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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

hatte, den Hügel hinan, auf dem die alte Kapelle stand. Es war kein großer Zug – eine stille kleine Hochzeit sollte es sein, hatte die Braut gewünscht, die noch um ihre Mutter trauerte, und man hatte das erklärlich gefunden. Niemand von den Gästen hatte sie bisher zu sehen bekommen; sie war unmittelbar aus ihrem Ankleidezimmer durch eine Seitenpforte in den harrenden Wagen gestiegen – jetzt kam sie am Arm ihres Gatten heran.

Diejenigen, die sich die schöne Ilse von Doßberg als Opferlamm vorgestellt hatten, und das war weitaus die Mehrzahl der Hochzeitsgesellschaft, fanden sich schwer enttäuscht. Nichts von einer sanft ergebenen Duldermiene, nichts von einem entsagenden tragischen Blick! Es war ein neuer Ausdruck in dies reizende Gesicht gekommen, der es eigenartig verwandelte, ein Zug von Schwärmerei um Augen und Lippen. In den warmen dunkeln Augen lag ein feuchter verklärter Glanz, der liebliche Mund zeigte ein gerührtes Lächeln. So trat die schöne Gestalt in den weißen langschleppenden Brokatgewändern, den Myrtenkranz mit dem duftigen Schleier über dem Goldhaar, in den dämmerigen kühlen Raum der Wolframskapelle.

Die Töne der kleinen alten Orgel verhallten in langsamem Ausklingen. Das Sonnengold, das durch die bunten Malereien der Fenster hereinsah, verzitterte in mattroten und violetten Lichtern auf dem teppichbelegten Fußboden. Steife vergoldete Engel mit langen Flügeln sahen wie verwundert von der Höhe der Decke auf die beiden herab, die jetzt an den Stufen des Altars nebeneinander standen. Dem grauhaarigen Geistlichen bebte die Stimme, als er den Eingangsgruß sprach. Er kannte Ilse von Doßberg seit ihrer frühesten Jugend, er hatte ihr den ersten Unterricht erteilt, hatte sie eingesegnet und ihr Geschick mit herzlicher Teilnahme verfolgt. In banger Frage streifte sein Blick die Braut und dann Herrn von Montrose. Er konnte gegen den Bräutigam nichts sagen, es gab im Gegenteil recht viel, was für ihn sprach. Alle Verbesserungen, die der arme Baron Doßberg geplant und aus Mangel an Mitteln hatte fallen lassen müssen, hatte der neue Besitzer der „Perle“ ins Leben gerufen. Das alte Schulhaus war umgebaut, eine Darlehenskasse errichtet worden, die Schulkinder hatten einen schönen Spielplatz, sowie eine hübsche Bibliothek bekommen, demnächst sollte ein Krankenhaus in Angriff genommen werden – ohne allen Zweifel ein wohlwollender, ein gütiger Herr, mit offener Hand und hellem Verstand ... aber doch, aber doch! Die junge schöne Ilse – konnte sie denn zu ihm stimmen? Das fragte sich innerlich auch, ebenso wie der alte Pfarrer, der Landrat Melchior, der unausgesetzt seine Blicke zwischen dem Paar hin und her gehen ließ und, ohne sich dessen bewußt zu sein, einmal ums andere den Kopf schüttelte bei dem Gedanken, was das wohl für eine Ehe abgeben werde .... und der alte Leupold fragte sich’s zu allermeist. Seine hellen Augen verschwanden fast unter den breiten gesträubten Brauen, die Stirn lag in grimmigen Falten, und grimmig war dem Kapitän zu Sinn, als er auf seinen Schwager Doßberg blickte und dann auf das Paar, wie wenn er sagen wollte: „Da sieh, was Du angerichtet hast! Dein Werk ist diese Ehe, Du bist schuld daran!“

Schuldbewußt sah er drein, der arme Baron! Schneeweiß geworden, das Haupt tief gebeugt, als wollte er nichts sehen und hören von allem, was um ihn vorging, mit seiner nervösen zitternden Hand unaufhörlich den Hut glättend, den er in der Linken hielt .... man erkannte ihn kaum wieder.

Bleich bis in die Lippen, den Kopf im Nacken, ein mühsam erzwungenes Lächeln um den Mund, stand Clémence von Montrose in starrem raschelnden Damast neben Mock. Dem gutherzigen und leichtlebigen Offizier war gar nicht wohl an der Seite dieser Dame, er musterte sie immer von neuem, halb besorgt, halb mißbilligend, und äußerte später gegen Zeno, ihm sei ganz bange gewesen in der Kirche: diese Clémence habe ausgesehen, als sei sie randvoll mit Wut geladen, und das kleinste Fünkchen könnte eine bedenkliche Explosion herbeiführen. Und, guter Gott, wie sah der Kamerad Montrose aus! Er mußte seinen langen Urlaub benutzt haben, um verteufelt rasch zu genießen; jedenfalls gewährte er den Anblick eines Menschen, der mit voller Rücksichtslosigkeit auf sich eingestürmt hat und mit seiner Gesundheit nahezu fertig ist. Sein Gesicht, das nie besonders wohlwollend im Ausdruck gewesen war, trug einen so ausgesprochen hämischen Zug und in seinen Augen lag so viel kalte Bosheit, daß Oesterlitz den kleinen Zeno heimlich am Arm faßte und ihm zuraunte: „Wissen Sie, der Montrose sieht heillos ungemütlich aus! Schlecht mit ihm Kirschen essen! Ich mein’, der macht’s nicht mehr lange!“ Zeno nickte, sagte aber kein Wort; ihm war elegisch zu Mut, sehr elegisch. Der kleine braune Lieutenant, der so rasch mit der Zunge war, besaß bedeutend mehr Gemüt, als er zu zeigen für gut fand. Für Ilse von Doßberg hatte er immer eine Art platonischer Schwärmerei empfunden; es war ihm nie beigekommen, um das schöne Mädchen zu werben, er hatte ihr nicht einmal den Hof gemacht, aber er konnte sich nicht helfen, sie stimmte ihn allemal poetisch, und wenn er sich in den verschwiegenen Tiefen seines Busens ein Ideal bewahrt hatte, so trug es ohne Zweifel Ilses Züge. Und nun sah er sie hier am Altar stehen, an eines alten Mannes Seite, als Stiefmutter dieser beiden unliebenswürdigen Montroses, ein Opfer ihrer Kindesliebe! Es war schön. es war edel von ihr, das stand ja fest, aber dem kleinen Zeno schnitt es tief ins Herz.

Der alte Pfarrer sprach einfach und herzlich. Von der Heimat redete er, die jeder suchen und finden müsse, von der droben, dann von der anderen hienieden auf Erden, welch köstliches Ding es für so ein armes Menschenkind sei, sich sagen zu können: hier bist Du daheim! Und er legte es der jungen Braut ans Herz, es mit Dankbarkeit zu empfinden, daß der Gatte ihr und den Ihrigen die alte Heimat wiedergegeben, und flehte, es möchte allen zum Segen gereichen. Und zuletzt strömte des alten Mannes Herz über in Liebe zu der, die er als schönes glückliches Kind gekannt, und er sagte ihrem Gatten, heute habe er einen Schatz gehoben, edler und reicher als alle Güter dieser Welt: ein reines Frauenherz; er möge diese Gabe hoch halten vor allen andern und seinem jungen Weibe die schönste und sicherste Heimat gewähren, die es je finden könne: die Heimat an seinem Herzen! Dann kam die Trauung, die Stimme der alten Orgel ertönte von neuem, feierlich und ernst, und die Feier war vorüber.

Als die neue Frau von Montrose zu ihrem Vater herantrat, da zitterte der arme Baron von Kopf bis zu Fuß. Aber Ilse legte ihre weichen Arme um seinen gebeugten Nacken und küßte ihn und sah ihm lächelnd in die Augen, und es war kein müdes hoffnungsarmes Lächeln, es lag etwas Stolzes, Freudiges darin. Sie hatte dem alten Mann das Leben, die Heimat erhalten, sie fühlte sich beseelt von dem besten redlichsten Willen, glücklich zu machen .... mußte sie dann nicht auch glücklich sein? - - -

Ein luxuriöses Mahl im Bankettsaal des Schlosses, Trinksprüche in Prosa und Versen .... dann, während die Hochzeitsgesellschaft noch beisammen blieb, ein hastiger Aufbruch des neuen Ehepaares. Sie wollten sofort ihre geplante Reise nach dem Süden antreten, die sie monatelang der alten Heimat fernhalten sollte.

Liebreizend, ein wenig blaß und befangen, erschien die junge Frau in ihren dunkeln Reisekleidern. Armin, der schlank und hoch aufgeschossene junge Mensch in der flotten Marineuniform, hatte dem Sekt tüchtig zugesprochen und nahm nun einen so feurigen Abschied von Ilse, daß er sie gar nicht wieder aus den Armen lassen wollte; seine ganze begeisterte Liebe für die Schwester kam zum Durchbruch. Die Offiziere küßten nacheinander Ilses Hand, Zeno mit sehr ernstem Gesicht. Georges von Montrose streifte kaum mit dem Rand der Lippen die dargereichte Rechte seiner neuen Stiefmutter. Sie sah ihn wie bittend, wie überredend aus ihren schönen Augen an – ein schneidendes Lächeln ging über seine Züge, seine flackernden Augen irrten unruhig über die anmutige Gestalt, dann trat er zurück, und Clémence berührte mit eisig kalten Lippen für eine Sekunde Ilses goldenes Stirnhaar. Der neue Gatte stand mit wachsamem Blick daneben, jetzt reichte er Ilse den Arm, um sie die Freitreppe hinunterzuführen – noch ein letztes Lebewohl für den Vater, und der Wagen entführte die Neuvermählten.




19.

„Nein, nein, Mama. Du kannst mir’s glauben, eben hab’ ich’s im Fremdenbuch gefunden. Chevalier E. de Montrose nebst Gemahlin von Rom.“

Die alte Dame im braunen Seidenkleid hob Augen und Hände gen Himmel. „Aber das ist ja ein Skandal, das ist – ich finde einfach den Ausdruck nicht, um zu sagen, was das ist! Für mich ist es geradezu widerwärtig, das zu sehen – auch ist es eine Blamage für mich, denn hab’ ich nicht gestern abend zu diesem süßen Geschöpf gesagt: ‚Gnädiges Fräulein, Ihr Herr Papa erwartet Sie draußen‘!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_320.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2022)