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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

diesem Augenblick hundsmiserabel. Na, setz’ Dich und gieß’ für Dich und mich ’n Glas Xeres ein. Edler Tropfen, kann ich dir sagen!“

„Du darfst also Wein trinken?“

„Und ob! Ohne Wein kein Leben für mich!“

„Was sagt denn Morschewsky? Wie berurteilt er Deinen Zustand?“

„Ach – na, was soll der sagen? Was heißt Zustand beurteilen! ’s ist ja nichts!“

„Unsinn! Du mußt Dich pflegen und schonen, Kapitän, Du darfst bei Deiner Krankheit –“

„So hör’ doch endlich ’mal mit meiner Krankheit auf!“

„Aber deshalb bin ich doch hergekommen!“

„Bloß deshalb? Sonst gar kein Verlangen, mich zu sehen nach so langer Zeit? Hm!“

„Das schon, Kapitän, aber Du weißt, vielmehr, Du wirst Dir’s denken können, daß ich ohne zwingende Veranlassung nicht hierhergekommen wäre.“

„Sehr schön von Dir, doch zu kommen. Nimm’s nur nicht übel, daß ich jetzt nicht gleich sterbe – man kann das wirklich nicht so genau berechnen!“

Albrecht lächelte. „Nein, ich nehm’ es nicht übel. Es ist mir so doch am Ende lieber!“

„Mein Testament ist beim Gericht hinterlegt – alles bis aufs Tüpfelchen geordnet. Nun setz’ Dich endlich her und red’ von Dir!“

„Du darfst Dich also unterhalten?“

„Ja, zum Teufel! Darf, darf! Hat sich ’was! Also red’ von Dir!“

„Da ist nicht viel zu sagen. Es geht mir gut.“

„Hm! Das hör’ ich gern! Ganz gut?“

„Dienstlich, gewiß! Ich gebe Unterricht – Du weißt ja – an der Marineakademie in Kiel. Zu Anfang wollte es mit dem Stubensitzen und Stundengeben nicht so recht vom Fleck, mir fehlte das Meer, das Kommando, kurz, der ganze Seekapitän. Aber als ich meine Vernunft zu Hilfe nahm und mir sagte: das muß sein, da wurde es denn auch, und ich kann nicht anders sagen: jetzt macht mir’s Freude, und ich hab’ auch Erfolg, bin kein schlechter Lehrer. Die jungen Leute hängen an mir, und ich nehme viel Anteil an ihnen. Und doch – ein Heimweh nach der See und nach den Schiffsplanken unter meinen Füßen, das wird mir, fürcht’ ich, bleiben bis an mein Lebensende.“

„Glaub’ ich Dir, Kapitän! Was meint denn der Arzt? Will er Dich nicht wieder aktiv werden lassen?“

„Nein! Ich hab’ zur Sicherheit mehrere gefragt in Kiel, in Hamburg, tüchtige bedeutende Männer, Spezialisten ... sie kamen alle darin überein: mit dem Kapitänsein ist’s zu Ende, die Lungen sind nicht mehr taktfest – aber was red’ ich Dir denn das alles vor, Kapitän? Ich hab’ Dir ja immer ausführlich von allem geschrieben zum Lohn für Deine berühmten Episteln im Telegrammstil!“

„Was? Telegrammstil? Warum?“

„Kann man Deine Briefe anders bezeichnen? ‚Bin gesund‘ oder ‚bin krank – das und das ist passiert!‘ Punktum. Aus ist’s!“

„Ja, was wolltest Du denn sonst noch von mir wissen, Kapitän?“

Albrecht strich langsam seinen braunen Schnurrbart. „Nun doch so allerlei! Wenn man auch für seine eigene Person an – an manche Menschen keinerlei Ansprüche mehr erhebt und darauf verzichtet hat, in irgendwelche Beziehungen zu ihnen zu treten – wissen möchte man am Ende doch, wie sie leben, wie es ihnen geht, und so wär’ es denn von Dir – ah!“ Er hatte während des Sprechens eine rasche Bewegung gemacht und sah nun erst die beiden großen Photographien.

Kapitän Leupold, der mit innerer Spannung auf diesen Augenblick gelauert hatte, mühte sich, ganz unbefangen auszusehen. „Ach so, die Bilder! Ja, die hab’ ich immer da stehen.“

Kamphausen nahm eine der Photographien in die Hand und betrachtete sie schweigend. Seine starken Brauen waren zusammengezogen, um den Mund bildete sich ein finsterer Zug. „Das ist sie!“ sagte er endlich und setzte das Bild vorsichtig wieder hin.

„Die Prinzeß Ilse, ja!“ entgegnete Leupold gleichmütig. „Und das ist ihr Junge, der Erbe von ‚Perle‘.“

„Ein schönes Kind.“

„Ach was, immer sagen sie alle: schön! Na ja, ’s ist wahr, er gleicht seiner Mutter aufs Haar, ’s ist förmlich zum Lachen, und von den Montroses hat er nichts abgekriegt. Aber die Hauptsache bleibt doch: gesund ist die Krabbe und klng ist sie! Sieh’ Dir auch ’mal den Bengel, den Armin an! Hübsch breit ausgelegt und gut im Stand, was? Und ’n tüchtiger Offizier zur See, alles, was wahr ist!“

Kamphausen nickte zerstreut. Es kam eine Stockung in daa Gespräch.

„Wolltest Du nicht vor ’ner Weile ’was zu mir sagen, Kapitän, als von meinen kurzen Briefen die Rede war? Du fingst ’nen Satz an –“

„Ganz recht!“ Es schien Albrecht lieb zu sein, daß der alte Leupold darauf zurückkam. „Ich wollte Dir sagen, daß Du mir wohl etwas weniger sparsame Mitteilungen hättest liefern können in Bezug auf – auf sie!“ Er sah nach dem Bilde hin.

„Ja, mein Sohn, wie sollt’ ich das wohl, nachdem sie“ – der alte Leupold sah ebenfalls nach dem Bilde – „nachdem sie mir gesagt, Du hättest sie damals in Mentone wie ’ne Verbrecherin behandelt.“

„Das hat sie gesagt? Wörtlich?“

„Na, ob nun wörtlich oder nicht – ’was Aehnliches war’s, was sie sagte! Sie hat dazumal steif und fest geglaubt, Du wärest tot – und ich, nimm mir’s nicht übel, hab’ das ebenfalls geglaubt. Und so hielt sie sich für verpflichtet, dem Alten, mit dem es ganz nach Matthäi am letzten aussah, das Leben zu retten, und da nahm sie diesen Montrose. Was sie das gekostet hat, sieh ’mal, das weiß ich und ich hab’ Dir’s damals auch, so gut ich konnte, geschrieben. Du aber gehst hin und behandelst das arme Ding in Mentone so! Und da sollt’ ich die Courage haben, Dir allerlei Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen?“

Kamphausen blickte finster zu Boden und atmete schwer. „Ich konnte es nicht aushalten, sie an eines andern Mannes Seite zu sehen!“ sagte er in gepreßtem Ton.

„Das nehm’ ich Dir nicht übel; ’n vergnüglicher Anblick kann das nicht für Dich sein. Aber nun denk’ Dir ’mal aus: wie wird ihr zu Mute gewesen sein? Und was hat sie wohl empfunden, als Du da mit einem Mal auftauchtest?“

„Hat sie es Dir gesagt?“

„Die? Mir? Wird sich hüten! Die hat den Leupoldschen Charakter: tragen, was nicht mehr zu ändern ist, ohne lange Redereien und ohne Geschrei und Geheul! Das hat sie von mir, ganz offenbar, nicht van ihren Herren Eltern. Aber ich kenn’ sie – ich hab’ lesen können in dem Gesicht, also, ich weiß, was ich weiß.“

„Als Du mich vor ein paar Jahren in Kiel besuchtest, Kapitän, da hast Du ihren Namen kein einziges Mal genannt.“

„Wie soll ich das wohl, wenn Du damit nicht den Anfang machst! Damals lebte ja auch Montrose noch, war eben der Stammhalter und Erbe der ‚Perle‘ geboren, alles eitel Glück und Seligkeit – so von außen mein’ ich, so obenhin! Und da sollt’ ich kommen und Dir solche Sachen erzählen, Dir, der ’n Gesicht hatte wie ’ne Wetterwolke, wenn ich bloß ’mal gelegentlich den Namen Doßberg aussprach?“

Kamphausen blieb die Antwort auf diese Frage schuldig. Es entstand ein neues Schweigen, nur Cato, der auf seiner Stange hockte, sprach tiefsinnig in sich hinein: „Verrückte Welt! Verrückte Welt!“

„Jetzt aber,“ fing Albrecht zuletzt von neuem an „jetzt, Kapitän, könntest Du mir wohl einiges Nähere mitteilen – das heißt, nein, Du hast schon so viel und so lebhaft gesprochen, ich habe Deine Krankheit ganz vergessen, es könnte Dir schaden. Soll ich am Ende jetzt gehen und lieber gegen Abend wiederkommen?“

„Na, das fehlte noch! Ums Himmelswillen, Mensch, bleib’ sitzen und red’ keinen Unsinn!“ Leupold packte seinen Gast beim Aermel, um ihn nötigenfalls mit Gewalt festzuhalten. „Ist ja alles dummes Zeug – das heißt, ich mein’, man muß nichts übertreiben. Bin ja keine Prinzessin, aus Mondschein und Lilienduft gewoben, sondern ’ne wetterfeste alte Teerjacke. Die hält schon ’was aus! Das Reden thut mir gut. Ich – ich hab’ heut’ ’nen günstigen Tag. Also – was soll ich Dir erzählen?“

„Alles, was seither geschehen ist. Zunächst – wie war eigentlich die Ehe? Es war doch ein ungleiches Paar! Hieltest Du die beiden für glücklich?“

Leupold zog die buschigen Augenbrauen zusammen. „Glücklich – glücklich, lieber Kerl, das ist so ’n eigener Begriff, davon hat, möcht’ ich sagen, jeder seine besondere Auffassung. Was für den einen ’n wahrer Segen ist, wird für den andern zum Fluch. Er war glücklich, soweit ich das Verhälnis durchschauen konnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_336.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)