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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Jetzt soll Euch der Rauch einen Tag lang beißen! Dann komm’ ich wieder und heb’ den süßen Schatz!“

Ein Wehlaut schloß diese Worte, und mit beiden Händen griff Bruder Wampo nach seiner Glatze; er spürte zwischen den Fingern noch die Biene, die ihn gestochen hatte; kreischend schüttelte er sich, rannte der Lichtung zu, raffte im Laufe einen Klumpen Erde auf und drückte ihn stöhnend über sein Köpflein. „Schweiker! Schweiker!“ schrie er mit seiner heiseren Stimme. Doch hätte Bruder Wampo auch einen Ruf gethan so mächtig wie das Gebrüll eines Löwen – es wäre wohl kaum zu Schweikers Ohr gedrungen.

Hoch oben auf dem Hang des Göhl saß Schweiker noch immer in der Stube des Greinwalders und hielt die Hände der Hirtin fest, damit ihre bösen Schmerzen nicht wiederkehren möchten. Er hatte sich seines Traumes in jener ersten Nacht erinnert, und da begann er nun zu forschen, wie es um das „Seelgerät“ der Hirtin bestellt wäre. Erschrocken über das zweifelhafte Ergebnis seiner Fragen rief er: „Kindl, Kindl! Sauber und gewaschen liegst vor mir, aber einwendig schaut’s bei Dir noch aus, daß einem grausen könnt’!“ Während draußen im Hof die Beilschläge des Greinwalders klangen, der das zertrümmerte Thor wieder zusammenflickte, fing Bruder Schweiker zu sprechen an und predigte der lauschenden Hirtin den Himmel ... seinen Himmel. Es war ein Himmel, den man greifen konnte mit Händen. Um zu beweisen, wie schön es im Himmel wäre und welche Wonne man von der ewigen Seligkeit zu erwarten hätte, schilderte er die Qualen, welche die Heiligen und Märtyrer auf Erden erduldet hatten, um all dieser himmlischen Freuden teilhaftig zu werden. Er wählte die Geschichten seiner Lieblingsheiligen ... das waren jene Märtyrer, für welche die „wüsten Heiden“ die grausamsten Leiden ersonnen hatten.

Hinzula zitterte an allen Gliedern, und ihre Augen wurden feucht, als sie hörte, wie standhaft die Heiligen all ihre furchtbare Marter ertragen hatten. „Ja sag’ nur, sag’ ... und das alles ist wahr?“

„Freilich, mein liebes Kindl, so wahr, wie daß ich bei Dir sitz’!“

„Aber wie kann denn ein Mensch solche Leiden nur aushalten?“

„Das kann freilich nur ein Heiliger, weißt, den der liebe Gott gekräftiget hat und gespeiset mit Himmelsbrot!“

„Himmelsbrot? Was ist denn das für eins?“

„Das ist von allem das best’! Das backen die guten Engel im Himmel, und wer so fromm ist, daß ihm Gott ein Bröcklein schickt davon, der fühlt in Leid und Schmerzen sein Herz erhoben zu reiner Freud’ und Süßigkeit, der spüret nimmer Schmerz und Kummer, und seine Seel’ thut jauchzen und ist voll von all dem Glück, das ihr der liebe Gott gegeben. Gelt, für so ein Himmelsbrot, da möcht doch ein jeder gern leiden bis aufs Blut? Meinst nicht auch?“

Hinzula nickte. „Freilich, da möcht’ mir auch ein Bröcklein schmecken!“ Mit träumendem Lächeln blickte sie zu Schweiker auf – und nun schwiegen sie alle beide und hingen Aug’ in Auge.

„Wohl wohl!“ stotterte Schweiker nach einer Weile, aus seiner Verlorenheit erwachend. „Was hab’ ich denn sagen wollen? Richtig, ja ... alleweil’ in der höchsten Not, wenn die Kräft’ die Heiligen schier haben verlassen wollen, hat ihnen der liebe Gott einen Engel geschickt mit Himmelsbrot. Schau’ nur, wie’s dem heiligen Laurenzi gegangen ist ...“

„Hat der auch so viel leiden müssen?“

„Wohl wohl! Paß nur schon auf, ich erzähl’ Dir alles ...“ Während Schweiker die Legende begann, trat draußen in der Hofreut die Bäuerin zu ihrem Mann. „Ja sag’ nur. was ich thun soll? Jetzt hockt er noch alleweil’ drin! Es muß schon lang’ über Mittag sein ... ich muß ja Feuer schüren und kochen.“

Der Greinwalder kratzte sich hinter den Ohren. „Ich weiß mir selber keinen Rat. Hinauswerfen ... das wird sich hart machen. Der Unfirm möcht mir ja alle Knochen im Leib brechen. Meinetwegen, setz’ die Supp’ halt zu! Jetzt ist er da – soll er halt mitessen!“

Durch die offenen Fenster klang Schweikers Stimme: „Und richtig, wie es ihm der heilige Vater Sixtus, der ihm vorangegangen ist im Martertod, vorhergesagt hat ... drei Tag’ später, da haben ihn die heidnischen Schergen gepackt und haben verlangt von ihm, daß er die heiligen Kirchenschätz’ den Richtern ausliefern soll.“

„Solche schieche Leut’!“ stammelte Hinzula.

„Da hast recht! Und was hat der heilige Laurenzi gesagt? Wohl wohl, hat er gesagt, kommet nur morgen, und alle Schätze meiner Kirche will ich Euch zeigen ... hat er gesagt!“

„Geh’, das ist aber doch nicht recht von ihm gewesen!“

„Wart’ nur, wie’s weiterkommt, wart’ nur! Am andern Tag haben sich die Schergen wieder eingestellt, und da hat der heilige Laurenzi die Kirch vor ihnen aufgethan, und die ganze Kirch’ ist voll gewesen mit Kranken, mit armen notbeladenen Leuten. Schauet hin, hat er gesagt, schauet hin, das sind die Schätze meiner Kirche.“

Schweikers Stimme schwankte vor Rührung, und Hinzulas Augen füllten sich mit Thränen. „So ein guter guter Mann!“

„Und weißt, was sie ihm gethan haben? Einen eisernen Rost haben sie hergeschleift, haben einen ganzen Haufen heißer Kohlen drunter ausgebreitet, und wie der Rost über und über geglüht hat, haben sie den heiligen Laurenzi lebendigen Leibes draufgelegt.“

„All Ihr guten Mächt’,“ rang es sich mit erstickten Lauten von Hinzulas Lippen, „wie kann man denn einem guten Menschen so ’was thun!“

„Gezischt und geprasselt hat’s, und Rauch und Feuer ist aufgegangen von seinem schönen Lockenhaar. Der heilige Laurenzi aber ist standhaft geblieben und hat nach einer Weil’ gerufen: ‚Schauet her, die eine Seite ist genug gebraten, jetzt wendet mich auf die andere!‘“

„Hör’ auf, hör’ auf, ich kann’s nimmer hören!“ flehte Hinzula und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Erschrocken sprang Schweiker auf, und während ihm selbst die dicken Zähren über die Backen kollerten, suchte er das Mädchen mit stotternden Worten zu trösten. Doch Hinzula hörte nicht, sie schluchzte und schluchzte. „Kindl, Kindl!“ rief er in heller Verzweiflung. „So hör’ doch auf, das Weinen muß Dir ja schaden!“

Unter herzzerbrechendem Schluchzen jammerte die Hirtin: „So viel leiden hat er müssen, so viel leiden!“

„So thu’ doch nimmer weinen! Das ist ja doch viele hundert Jahr’ schon her, und schau’ ... wer weiß, ob’s wahr ist!“ Der Jammer und sein zitterndes Erbarmen hatten ihm diese bedenklichen Trostworte auf die Zunge gelegt; er selbst erschrak, als sie gesprochen waren, und griff mit beiden Händen an seine Stirn, als ginge ihm alle Besinnung aus den Fugen.

Die Bäuerin trat in die Stube, ein Bündel dürren Holzes auf den Armen. Als sie das Schluchzen ihres Kindes hörte, warf sie das Holz auf den Herd und eilte zum Bett. „Ja was thust denn?“ fuhr sie den Bruder an und beugte sich über die Schluchzende. „Jetzt macht’ er mir die sieche Dirn’ noch weinen!“

Schweiker brachte kein Wort über die bleichen Lippen. Hinzula aber bezwang ihr Schluchzen und stammelte. „Mutter, Mutter so thu’ doch ihn nicht schelten! Er hat doch keine Schuld ... ich selber ... und ... der heilige Laurenzi!“ Brummend ging die Greinwalderin zum Herd, und während sie Feuer schlug, rief sie über die Schulter zurück. „Der Bauer hat gesagt, Du kannst mitessen! Hörst!“

„Mitessen?“ fragte Schweiker. „Hat denn das Kindl noch kein Frühmahl gehabt?“

„Frühmahl? Ja bist denn Du gescheit? Es geht doch schon bald auf den Abend zu.“

„Auf den Abend?“ Dem Bruder fuhr der Schreck in alle Glieder. „Allmächtiger Gott, wo bin ich denn gewesen! Mein Herr! Mein guter guter Herr!“ Er stürzte zur Thüre; als er den schluchzenden Ruf der Hirtin hörte, drückte er die Hände über die Ohren, dennoch hielt es ihn fest auf der Schwelle. Mit verstörten Blicken hing er an dem Mädchen, dann schüttelte er den Kopf, wehrte mit den Armen und taumelte aus dem Hause. Mit langen Sprüngen gewann er das Thor, rannte in seiner blinden Eile den Bauer nieder und war schon im Wald verschwunden noch ehe der Greinwalder wieder auf die Füße zu stehen kam. Keuchend und erschöpft erreichte Schweiker die Klause. Auf der Thürschwelle saß Bruder Wampo, der ein Stück Rasen über seinen Kahlkopf gebunden hatte, um den Schmerz des Bienenstiches zu lindern. Schweiker hatte kein Auge für den drolligen Anblick dieser seltsamen Kappe; nach Atem ringend, stieß er die Frage hervor: „Ist unser Herr daheim?“

„Nein, nein.“

„Hat ihn der Pater nicht gefunden?“

„Ich weiß nicht ...“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_359.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2020)