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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

und Blei, das sie im Kampfe mit den Rothäuten besser gebrauchen konnten. Viele Bedürfnisse hatten sie nicht. Ein „Rancho“, eine aus leichten Fellen errichtete Hütte, genügte zur Wohnung, eine grobe Jacke und grobe Hosen waren ihre Kleidung und einfach war auch ihr Mantel, der „Poncho“, ein rotes oder blaues Tuch mit einem Loch in der Mitte, durch das sie den Kopf stecken konnten. Genugsam in Wohnung und Kleidung, hielten sie viel auf ihre Waffen, die Steine an der indianischen Bola ersetzten sie durch eiserne oder bleierne Kugeln, scharf geschliffen war stets ihr 30 bis 40 cm langes Seitenmesser und ihr Stolz waren mächtige silberne Sporen.

In den Grenzbezirken der kultivierten Pampa führen sie noch heute das ungebundene Leben und jagen nicht nur Guanaco und Strauß, sondern auch den Silberlöwen oder die „Puma“, die grimmige Katze Südamerikas, wozu sie nur ihre Bola, ihr scharfes Messer und eine Koppel starker Rüden brauchen. Sie hüten auch eigene Rinderherden oder die größerer Besitzer, aber dem echten Gaucho geht das Pferd über alles in der Welt. Es steht ihm ja auch ein ausgezeichnetes Material zur Verfügung, das sich rudelweise in der Steppe in wildem Zustande umhertreibt. Braucht er ein neues Pferd, so reitet er hinaus in die Pampa und nähert sich der Herde. Vielleicht gelingt es ihm, dem Auserkorenen rasch einen Lasso um den Hals zu werfen; oft aber merken die an Freiheit gewöhnten jungen Rosse die Absicht des Reiters und ergreifen die Flucht; dann geht es vorwärts in sausendem Lauf, dicht auf ihren Fersen der Verfolger. Nun schwingt er über dem Kopfe die niemals fehlende Bola – die Kugeln fliegen dahin, in einem Augenblick wickelt sich der Riemen um die Hinterbeine des flüchtigen Rosses, und wehrlos bricht es zusammen!

Wild, ungehorsam ist jedoch der gefangene Steppenrenner. Sein stolzer Freiheitssinn muß erst gebrochen werden, er muß lernen, geduldig den Sattel zu tragen und dem Druck des Zügels zu gehorchen. Wie sehr er sich sträubt, der Gaucho kennt keine Schonung und versteht es meisterhaft, den Widerspenstigen zu zähmen. Eine Decke wird dem Pferde über den Kopf geworfen; des Gesichtes beraubt, zittert es am ganzen Leibe, derweil ihm flinke Hände die Schaffelle auf den Rücken und auf diese den Sattel legen. Dann wird die Decke vom Kopfe entfernt, und ehe sich das Tier dessen versieht, fühlt es den Zaum im Maule. Nun schwingt sich der Reiter in den Sattel und vorwärts geht es in die Pampa hinaus. Eine tolle, grausame Jagd ... sie dauert, bis das Roß erschöpft zusammenbricht und sich in sein Schicksal ergiebt. Wohl regt sich hie und da noch einmal die alte Wildheit, aber sein Meister ist ein unbarmherziger Reiter. Ohne auch nur einen Augenblick im Sattel zu wanken, läßt er das erregte Thier in den tollsten Kapriolen sich austoben, gegen Mauern ansprengen, an denen es sich steil emporbäumt, und das Ende vom Liede ist schließlich doch wieder williger Gehorsam.

Mit den gebändigten Rossen, den erbeuteten Straußenfedern und Fellen wendet sich der Gaucho dem Pampamarkte zu. Dort ist ein äußerst einfacher Kaufladen, in welchem allerlei Tand und manches brauchbare eiserne Gerät zum Kaufe ausliegen. In einer Lehmhütte, an die sich eine weite Veranda lehnt, wird ein feuriges Getränk ausgeschenkt; dort tönt die Guitarre, erschallen lustige Lieder und funkeln schwarze Mädchenaugen. In dem Gasthause der Steppe begegnet man manchmal auch einem Reiter aus der entlegenen civilisierten Welt, der Kunde bringt von den Vorgängen in den Hauptstädten der Vereinigten Republiken Argentiniens, und was es da zu berichten giebt, das sind oft gar aufregende Dinge. Denn Argentinien ist von jeher, besonders aber in unserem Jahrhundert, mit inneren Unruhen reich gesegnet gewesen. –

Auf die ersten Zeiten schäumender Gährung folgten jedoch auch wieder ruhigere Jahre und ein Strom von Einwanderern ergoß sich damals in die Pampas. Sie kamen daher gezogen mit Planwagen, die mit langen Ochsenreihen bespannt wurden; sie hatten von der Regierung Land in der herrenlosen Pampa erworben und ließen sich an verschiedenen Orten nieder. Das waren ruhigere Leute, die nicht so sehr für Pferde schwärmten, lieber Rinder züchteten und Tausende von Schafen hielten auf Weiden, die mit Eisendraht umzäunt wurden. Zum Schutze dieser Ansiedler, die auch Ackerbau zu treiben versuchten und den Boden künstlich bewässerten, kamen reguläre Truppen ins Land, denn die Pampas waren noch immer unsicher, von Nord und Süd, aus der Wildnis des Gran Chaco und aus den Nachbarbezirken Patagoniens brachen die Horden der rothäutigen Puelche, Tehuelche und Ranqueles hervor und hausten gar schlimm unter den Ansiedlern.

Amerika hat keine wilderen, hochfahrenderen Krieger als diese Indianer, die bis heute ihren Nacken vor der Civilisation nicht gebeugt haben, im Gegensatz zu ihren friedlicheren, Ackerbau treibenden Stammverwandten im Norden. Ihre Horden gingen nicht nur auf Viehraub aus, sie fielen auch über die Estancias her, plünderten sie aus und brannten sie nieder, mordeten die Männer und schleppten Frauen und Kinder in die harte Sklaverei fort. Es war ihnen schwierig beizukommen, denn sie hatten zumeist keine festen Wohnsitze; ruhelos schweiften sie durch die Pampas, Rudeln wilder Pferde gleich. Von frühester Jugend an sind sie mit ihren Rossen verwachsen, alles ist noch heute bei ihnen beritten, Mann, Weib und Kind, und man sagt, daß die Sprößlinge dieser Indianer eher reiten als laufen lernen.

Jedes Kind besitzt sein Pferd, jeder Knabe spielt mit der Bola, fängt mit ihr die Hunde, die der Horde folgen, wirft den Lasso und übt sich in der Handhabung des Messers. So wächst er zum Feinde der Weißen heran, wird wetterfest wie die Tiere der Steppe, und wenn von den Hängen der Anden der stürmische „Pampero“ eiskalt durch die Ebene weht, so läßt der Sohn der Pampa seinen Fellmantel auf dem Rücken flattern und bietet dem Sturmwinde die nackte Brust. Dieses Volk kennt keine Schranken der Zeit und des Raumes, ein „Schnellläufer“ in des Wortes vollster Bedeutung, unternimmt es Expeditionen auf 1000 Kilometer weite Entfernungen. Dabei stellen diese Indianer keine Ansprüche an eine besondere Verpflegung, ein Stück rohen Fleisches genügt ihnen als Nahrung, die sie sich durch eine Mischung von Ochsen- und Pferdefett lecker machen. Gegen die Weißen kennen die Pampasindianer keine Liebe, ein unauslöschlicher Haß glimmt in ihrer Brust, denn sie meinen, Gott habe ihnen die Pampas zur Heimat angewiesen, ihnen das Guanaco und den Strauß gegeben, sie wollen nicht einsehen, daß Europa ihnen das leichtfüßige Pferd und die Rinder- und Schafherden geschenkt hat, sie wollen allein in den Pampas herrschen. wie wechselvoll auch die Kämpfe gewesen sind, wie sehr auch ihre Schar durch Pulver und Blei, durch Cholera und Pocken zusammengeschmolzen ist, sie rühmen sich noch heute, niemals gänzlich bezwungen worden zu sein.

Gegen diese „Indios bravos“, wie die kriegerischen Stämme im allgemeinen genannt werden, unternahmen die Regierungstruppen regelrechte Feldzüge. Am entscheidendsten war der Feldzug des Jahres 1879/80, der seinem Urheber, Generallieutenant Roca, dem damaligen Präsidenten, für immer eine der hervorragendsten Stellen in der argentinischen Geschichte sichert. Die noch vorhandenen Indianer sind nunmehr in die Gebirgsschluchten der patagonischen Kordilleren zurückgedrängt, wo sie von den regulären Truppen der argentinischen Armee auf Büchsenschußweite bewacht werden. Tausende von Quadratkilometern Landes sind dadurch den Händen der Wilden entrissen und der Viehzucht und dem Ackerbau zugänglich gemacht worden. Eine große Zahl von Gefangenen wurde befreit und ihrem heimatlichen Herde wiedergegeben.

In den geschützten Pampas mehrten sich die Estancias, denn man konnte in jener Zeit ein Hektar Landes für drei Mark erwerben, und dabei pflegten sich in normalen Zeiten die Kuh- und Schafherden alle drei, die Pferdeherden dagegen alle fünf Jahre zu verdoppeln. Einen großartigen Aufschwung hat namentlich die Schafzucht genommen, seitdem Deutsche und Engländer sich um dieselbe bemüht haben. Zu Anfang der sechziger Jahre betrug der Wert der Ausfuhr an Wolle nicht mehr als 20 Millionen Mark, gegenwärtig ist die Wolle der Hauptausfuhrartikel Argentiniens, das für das Vließ seiner Schafe jährlich über 200 Millionen Mark einnimmt. Im Oktober des Jahres 1888 veranstaltete man eine Viehschätzung Argentiniens, und es ergab sich, daß in dem Lande etwa 66 Millionen Schafe, 2 Millionen Ziegen, 22 Millionen Rinder, 4 Millionen Pferde und 430000 Esel und Maultiere vorhanden waren.

Kein Wunder, daß unter diesen Umständen die Karawanen der mit Zugochsen bespannten Wagen immer länger und zahlreicher wurden. Ob dieses Treiben den echten Gauchos gefiel? Es veränderte sich so vieles. Wohl trieben sich die Rinder- und Pferdeherden nach wie vor in der Steppe umher, aber die Weidebezirke wurden enger abgegrenzt und das scheinbar freie Vieh trug auf dem Felle den Stempel des Eigentümers. Die Bedeutung des Pferdes sank, je mehr der Wert der Schafe und der Rinder stieg. Die Viehzucht wurde immer mehr in geordnete Bahnen gelenkt und der Gaucho, früher der Herr der Pampas, wurde zum berittenen Kuhknechte im Dienste eines reicheren Besitzers.

Die indianischen „Schnellläufer“ sind verschwunden, die Gauchos werden „civilisiert“; durch die weiten Gefilde laufen die Schienenstränge der südamerikanischen Ueberlandbahn, auf ihr schnaubt das gewaltige Dampfroß und trägt den Reisenden in raschem Fluge von Buenos Aires an den Ufern des Atlantischen Oceans über die flache Ebene und über die steile Kordillere an das Gestade des Stillen Oceans. Das Dampfroß ist ein Städtegründer ersten Ranges und erfüllt die Pampas mit neuem Leben. Hoffentlich bringt es auch die nötige Beständigkeit in die wirtschaftliche Entwicklung des Landes!




Die Perle.

Roman von Marte Bernhard.
(17. Fortsetzung.)


Ilse mußte halb sinnlos vor Schreck und Aufregung aus ihrer Wohnung fortgestürzt sein; das schwarze Spitzenhütchen hing ihr fast im Nacken, sie hatte nur einen Handschuh angezogen und trotz der Juliglut keinen Sonnenschirm. In der unbedeckten Rechten hielt sie ein halb zusammengeballtes Zeitungsblatt. Dem alten Leupold zog sich das Herz zusammen bei diesem Anblick. Also sie wußte! Er warf Jan Grenboom einen flammenden Zornesblick zu – was stand der Mensch denn noch immer da wie ein Menagerieführer, den Papagei auf dem Kopf, das Aeffchen auf der Schulter? Nun, gottlob, er hatte begriffen, er ging!

„Onkel Erich, muß das wahr sein?“ fragte Ilse atemlos, heiser und hielt ihm das Zeitungsblatt hin.

„Nun, Kind, es kann ja – aber da setz’ Dich ’mal – ich – ja, weiß der Teufel, ’s ist, um verrückt zu werden! So setz’ Dich doch, zeig’ ’mal, daß Du was Besseres bist als so die meisten von Deinem jämmerlichen Geschlecht! Bist ja soweit vernünftig – bist auch nicht dumm –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_302.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2020)