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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

taugen! Ich lauf’ heim in Sorg’ und Aengsten, daß mich kaum die Füß’ mehr tragen, daß ich schier keinen Schnaufer nimmer hab’ …“

„Hätt’st Dir halt Zeit gelassen! Meinetwegen hätt’st noch ausbleiben können, bis der Kuhmist Butter wird!“

„So? So?“ schrie der Bauer. „Ja ist denn keiner da? Ja hört denn das keiner, was das für ein Weib ist? So ein Weib! Die Erd’ rumpelt und bidmet, daß die Berg’ schier einfallen … und noch alleweil giebt das Weib keine Ruh’!“

„Jetzt wirst aber still sein, gelt?“ Bei diesen Worten griff Hilmtruds Hand aus der Thür und faßte den Mann beim Kragen.

„Wirst auslassen oder nicht? Auslassen!“ zeterte Kaganhart; doch eh’ er mit diesem Machtwort noch zu Ende war, stand er schon, von der Faust seines Weibes geschwungen, in der Stube und stolperte wider den Herd, daß die Geschirre durcheinander klapperten. Die Thür wurde zugeschlagen und mit kreischendem Schelten mischten sich im Haus die beiden Stimmen.

Beim Hagthor klang ein leises Kichern: „Wirg! Thust ihnen einen Gefallen damit – die zwei, die haben gern heiß!“

In hohem Bogen, zischend, wirbelte ein Feuerbrand über den Hag, grell leuchtend in der Nacht, und klatschte auf das Moosdach. Flink, wie die kleinen Wellen bei jähem Windstoß über das Wasser, liefen die gelben Flammenzungen nach allen Seiten über das dürre Moos und Stroh. Lachend rannten die beiden Knechte dem Wald entgegen; als sie die Ache erreichten und rückwärts blickten, sahen sie schon die funkensprühende Lohe in die Lüfte schlagen. Ein rötlicher Schein fiel über die Waldberge und an die Falkenwand, die sich mit blutigem Schimmer im Seeweiher spiegelte.

Sigenot, welcher mit Wicho in flüsterndem Gespräch auf dem finsteren Lugaus saß, gewahrte den Schimmer, und als er aufblickte, sah er die Röte am Himmel und sah in der Ferne die Funken stieben. „Feuerjo! Das muß in der Schönau sein! O die armen Leut’, die armen!“ rief er, und ehe Wiche ihn halten konnte, war er vom Lugaus über den Hag hinuntergesprungen auf den Sand.

„Laß brennen, was brennt!“ schrie Wicho. „Wahr’ Dein eigen Haus!“

„Leut’ in Not und ich sollt’ nicht helfen?“ klang die Stimme des Enteilenden. Er rannte und rannte. Als er die freien Halden der Schönau erreichte, meinte er zu träumen; wohl sah er die Flammen lodern, aber Stille war ringsumher in der grell erleuchteten Nacht, keine Stimme klang, kein Schrei, kein Fenerruf. Nur die Hunde kläfften in den zerstreuten Höfen. Von den Nachbarn des brennenden Hauses war keiner zur Hilfe herbeigeeilt, die Furcht dieser Nacht, das zitternde Bangen vor dem Ungewissen hatte sie festgehalten im eigenen Hag, unter dem eigenen Dach.

Die Zähren traten in Sigenots Augen, als er nach keuchendem Laufe vor der Brandstätte den Fuß verhielt. Er sah, hier war nicht mehr zu helfen noch zu retten bis auf den Grund schon brannten die Mauern des Hauses und der Scheune, und von den rauschenden Flammen und dem glostenden Gebälk ging eine schwelende Hitze aus, welche das Nähertreten wehrte.

Mitten in der Hofreut, vom Feuer rot beleuchtet, stand Hilmtrud, regungslos wie ein steinernes Bild, der Bauer hockte neben ihr auf der Erde, klagend und schluchzend, mit den Armen eine rußige Pfanne umklammernd … sie war von all seinem Hab und Gut das einzige Stücklein, das er gerettet hatte in der wirren Angst. Wie der Mann, so hatte auch das Weib gejammert und geweint und in Verzweiflung die Hände gerungen. Doch als der Bauer in seinem Jammer geschrieen: „Jetzt hab’ ich selber, was ich dem Wazemann beim Thing gewunschen … sein Haus hab’ ich brennen wollen, jetzt brennt das meinig’!“ – da hatte Hilmtrud ihren Mann mit glasigen Augen angestiert und kein Laut mehr war über ihre Lippen gekommen.

Als Sigenot – zu sprechen vermochte er nicht – die zitternde Hand auf ihre Schulter legte, blickte sie hastig auf, starrte ihn an wie einen Fremden und wandte die verstörten Augen wieder dem Feuer zu. Der Bauer aber ließ die Pfanne sinken und warf sich schluchzend vor Sigenots Füße. „Mein Häusl, Fischer, mein liebes, einzigs Häusl, in dem ich gelachet hab’ als Büebli, bei Mutter und Vater, in dem ich gehauset hab’ in Glück und Fried!“ Aller Zwietracht und aller üblen Stunden hatte er vergessen in seinem Jammer, und nur der guten Stunden noch dachte er, die er genossen unter dem in Glut und Asche sinkenden Dach.

Sigenot hob den Schluchzenden auf. „Ich weiß Dir keinen Trost, Nachbar, als nur den einzigen: da hat Dein Haus gestanden, und schau’, da wird’s auch wieder stehen, neu und fest! Bist doch ein Mann! Schau’, streck’ Dich! Und wenn die Glut verkaltet ist, so heb’ das Bauen an! Mich und meine Leut’ kannst haben zur Hilf’ in jeder Stund’. Und bis Dein eigen Dach wieder hast, bis selbhin sollst mit Deinem Weib ein gutes Hausen haben an meinem Herd.“

Krachend stürzten die brennenden Balken in einem rauchenden Gluthaufen zusammen. Ein zitternder Schrei löste sich von Hilmtruds Lippen und schluchzend streckte Kaganhart die Arme wie ein hungerndes Kind, dem eine grausame Hand das Brot entrissen. Sigenot suchte die beiden mit sich fortzuziehen denn er sah, daß jeder Blick in die Glut ihren Jammer erneuerte und mehrte; aber es dauerte lange, bis Hilmtrud auf die Worte des Fischers hörte. Endlich nickte sie und drückte wortlos Sigenots Hand; dann schlang sie den Arm um ihres Mannes Hals und sagte mit tonloser Stimme: „Thu’ nicht weinen, Hartli – ich hab’ Dein Haus verbronnen, ich bau’s wieder auf!“

Er achtete dieser Worte nicht, er schluchzte nur, raffte die brüchige Pfanne von der Erde und ließ sich willenlos zum Hagthor führen; hier blickte Hilmtrud ein letztes Mal zurück auf den glühenden Trümmerhaufen; ihr Gesicht verzerrte sich, mit geballter Faust erhob sie den nackten Arm und schrie in die Nacht hinaus: „Wazemann! Wazemann!“

Mit nassen Augen blickte Kaganhart zu ihr auf; doch er fand keine Frage.

So verließen sie die Stätte, die ihr Haus getragen bis weit hinunter ins Thal verfolgte sie der Brandgeruch, als sie den See erreichten und Sigenot mit herzlichem Zuspruch seinen Hag vor ihnen öffnete, graute der Morgen schon und über die Schneekuppe des König Eismann fiel die erste Röte des nahenden Tages.




19.

Das war ein seltsamer Morgen, still und ohne Lufthauch; sogar die Bäche schienen leiser zu rauschen und kaum eine Vogelstimme ließ sich vernehmen, es war in der Nacht kein Tau gefallen und dennoch deckte ein zarter grauer Duft alle Gräser, alles Grün der Bäume … Staub war es, dünner, fein zerteilter Staub. Alle Wege und Pfade im Gadem waren steinig oder grün bewachsen … woher nur war dieser Staub gekommen? Kein Wölklein schwebte am Himmel, aus den Wäldern flatterte kein Nebelstreif, die Luft war schwül und trocken … und dennoch füllte ein grauer Dunst das Thal und alle Höhen, so daß die Berge verschleiert erschienen wie vor einem anziehenden Ungewitter. Und zuweilen sah man in der Luft ein Flimmern und Glitzern wie von feinem Sand, auf den die Sonne scheint. Und überall war ein Geruch zu spüren … es war nicht der Brandgeruch des in Asche gefallenen Hauses, es war wie jener Geruch, welcher auftritt, wenn sich die Mahlsteine ohne Korn aneinander reiben.

Es war ein seltsamer Morgen, ein Morgen wie ein Geheimnis, wie das Schweigen auf eine leidenschaftliche Frage.

Still lag die Martinsklause inmitten des stummen Waldes. Im Morgengrau war Eberwein ausgezogen, und Waldram, den nach der Erregung der vergangenen Nacht die Schwäche wieder befallen hatte, hütete das Lager. Heute, am Tage des Herrn, durfte Schweiker das Beil nicht schwingen; aber es litt ihn nicht in der Ruhe, obwohl ihm eine dumpfe Müdigkeit wie Blei in allen Gliedern lag. Langsam ging er auf der Lichtung umher und sammelte die Steine und Felsbrocken, welche die vom Berghang niedergefahrene Schuttlawine über die Rodung und bis vor die Mauern der Klause geworfen hatte. Bei jedem Steine, den Schweiker in die geschürzte Kutte legte, seufzte er tief; und immer wieder glitten seine verlorenen Blicke über das Thal der Ache hinweg und empor über den jenseitigen Berghang.

Am Rand der Lichtung, vor dem grauen Schuttkegel, der die jungen Bäume auf dem Hang erdrückt, den Lauf der Quelle verändert und den Teich verschüttet hatte, stand Bruder Wampo; schlaff hingen seine Arme und dicke Zähren rollten aus seinen Augen, welche traurig niederstarrten auf den wüsten Schutt, unter dem die schönen Ferchen und Hechte begraben lagen. „Und ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_263.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)