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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Langsam hatte der Bub’ den Kopf erhoben. „Du mußt mehr sein als ein Geißhirt! Wer bist denn Du?“

„Ich bin ein Gottesmann! Weißt Du, was das ist?“

„Wohl wohl, so einer wie der Hiltischalk. Den hab’ ich einmal gesehen – der hat ein schwarzes Häs.“

„Mehr weißt Du nicht von ihm?“

„Wohl wohl: und weiße Haar’ hat er, weil er alt ist.“

„Und ein Kirchlein hat er, ia dem das Glöcklein läutet. Und einen lieben Vater im Himmel! Hast nie von dem gehört?“

„Wohl wohl, ich mein’ schon, ich hätt’ so ’was reden hören!“ Stöhnend griff der Knabe nach seinen schmerzenden Füßen.

„Schau’, mein Büebli,“ sagte Eberwein, die Arme fester um den Knaben schlingend, „schau’, das ist ein treuer Vater, dem alle guten Meuschen liebe Kinder sind. Wer leiden muß, den tröstet er, und wer in Not gefallen, dem bringt er Hilf’ ...“

„Mir auch?“ klang scheu und zitternd die Stimme des Knaben.

„Freilich, Büebli! Denn alles weiß er und alles kann er. Er hat Dich gesehen in Deinen Schmerzen und hat zu mir gesagt: geh’ hin und hilf dem Huzebuben – und wie ich gegangen bin, Dich suchen hat er mir ein kleines Dirnlein geschickt, das mir den Weg gewiesen, ein Dirnlein, das Dich lieb hat! Gelt, Du weißt schon, wen ich mein’?“

„Ach Du guter Mann!“ rief der Knabe, lachend in seinen Schmerzen. „Es wird doch nicht das Trudli gewesen sein?“

„Das Dirnlein des Bauern, dem Du die Geißen hütest!“

„Das Trudli, das Trudli!“ Der Name des Kindes war das einzige Wort, das der Knabe fand in Weh und Freude.

Eine stumme Weile verging, dann begann Eberwein wieder zu sprechen; es lag ihm das Herz auf den Lippen, und leuchtend öffnete sich die ganze Tiefe seines reinen hoffenden Glaubens, so wie ein Fels in geheimnisvoller Stunde die verschlossenen Schätze zeigt. Der Knabe that keine Frage mehr; er lauschte nur und schien im Lauschen seiner Schmerzen vergessen zu haben; nur manchmal zuckte sein Körper unter halb ersticktem Schluchzen und seine Arme klammerten sich fester um den Hals des Mönches. Eberwein sprach – und wie guter Same, der schon keimt, da er die Erde berührt, fiel jedes seiner Worte in das Herz des Knaben.

Wüster Lärm klang aus der Höhe. Die Berauschten sangen und schlugen die Tafel mit den Fäusten. Die Mägde weigerten sich, den Saal zu betreten – es mußten die Knechte bedienen und die Metkrüge schleppen. Draußen dämmerte schon der Abend, und das Zechen wollte kein Ende nehmen. Den ganzen Bau des Hauses durchschütterte das johlende Geschrei und das Poltern der stürzenden Krüge und Sessel.

In Reckas Kammer, in welcher schon die Leuchte brannte, hallte der Lärm, daß die Wände zitterten. Vom gelösten Haar umringelt, im weißen Schlafgewand, lag Recka im Erker, das Gesicht in die Arme vergraben. Sie hörte nicht, daß die Thüre der Zeugkammer sich öffnete; es war der Bub’, der die Falken pflegte; in seiner Hand trug er das Federkleid, das er dem verendeten Liebling Reckas abgestreift. Scheu trat er zum Erker. „Herrin!“

Recka fuhr auf; als sie den Balg des Vogels sah, griff sie nach ihm, breitete auf ihrem Schoß das Gefieder aus und strich mit zitternden Händen über die Schwingen. Ihre Augen wurden naß. Der Bub’ ging zur Thüre, dort blieb er zögernd stehen. „Herrin! Ich mein’, daß ich weiß, wie Dein Falk hat umkommen müssen. Willst mich nicht verraten, wenn ich red’?“

Recka hatte sich erhoben. „Sprich!“

„Ich sag’s, weil mir leid ist, denn ich hab’ den Vogel lieb gehabt.“ Der Bub’ faßte den Balg und deutete auf eine Stelle der Innenseite. Schau’ her, da hat die Haut einen Stich wie von einer Nadel ...“ Er griff in das Wams. „Und schau’ die Spulnadel an: sie ist rostig von Blut. Durch das ganze Ingeweid’ ist der Stich gegangen. Den Tag, ’vor Du ausgeritten bist, auf den Abend, da ist Dein Falk noch frisch und gesund gewesen – ich bin um Wasser gegangen, und wie ich wiederkomm’, hat der Vogel getrauert.“

Mit zornigem Griff umklammerte Recka das Handgelenk des Buben. „Wer war in der Kammer?“

Scheu blickte der Knabe gegen den Saal, aus welchem das Geschrei der Zechenden hallte. Er wollte sprechen, doch Recka schob ihn ungestüm zurück. „Schweig! Ich könnte, wenn der Zorn mich faßt, den Namen nicht wahren.“ Sie öffnete das auf dem Erkertisch stehende Kästlein und reichte dem Buben eine silberne Spange. „Nimm!“ Er schüttelte den Kopf und legte die Hände hinter den Rücken „Ich hab’ nicht um Lohn geredet!“

„Nimm!“ wiederhalte Recka zornig, dann atmete sie tief auf und sagte leise: „Nimm nur! Ich weiß, Du bist dem Vogel gut gewesen!“ Sie drückte dem Buben die Spange in die Hand.

Als er gegangen war, hefteten sich ihre funkelnden Blicke auf die Saalthür, und die Fäuste auf den Busen drückend, rief sie mit bebender Stimme: „Wann kommt die Reih’ an mich?“ Zum Erker wankend umschlang sie stöhnend ihr Haupt mit den Armen. „Hol’ mich, Mutter, hol’ mich! Bei Dir wär’ Glück und Ruh’!“ Sie sank auf den Sessel und griff nach dem Federkleid des Falken; doch ihre Blicke glitten darüber hinweg, durch das offene Fenster und nieder über den abenddämmerigen See zum Fischerhause, dessen Thüre rot leuchtete vom Wiederschein des Herdfeuers. „Ich that ihm Unrecht!“ flüsterte sie und drückte das Gefieder des Falken über die brennenden Augen. Raschelnd strich der Abendwind durch die welkenden Bäume, die sich zum Erker erhoben. In der Tiefe murmelte der See, der in sachten Wellen ging, und leise Stimmen zischelten durch das schwankende Röhricht.

In der stillen Hofreut des Fischerhauses stand Sigenot, durch die Dämmerung emporspähend nach Wazemanns Haus. Wicho trat zu ihm: „Hörst, wie sie lärmen?“

„Sie zechen. Die Nacht über werden sie liegen im Rausch, und mein Haus ist sicher vor ihnen bis zum Morgen. Trag’ das Netz in den Einbaum und mach’ die Pechpfann’ fertig, wir ziehen auf die Fischweid. Der Kalter ist leer und das Haus hat Leut’!“

Während Wicho ging, um alles für die Fahrt zu rüsten, schritt Sigenot zum Lugaus. Im schwarzen Abendschatteu der Eichen saß Edelrot, die Hände im Schoß, versunken in ihre Träume, die sich webten aus banger Sorge und süßer Lust. Seufzend hob sie die Augen, als der Bruder sich an ihre Seite setzte. Er schlang den Arm um die Schwester, Rötli lehnte das Köpfchen an seine Brust und so saßen sie wortlos ...

Eine Stunde später, als der stahlblaue Himmel schon übersät war mit blitzenden Sternen, fuhr Sigenot mit Wicho zum Fischfang aus. Plätschernd schlugen die sachten Wellen an den Einbaum, der am Fuß der Falkenwand vorüberglitt. Vor einer Ecke des Felsens stockte das Ruder in Sigenots Hand – es war die Stelle, an welcher er in jener Sturmnacht den Gransen gefunden. „Soll ich zünden?“ fragte Wicho. Ohne Antwort zu geben, trieb Sigenot den Einbaum weiter. In tiefer Schwärze lag der weite Seekessel vor ihm, und der Wind trug das dumpfe Rauschen eines Wildbachs über das Wasser her. Gegen die Mündung dieses Baches steuerte Sigenot den Kahn. In der Rähe des Ufers hielt er, hob das Ruder und ließ sich im Spiegel des Schiffes nieder. Lautlos schwankte der Einbaum auf den linden Wellen, während Sigenot empor spähte zum Falkenstein. Fast eine Stunde verging; dann schwieg auch der letzte Laut in Wazemanns Haus, die Hunde schliefen und alle Fenster waren dunkel.

„Zünd’ die Pfann’!“

Wicho schlug Feuer und warf den glimmenden Schwefelfaden auf die mit Pech getränkten Späne. Lodernd wuchs die Flamme, ihr greller Schein fiel über den See und lockte die Fische aus der Tiefe. Der Knecht warf die Schwimmer aus und ließ die Maschen gleiten, während Sigenot im Bogen führ. Als sie das Netz hoben, war es schwer, überall im Garne zappelten die Hechte, die Salmen und Ferchen. „Solchen Zug haben wir nicht oft gethan!“ rief Wicho lachend.

„Ich weiß, wer das Netz so schwer gemacht,“ sagte der Fischer ernst, „denn ich hab’ den ersten Zug den Klosterleuten zugelobt.“

„Den ganzen Zug? Da wird der dicke Bruder lachen! Wenn er wüßt’, was ihm zusteht, er möcht’ wohl springen vor Freud’!“

Bruder Wampo hatte wohl keine Ahnung, daß seiner gedacht wurde beim Fischfang in stiller Nacht. Und dennoch spraug er um diese Stunde, aber nicht vor Freude. Schreck und Sorge hatte die Brüder befallen, als die Nacht erschien, ohne daß Eberwein heimkehrte zur Klause. Da sie meinten, er hätte sich auf dem Rückweg im pfadlosen Wald vergangen, zogen sie die Glocke, damit ihr Hall ihn rufe. Laut, wie klagend, tönte die eherne Stimme in der stillen Nacht – doch Eberwein kam nicht. Stunde um Stunde verging, er kam nicht. Nun beschlossen sie, Pater Waldram sollte bleiben, denn seine Kräfte waren schwach, und von Zeit zu Zeit die Glocke rühren, während Schweiker und Wampo mit Spanlichtern auszieheu wollten, um Eberweins Namen durch den Wald zu rufen. Schweiker stieg zur Ache nieder; Bruder Wampo nahm die Richtung gegen die Ramsau. Er zitterte an allen Gliedern,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_327.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2020)