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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

auf der Kommandobrücke – zwei, drei Männer in seiner Nähe. Und dann fühlte ich unser Boot gleiten – gleiten in eine unermeßliche Tiefe, ein furchtbarer Wasserschwall prallte gegen uns an – ein Wehgeschrei aus hundert Kehlen zugleich, so schrill, so durchdringend, daß es mir heute noch durch Mark und Bein gellt – mein Kopf schlug gegen etwas Hartes – Wasser überall – ein Gefühl des Erstickens und ich verlor die Besinnung. – Das erste, was ich empfand, als ich wieder einigermaßen zum Bewußtsein kam, war ein schneidender Schmerz um die Brust, und nun merkte ich, daß er von einem Strick herkam, mit dem ich um den Oberkörper fest umwickelt war, und daß ein paar Männer mich hoben und stützten. Um uns brandete und brauste es immer noch, das Boot flog wie ein Ball hin und her. Ich war so kraftlos wie ein Kind, eine grenzenlose Gleichgültigkeit gegen mich selbst und gegen mein Dasein erfüllte mich. Ich hatte wohl einen Augenblick die Empfindung: Du bist vielleicht von den Hunderten auf der ‚Nixe‘ der einzige, der mit dem Leben davongekommen ist, aber es ließ mich ganz kalt, mich, der immer so gern gelebt hatte! Was mit mir wurde, wer sich um mich bemühte und mit welchem Erfolg – es berührte mich nicht. Die Männer in meiner Nähe hoben mich auf und hißten mich empor, so gut es gehen wollte. Natürlich ging es schlecht, da ich wie ohne Glieder war und gar nicht mithelfen konnte. Aber ich wurde doch an Bord eines Schiffes gezogen und sank dort hilflos zusammen, ein Wrack von einem Menschen. Ein Dutzend fremder Gesichter neigte sich teilnehmend über mich, Cognacflaschen erschienen von allen Seiten – ich schluckte mühsam und fühlte mich besser. Als ich wieder ganz zu mir selber kam, merkte ich, daß der Orkan etwas nachgelassen hatte. Mühsam richtete ich mich auf und spähte und spähte. Kein Schiff zu sehen, so weit das Auge reichte – die ‚Nixe‘ war untergegangen mit allen, allen, die darauf gewesen waren – außer mir, dem Einzigen!“

Rolf Görnemann seufzte tief auf – er war mit seiner Erzählung am Ende. Der alte Leupold preßte ihm stumm die Hand, daß sie schmerzte; Ilse sagte kein Wort. Der Kapitän machte dem jungen Menschen ein Zeichen, er möge dies ihrem Schmerz zugute halten, es ihr nicht übelnehmen. Langsam, wie ein gebrochener Mann, erhob er sich von seinem Sitz. „Komm, mein Mädel! Sag’ dem jungen Herrn Deinen Dank – er verdient’s!“

„O, Herr Kapitän ich bitte Sie! Gnädiges Fräulein – ich –“

Ilse aber hob gehorsam die Hand, reichte sie Rolf Görnemann und sagte mechanisch: „Ich danke Ihnen!“

Dem jungen Menschen stiegen die Thränen in die Augen, als er die schmale Hand küßte; stumm geleitete er seine Gäste bis zur Thür. Was hätte er ihnen zum Trost sagen können? – –

Oheim und Nichte traten den Rückweg in ihren Gasthof an.




17.

„Jan Grenboom, Du gehst gleich zu meinem Schwager, dem Herrn Baron von Doßberg – Du weißt doch, wo er wohnt?“

„Hm!“

„Und sagst ihm mit ’nem schönen Gruß von mir – aber gut aufpassen, verstanden?“

„Hm!“

„Du sagst ihm also, ich wär’ mit seinem Mädel, der Ilse, glücklich wieder aus G. zurück – das heißt, heil und gesund, glücklich nicht! Denn die verdammte Zeitung hat die Wahrheit gesagt, die ‚Nixe‘ ist hin mitsamt ihrem Kapitän – na, da kann sich ja mein Herr Schwager selbst ’n Vers drauf machen! Und nun wär’ sein Mädel ’n bißchen kapntt – und schlafen hätt’ sie so gut wie gar nicht können, und weil sie den Herrn Papa doch bloß immer aufheitern und ihm Komödie vorspielen muß – nein, halt’ ’mal, das sag’ lieber nicht! Bloß, sie hielt’ es einfach jetzt nicht aus, sich da zu ihm hinzusetzen und ihm in aller Vergnüglichkeit um den Bart zu gehen; deshalb behalt’ ich sie hier bei mir bis zum Abend und schick’ sie oder bring’ sie ihm selbst ins Haus. Und er soll sich’s nicht beikommen lassen, sie irgend ’was zu fragen. Da ist nichts zu fragen – Schiff und Kapitän sind verloren, Punktum! Sie kann nichts reden, sie soll in Ruh’ gelassen werden, drum bleibt sie den Tag über bei mir. Alles verstanden?“

„Ob!“

„Alles gehörig an den Mann bringen?“

„Ob!“

„Na, dann troll’ Dich und halt’ das Maul und sag’, was Du zu sagen hast! Die Dido läßt Du zu Hause – Du kannst doch nicht wie ’n Eulenspiegel durch die Gassen laufen! Komm her, Frauenzimmer!“

Das Aeffchen that einen behenden Satz von Jan Grenbooms Arm zu Kapitän Leupolds Schulter; eifrig griff sein Händchen in eine von seines Herrn Rocktaschen und brachte ein paar Nüsse zum Vorschein, die es hurtig aufknackte.

„Wart’, Du unverschämte Kreatur! Wer heißt Dich ohne Erlaubnis Nüsse holen? An die Kette mit Dir!“ In der Nähe von Catos Bauer, in dem dieser gerade die waghalsigsten Turnübungen ansteckte, wurde Dido an die Kette gelegt, eine Prozedur, die der Papagei mit einem schmetternden Hohngelächter begleitete.

Der alte Leupold trat zu Ilse ins „Achterdeck“. Das junge Mädchen saß da, ein Schmuckkästchen von edelster maurischer Arbeit und eine feine venetianische Goldkette im Schoß, die sie scheinbar mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. Es waren Geschenke ihres Onkels, Reiseerinnerungen, die er eben seiner Nichte verehrt hatte, und das war viel von ihm, der auf diese Dinge jederzeit so großen Wert gelegt und bisher noch kein einziges Stück von seinen ausländischen Einkäufen weggegeben hatte. Ilse sah aus, als Leupold hereinkam und sich neben sie setzte.

„Möchtest gewiß wissen, wie ich alter Weiberfeind. ’mal dazu gekommen bin, mir allerlei Frauenzimmertand in fremden Ländern auf den Hals zu laden, was?“

Ilse merkte die gnte Absicht, sie zu zerstreuen, und nickte mit einem schwachen Lächeln.

„Ja, damals, als ich das Zeug kaufte, war ich noch kein alter Weiberfeind, sondern ein junger Weiberfreund! Sonderbar, das jetzt von mir zu denken, hm?“

„Eigentlich nicht, Onkel! Du kannst doch nicht immer so gewesen sein, wie Du jetzt bist.“

„Nein, natürlich nicht! Lang’ her freilich, daß ich auf Schmuckkram für Weiber Jagd machte! Hing mit der zusammen!“ Er deutete rückwärts mit dem Daumen nach der „büßenden Magdalena“. „Hast Du Dir nie – aber aufrichtig sein, Prinzeß Ilse! – den Kopf drüber zerbrochen, wer sie“ – wieder die Bewegung mit dem Daumen – „gewesen ist?“

„O ja. Onkel, das hab’ ich gethan.“

„Na, versteht sich! Alle Frauenzimmer sind neugierig wie die Nachtigallen! Dann hast Du wohl auch die Geschichte nicht geglaubt, die ich allen Leuten auf die Nase band, daß mir das Bild in Florenz gefiel und ich mir’s deswegen hab’ kopieren lassen?“

„Nein!“

„Ist auch kein wahres Wort dran. Von Anfang bis zu End’ gelogen! So eine wie die da hat’s nämlich gegeben – ganz genau so eine! Wo ich sie gefunden hab’? Zu Aberdeen in Schottland ist’s gewesen. Wir hatten Unglück gehabt auf dem ‚Albatros‘, so hieß damals mein Schiff, und ’n gutes Schiff war’s und ’n williges Schiff, haben viel zusammen durchgemacht, der ‚Albatros‘ und ich! Also nun kaputt, und mit Müh’ und Not in den Hafen geschleppt und in die Docks gebracht zum Ausbessern. Na, das dauerte lange, und unterdessen konnt’ ich sehen, wie ich mir die Zeit vertrieb. Und ich hab’ sie mir vertrieben, wunderschön sogar, die Tage und Wochen flogen. Auf der Straße, wo ich herumlungerte, bekam ich sie zu sehen – und gleich wie ’n Verrückter, weg in derselben Minute – Blitz und Schlag! Also ihr nachgestiegen und gesehen, wo sie wohnte, ausgekundschaftet, wie sie hieß, ob sie noch zu haben war – na, und was ich sonst noch brauchte. Am andern Tag ihre Bekanntschaft gemacht – ja, so ’n Teufelskerl war ich damals – griff mir schlankweg das schönste Mädel aus ganz Aberdeen und dachte: das gehört sich nicht anders, und das allerschönste ist für mich gerade gut genug. Das Wunderliche dabei war, daß ich ihr gut genug war. Keine acht Tage, da waren wir verlobt und ich rein wie besessen, wie toll – überhaupt keinen andern Gedanken als sie, und bei jeder Erinnerung an Trennung schwach wie ’ne geknickte Lilie! Fort mußt’ ich aber schließlich doch, in ’nem halben Jahr indessen, da sollt’ ich wiederkommen und sie gleich mitnehmen nach Siam, so war’s verabredet worden, und sie freute sich mächtig auf die Seereise und auf Siam und auf mich – ja, auch auf mich, sagte sie. Ich also unterwegs für sie eingekauft, was meine Augen sahen – sie war arm, aber ich saß schon ganz hübsch in der Wolle, und konnte ich’s besser anlegen als so? Allerhand Krimskrams handelte ich ein,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_306.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2020)