Seite:Die Gartenlaube (1894) 249.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Vorwänden das Mitleid der Hausbewohner anrufen. Abgesehen davon, daß sich hier vielfach der berufsmäßige Bettel breit macht, dient das „Schnallendrucken“ gar manchen nur als Vorwand, um die Gelegenheit zu einem Diebstahl auszuspionieren.

Der „Student“ beim Empfang und Verkauf einer Spende.

Es ist Freitag, der große Zahltag der vielen Hausarmen, denen von seiten der mildthätigen Hausfrauen das Almosen als eine Art Rente verabfolgt wird. Es läutet! „G’wiß wieder ein Bettler,“ sagt die Hausfrau verdrießlich, da sie eben bei einer wichtigen Hantierung in der Küche ist. Bald darauf läutet es stärker. Aergerlich eilt sie hinaus und öffnet. Ein alter Mann mit schneeweißem Haar und Bart steht vor ihr. Es ist ein Hausarmer, der schon seit zehn Jahren jeden Freitag sein Almosen von ihr empfängt. „Ein armer, alter Mann thät’ gar schön bitten“, lautet die Formel. Die Frau giebt ihm das Almosen. Ein krampfhafter Hustenanfall bei dem Greise veranlaßt die mitleidige Hausfrau, ihm eine Schale Suppe zu bringen. „Vergelt’s Gott, vergelt’s Gott tausendmal; i wir’ fleißi beten,“ sagt er und schlürft mit Behagen das warme Getränk. „Ihner Suppen is die beste in der ganzen Gegend, Euer Gnaden,“ fährt er dann gemütlich fort. „I hätt’ schon längst die Kundschaft auf’geb’n, denn Ihnere drei Stöck’ werd’n m’r schon sauer; aber i g’freu’ mi allemal schon auf die Supp’n. Delikat, wirklich delikat!“ Man sieht, er steht auf vertrautem Fuß mit seiner Wohlthäterin. Diese betrachtet den treuherzigen Alten, der den Bettel wie ein Geschäft behandelt, als ein Hausmöbel und plaudert mit ihm wie mit einem guten Bekannten. Er will die Gabe einstecken, besinnt sich aber und sagt ganz offenherzig: „I krieg’ no zwa Kreuzer vom vorigen Mal. Wissen S’, Sie hab’n ka klans Geld g’habt und hab’n g’sagt, ’s nächste Mal wir’ i Ihna schon zahl’n.“

Die Frau sucht in ihrer Tasche nach Kleingeld. Der Alte wehrt jedoch ab und sagt: „Muß ja net glei sein; es is nur weg’n der Ordnung, daß ma net vergißt. Sie laufen mir ja net davon. Hätt’ i nur a Million z’ fordern von Ihnen; mir wär’ net bang, daß i zu mein’ Geld kommet.“ Die Frau lacht über die Ungeniertheit des Alten und dieser fährt fort: „Wissen S’ was, i kumm von jetzt an nur alle Monat. Lassen m’r das Geld z’sammkommen. Mir is das viele Stieg’nsteig’n z’wider und Ihnen is das Thüraufmachen z’wider. Is uns allen beiden g’holfen. Mei Suppen geb’n S’ halt an’ Armen.“ Der Alte trollt sich in der Ueberzeugung, seiner Wohlthäterin einen Dienst geleistet zu haben.

Beim Hausthor treffen zwei Weiber zusammen. Die eine trägt ein krüppelhaftes Kind auf dem Arm, die andere hat ein eingebundenes Gesicht. Sie nicken einander verständnisinnig zu.

„Is was los?“ fragt die mit dem Kinde.

„Im ersten Stock krieg’n S’ zwa Kreuzer,“ antwortet die andere. „Die Vergolderin im zweiten Stock giebt Ihnen a alt’s G’wand für’s Kind; aber da müssen S’ das Umhängtuch wegthun, daß ’s Kind recht erfrorn ausschaut. Wo haben S’ denn den Fratzen her?“

„Von der Poschin; denken S’ Ihnen, vierzig Kreuzer verlangt die Person im Tag dafür.“

„Na ja, das is aber auch a selten’s Kind, den schön’ Buckel, den’s hat, und nur a Aug’. Was gut is, is teuer. Da können S’ schon was verdienen damit.“

„Schaut nur so schön aus. Der Racker will ja net weinen. Was ich schon alles probiert hab’, er weint halt net! Das Doppelte könnt’ i verdienen, wann der Fratz weinen wollt’.“

Die würdigen Damen empfehlen sich und jede geht ihren Geschäften nach.

Oft kann man unter den Hausthoren ganze Gruppen von Bettlern aller Art beisammen finden. welche ihre Erfahrungen über die Mildthätigkeit der verschiedenen Parteien im Hause austauschen.

Es läutet irgendwo im ersten Stock. Draußen steht ein junger Mensch, schüchtern und zaghaft. Er hat ein dünnes Röckchen an und zittert vor Kälte. Ganz leise bringt er nur einige abgerissene Worte hervor. Er sei Student. Fürs Essen wäre gesorgt; man hat ihm Marken für die Volksküche zugeteilt. Auch hat er eine Lektion gefunden. Er kann sich aber in seinem fadenscheinigen Röckchen nicht vorstellen. Wenn er eins bekommen könnte, das auch nur ein bißchen besser ausschaute, das könnte ihn retten. Der junge Mensch ist so bescheiden; es wird ihm so schwer, die Bitte über die Lippen zu bringen. Der gutherzigen jungen Frau treten die Thränen in die Augen. Nach kurzer Beratschlagung mit ihrem Manne kommt sie mit einem ganzen Anzug zurück. Der junge Mensch schluchzt ein paar unverständliche Worte des Dankes und entfernt sich freudestrahlend. In der nächsten Gasse steht ein Hausierer, der die Kleidungsstücke sorgfältig prüft. Der schüchterne Student scheint sich sehr gut auf den Handel zu verstehen. Er zankt sich tüchtig mit dem Hausierer herum, bis dieser nachgiebt und ihm drei Gulden fünfzig Kreuzer auf die Hand zählt. Kein schlechtes Geschäft!

Das alte Weibchen, das zögernd vor dem Fenster des Bäckers steht, wird schon längere Zeit von einem Sicherheitswachmann scharf beobachtet. Sie entschließt sich endlich, einzutreten; „Ein armes altes Weib thät schön bitten um a bisserl was.“ Sie erhält einen Kreuzer. Vor der Thür tritt ihr der Wachmann entgegen mit dem Befehl: „Sie haben gebettelt, folgen Sie mir!“ Der Alten versagen die Knie vor Scham und Verzweiflung. „Aber i bitt’, ich bin ja für g’wöhnlich ka Bettlerin. Ich arbeit’ ja und geh’ ins Waschen und Fensterputzen, wann i was kriag; aber mein Enkerl is krank, und ka Brot in Haus. Mein Gott und Herr, wann i net z’Haus’ komm’, was thut denn das Kind? Lassen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_249.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2023)