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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

auch das Zeug, das Du da jetzt auf dem Schoß hältst, und die Kajüten in meinem alten ‚Albatros‘ ließ ich fein machen mit Teppichen und Bilderu und Vorhängen wie für ’ne Prinzessin. Und dazwischen schrieb ich Briefe auf Briefe und seufzte und bangte mich wie ’n Schmachtlappen. Ich sag’ Dir aber auch: ’s war der Mühe wert! Meine Augen haben manches Schöne gesehen und sehen es auch heute noch“ – Kapitän Leupold neigte seinen kurzen derben Nacken ein wenig gegen seine Nichte, um anzudeuten, das solle ein Kompliment für sie sein – „aber gegen jene aus Aberdeen kommt sobald nichts auf. Wenn die ihre rote Mähne schüttelte und die Augen so spielen ließ – hei, wie konnten die Mannsleute da des Teufels sein! Und als dann alles in Bereitschaft war, Schmucksachen und Kajüte und schöne Kleider, da fuhr ich hin, nach Aberdeen, sie zu holen, mitzunehmeu .... wer aber nicht in Bereitschaft war, das war sie. Einfach auf und davon mit ’nem flotten Spanier, der noch mehr Geld gehabt und ihr am Ende noch besser gefallen hatte als der simple Schiffskapitän. Mich hatten die Leute schon manchmal gewarnt und zumeist der Julius Kamphausen, der Vater Albrechts. Der hatte immer gesagt: trau’ nicht! Wie mir zu Mut gewesen ist, das kann ich nicht beschreiben und will es auch nicht. Nur gut, daß mir keiner sagen konnte, wohin sie sich eigentlich gewendet hatte, und daß sie auch weiter verschollen blieb. Ich war ’ne Zeit lang in solcher Berserkerwut, ich hätt’ sie totgeschlagen, wenn ich sie gefunden hätt’! Aber sie war längst fort, und die Welt ist groß. Also setzte ich mich denn allein in meine Prachtkajüte und fuhr nach Siam und spiegelte mich in all den Herrlichkeiten, die ich ihr zulieb in meiner Verrücktheit aufgespeichert hatte. Eine reizende Hochzeitsreise war’s und prachtvolle Flitterwoche hab’ ich gehabt. Sonst war ich kein schlimmer Kapitän, und meine Mannschaft hat mit mir zufrieden sein können – aber die damals mit mir auf dem ‚Albatros‘ uach Siam gefahren sind, die haben des Glaubens sein müssen, sie hätten den leibhaftigen Teufel an Bord statt ’nes gewöhnlichen Kapitäns. Ich wollte mit Gewalt aus meiner Haut ’raus, na, und das gab ’nen bösen Tanz ab. So nach und nach, da wurd’ ich mit mir fertig, aber mit den Weibern auch; ich hab’ ’nen Strich gezogen, ’nen harten Strich, da darf mir kein Frauenzimmer ’rüber. Den Artikel ‚Herz‘, den hab’ ich abgeschafft, für den hatt’ ich keine Verwendung mehr. Wie ich dann nach ’n paar Jahren ’mal nach Florenz gekommen bin und mir zu meinem Zeitvertreib auch im Palazzo Pitti die Bilder besehen hab’ – ich seh’ gern gute Malereien an – da mußt’ ich beinah’ laut auflachen, als ich die „büßende Magdalena“ da hängen sah! Die? Das ist ja Deine schöne schottische Freundin, wie sie leibt und lebt! Solch ’ne weiße Haut hat die auch gehabt und solch rotes Haär in wilden Locken – und auch ebenso schöne sündige Augen, die ganz so, ganz so durch helle Thränen zu mir aufsahen, als sie von mir Abschied nahm .... bloß daß sie sich kurze Zeit darauf ganz munter und, versteht sich, ohne Thränen in der Welt umsahen, ob nicht einer käme, der diesen Augen am Ende noch besser gefiele als der verliebte Seemann. Die dort in Florenz, die hat ein Mann gemalt, der schon ein paar Jahrhunderte tot ist – meine Schottin kann ihm also nicht Modell gesessen haben. Aber weil ich gern ’ne Erinnerung haben wollte an die größte Verrücktheit meines Lebens und auch ’ne Warnung, obgleich ich mich für ganz geheilt hielt, so ließ ich mir das Ding kopieren, und ’n schönes Stück Geld hat’s mich gekostet. Gut ist’s aber geraten, so gut, wie ’ne Kopie werden kann. Da hängt sie nun und büßt und weint auf ihre Art, und ich seh’ sie nie an, ohne daß mir allerlei Gedanken kommen. Das eine aber sag’ ich Dir, Prinzeß Ilse: kein Mensch auf der Welt kennt diese Geschichte außer Dir, und sagst Du irgend einem ein Sterbenswort davon, dann sind wir geschiedene Leute! So schlecht aber denk’ ich nicht von Dir – wenn einem Frauenzimmer auf Erden, dann trau’ ich Dir. Und weil Dir das Meer den Liebsten genommen hat, darum hab’ ich Dir dies Kapitel von der ‚büßenden Magdalena‘ erzählt .... Glaub’ mir, der ist noch übler dran als Du, dem das Leben das Liebste raubt! Das Meer – dabei ist Gottes That, und Gott kann geben und nehmen, aber des Menschen eigene Treulosigkeit und Schlechtigkeit, die macht uns das Herz im Leibe tot, und um solch ’n Menschenherz ist’s doch manchmal schade, ja, manchmal schade!“

Ilse sagte kein Wort zu Leupolds Erzählung, aber sie hatte zugehört, die Genugthuung wurde ihm – ihre Augen bewiesen es. Er nahm ihre Rechte und klopfte ’mit seiner Hand darauf, sehr sanft und zart, wie er meinte. Aber Erich Leupold hatte es verlernt, Liebkosungen auszuteilen, es war gar zu lange her, daß er sich darin geübt hatte. Eine feine Mädchenhand, die verstand er nicht mehr zu behandeln, wohl aber eine wunde Mädchenseele – Ilse fühlte, wie ihr die Nähe dieses seltsamen alten „Weiberfeindes“ merkwürdig gut that. Der Alte wäre sehr erstaunt gewesen, wenn er dies gewußt hätte, er, der mit dem Artikel „Herz“ schon so lange, lange Jahre gänzlich aufgeräumt zu haben glaubte.

„Mädel,“ fragte er endlich in die lange Stille herein, „hast Du Dir in der Nacht, wo Du gar nicht geschlafen hast in Deinem Unverstand, irgend ’was über Deine Zukunft zurechtgelegt? Ich mein’ bloß ... so wie ich Dich kenn’ – immer neben dem Herrn Papa dasitzen –“

„Nein, nein, Onkel Erich!“ Zum erstenmal blickte und sprach Ilse ein wenig lebhafter. „Das möchte ich nicht, das halt’ ich nicht aus! Etwas zu thun muß sich für mich finden, muß, sag’ ich Dir, wenn ich nicht kläglich an mir selbst zu Grunde gehen soll;, irgend eine Aufgabe muß da sein, an die ich meine ganze Kraft setzen kann –“

Leupold nickte befriedigt. „Recht so! Na, da hab’ ich mich ’mal nicht in ’nem Menschen getäuscht, abgleich der Mensch ’n Frauenzimmer ist. Natürlich, ’ne Aufgabe! Aber welche?“

„Ich kann mich von Papa nicht trennen, Onkel!“

„Das ist unmöglich! Er, der ohnehin kaum halb mehr lebt, und ich fort von ihm .... nein, niemals!“

„Hm! Aber wenn nun - sieh ’mal, ich mein’ ja bloß so – aber wenn nun, der Mensch soll lieber gleich an alles denken – na, wen bringt uns der alte verrückte Tapir, der Jan Grenboom, denn da zum Haus geschleppt?“

„Ich kann jetzt niemand sehen, Onkel!“

„Versteht sich! Was solltest Du jetzt mit Menschen? Aber das Nilpferd muß seinen letzten Rest von Verstand eingebüßt haben, weiß, wie hier die Sachen stehen, und bringt ’nen Fremden .... nein, ’s ist doch kein Fremder! Uberwind’ Dich ’mal, Prinzeß, sieh zum Fenster hinaus! Ist das nicht Euer Doktor Morschewsky?“

„Um Gotteswillen, es wird doch nichts mit Papa“ – das junge Mädchen war aufgesprungen und an die Thür geeilt. Ehe sie diese erreicht hatte, öffnete Jan Grenboom sie schon von außen und schob mit ein paar völlig unverständlichen Knurrlauten, die vielleicht eine Ankündigung, vielleicht eine Entschuldigung bedeuten sollten, seinen Begleiter über die Schwelle.

Doktor Morschewsky war ein feiner ältlicher Herr, noch sehr hübsch und beträchtlich eitel, was ihn aber nicht hinderte, zugleich ein vortrefflicher Arzt zu sein, der ein bewundernswert sicheres Auge, eine feste und doch leichte Hand besaß und somit das Zutrauen seiner zahlreichen Kranken vollauf rechtfertigte. Mit den Doßbergs war er seit langen Jahren in Verbindung und hatte sich dort im Hause allgemach die Stellung und Rechte eines Freundes erworben.

Mit einem freien und leichten Anstand, der den vornehmen schlanken Mann gut kleidete, verneigte er sich vor Ilse und dann vor Kapitän Leupold. „Verzeihen Sie gütigst mein Eindringen, Herr Kapitän. Ich weiß, Sie sind kein Freund von unerwarteten und ungebetenen BesUcheN: Schieben Sie den meinigen auf die Dringlichkeit der Sache, die den Anlaß zu meinem Erscheinen giebt!“

Der Kapitän nahm die dargereichte frauenhaft zarte Männerhand und drückte sie mit seiner braunen „Tatze“ kräftig, dann rückte er dem Gast einen Stuhl zurecht.

„Setzen Sie sich hin, Doktor, und reden Sie!“

Der Arzt nahm zunächst Ilses Hand und küßte sie. „Ich war bei Ihrem Vater, liebe Isolde, als der Bote des Herrn Kapitäns kam. Ich weiß nicht, was Ihnen geschehen ist, Ihr Vater hat es mir nicht gesagt. Wird das, was ich Ihnen jetzt mitzuteilen für meine Pflicht halte, als Arzt wie als Freund, einen neuen Kummer, eine neue Sorge hinzufügen .... dann, bitte, vergeben Sie mir! Wir Menschen können nur nach unserem besten Ermessen handeln, unser Wissen ist Stückwerk, und einer höhern Macht bleibt es vorbehalten, was wir in unserer Kurzsichtigkeit schauen, zu durchkreuzen oder zum glücklichen Ende zu führen.“

Kapitän Leupold ließ ein ungeduldiges Räuspern hören. Was sollten all’ die schönen Redensarten?

„Ich komme zur Sache!“

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_307.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2020)