die fressenden Flammen. Vor dem Stein, auf welchem des Richtmanns Messer und ein Wedel aus Wachholderzweigen lag, saßen die beiden Thingschöffen, Kaganhart und der Köppelecker; zwischen ihnen lag ein Bündel dünner Buchenruten, welche sie in kurze Stäbchen zerschnitten … immer eines ließen sie in der dunklen Rinde und das andere schälten sie weiß. Nicht weit von ihnen lag ein an den Füßen gebundener schwarzzottiger Bock im Gras und daneben ein Hahn, an Füßen und Flügeln gefesselt.

Während sich mit dem Schein des Thingfeuers schon das Licht des steigenden Vollmonds mischte, kam einer der letzten, der Schönauer. Sein Gesicht war ernst, und schwer ging sein Atem. Eigel und die Schöffen traten ihm entgegen und reichten ihm die Hand; dann kamen auch die anderen, um den Richtmann zu begrüßen. „Viel’ seh’ ich, aber einen miss’ ich!“ sagte er. „Wo ist Sigenot der Fischer?“

„Er war der erst’, der gekommen ist,“ erwiderte Eigel und deutete gegen den Waldsaum. Dort saß der Fischer im Schatten einer tiefästigen Fichte, das Schwert über dem Schoß, das Gesicht in die Hände gedrückt. Der Richtmann wollte auf ihn zutreten, aber Eigel hielt ihn am Arm zurück und flüsterte: „Die Ramsauer fehlen! Es hat mir gleich geschwant.“ Er hatte kaum ausgesprochen, da kam aus dem Wald ein Zug stiller Männer hervor, wohl dreißig an der Zahl, geführt von einem weißhaarigen Greis; der alte Runot war’s, welcher auf dem Lindthaler Zinsgut saß, der Gaumann der Ramsauer.

„Da sind sie!“ sagte der Richtmann aufatmend und schritt den Kommenden entgegen. „Ihr säumet lang, Männer! Schon will der Vollmond einstehen zur Mitternacht; luget hin. der Eichschatten schneidet den Blutstein!“

„Beim Hirscheneck haben wir uns gesammelt,“ erwiderte der Greis, „und haben geharret auf einen, der nicht hat kommen wollen. Und er ist doch der Best’ von uns!“

„Wen meinst?“

„Unseren guten Bruder Hiltischalk.“

„Es kann nicht kommen, wer nicht geladen ist!“ sagte der Richtmann.

Erschrocken legte Runot die Hand auf des Schönauers Arm, während aus der Schar der Ramsauer unmutige Worte sich hören ließen. „Richtmann, das war übel gethan!“

„Nein, Runot, das war gethan nach Recht und Brauch! Wenn das Thing gerufen wird wider einen im Gadem, so laden wir seinen Vater nicht und nicht seinen Bruder, keinen von seinem Blut und Haus. Heut’ aber hab’ ich das Thing gerufen wider die Klosterleut’, die in unser Thal gekommen sind.“ Eine murmelnde Unruhe ging durch den Kreis der Männer, denn mancher von ihnen hörte mit diesem Wort die erste Botschaft von der Ankunft der Mönche. „Ich hab’ den Hiltischalk nicht geladen, denn er ist ein Gottesmann und der Gottesmänner Bruder; so hab’ ich gethan nach Recht und Brauch.“ Der Widerspruch der Ramsauer wollte nicht verstummen; unwillig hob der Schönauer den grauen Kopf. „Wenn Ihr meinet, ich hätt’ gefehlt an meinem Amt – über vier Mond’ ist Neujahr! Wählet dann einen anderen Richtmann! Heut’ aber halt’ ich das heilige Messer noch, und wer murren will gegen mich, wider den ruf’ ich das Thinggericht.“ Er schritt zum Stein, über dessen Platte der Mondschatten der Eiche fiel, und faßte das Messer. „Vollmond steht ein! Das Thing ist aufgethan! Gauleut’, thut Euch zueinander!“

Während Eigel das lodernde Feuer schürte, sammelten sich die Männer zu getrennten Gruppen. Um den Köppelecker standen die von der Schönau und von Unterstein, um Runot die von der Ramsau, vom Hintersee, vom Schwarzeck und von der Taubenlack, um den Schmied Ilsanker die Männer aus dem Engedein und der Strub, um den Hochgarter die aus der Aschau und dem Loipl, um den Greinwalder die Hochbauern vom Göhl und Untersberg. Sigenot der Fischer stand allein.

„Thingbot’!“ rief der Richtmann. „Geh’ um und zähl’ die Stimmen!“ Von einer Gruppe schritt Eigel zur anderen. Als er zum Richtmann zurückkehrte, sagte er: „Hundert und vier hab’ ich geladen … hundert und drei hab’ ich gezählt. Einer fehlt!“

Der Richtmann spie auf die Erde. „Wie er auch Namen hat und wär’ er mein eigen Blut, keiner soll ihm Freund sein, jeder soll ihm Feind sein! Fallt er in Not, so löst ihn keiner, liegt er in Weh, so tröst’ ihn keiner! Unehr’ über ihn!“

„Unehr’ über ihn!“ klangen hundert Stimmen im Ring.

„Thingbot’, thu’ seinen Namen kund!“

Eigel zögerte. „Der alte Gobl!“

Ein Gemurmel lief durch die Gruppe der Männer. Im Gauring der Schönau aber sagte der Schapbacher. „Hätt’ ich gewußt, daß es der Gobl ist, ich hätt’ nicht geflucht wider ihn. Ueber seinen Weißkopf ist so viel Leid gefallen, daß die Unehr’ daneben kein Platzl nimmer hat.“

Eigel hatte den Hahn von der Erde gehoben und ihm die Füße und Flügel entfesselt. Der Vogel flatterte und krähte, als ihn der Richtmann ergriff. „Was ein Gockel ist, muß gackern!“ sagte der Schönauer. „Wer aber das Thingfeuer hat brennen sehen, muß schweigen können, wenn der Morgen kommt.“ Er hob mit der Linken den flatternden und krächzenden Hahn. „Schau das Feuer an – und thu’ keinen Laut mehr!“ Mit jähem Messerhieb schlug er dem Vogel den Kopf vom Rumpfe und warf ihn zu Boden. Ein Brünnlein spritzte aus dem Hals des Hahns, welcher kopflos, mit schlagenden Flügeln, noch einige Sprünge that. Als er tot zur Erde fiel, hob ihn der Köppelecker auf, riß ihm eine Feder aus, reichte den Hahn weiter und steckte die Feder auf seine Kappe. So wie er, that jeder andere. Eigel, welcher den Hahn zuletzt empfing, warf den gerupften Vogel ins Feuer.

„Wer geredet in der Thingnacht, soll schweigen am Tag,“ rief der Richtmann, „oder eh’ der Mond wieder voll wird, soll er heißen, wie der Boden heißt, auf dem wir stehen! Mannerleut’, hebet die Hand zum Schwur!“

Alle Schwurhände erhoben sich, nur eine nicht. Eigel war, als er den Hahn ins Feuer warf, der Flamme zu nahe gekommen, und sie hatte einen Zipfel seiner grauen Kotze gefaßt – nun mußte er den Brand des Tuches mit beiden Händen ersticken.

„Thingschöffen,“ fragte der Richtmann, „ist kein unberufen Ohr im Ring?“

Kaganhart und der Köppelecker traten vor und sprachen einer mit dem anderen wechselnd: „Die Nacht ist einödig, und unbegangen der Wald. Wir haben gelugt in jeden Gipfel und geschlagen auf jeden Busch. Der Ring ist gezogen auf dreimal hundert Gäng’ in der Weit’, die Wächter stehen und lassen nicht ein, was nicht gerufen ist, sei’s Mensch oder Tier, Haar oder Feder!“

„So wollen wir unter uns Mannerleut’ raiten um unser Wohl, mit Mannswort und Mannsverstand. Zwei Weg’ gehen aus, der eine ist recht und der ander’ ist schlecht; wir wollen meiden den schlechten und suchen den rechten, daß wir hüten vor Schad’ und Nöten unser Haus, Weib und Kind, Stall, Vieh und Gesind’. Mannerleut’, her zur Heilstätt’!“ Während ein enger

Ring um Feuer und Eiche sich bildete, hoben die Schöffen den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_242.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)