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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

wo sechs Bischöfe bei seinem Eintritt aufstanden und ihn als Lehrer grüßten.“

Es war also sehr begreiflich, daß Frau Hadwig den Wunsch hegte, solchen Unterrichts auch teilhaftig zu werden. und Ekkehard dafür zu gewinnen suchte. Es gelang ihr; sie hatte sich, ehe die Oberen davon wußten, seines guten Willens versichert.

„Dies gab der Abt ungern zu . . . aber Ekkehard setzte es doch durch, worum er gebeten war. Er kam am verabredeten Tage nach Hohentwiel, ungeduldig erwartet, sie nahm ihn höher auf, als er selbst wollte, und führte ihren Lehrer, wie sie sagte, an der Hand in das Gemach, welches zunächst dem ihrigen war. Dort trat sie bei Tag und Nacht mit einer vertrauten Dienerin ein, um zu lesen, doch standen immer die Thüren offen, damit niemand Grund zum Argwohn hätte, wenn er sich solcher Gedanken unterfangen wollte. Oft fanden dort Dienstmannen und Ritter, auch die Vornehmen des Landes, beide zusammen über den Büchern oder im gelehrten Rat. Durch ihre harte und wilde Art aber empörte sie den Mann oft und vielmals wäre ihm wohler zu Hause gewesen, als bei ihr zu wohnen. So hatte er selbst aus Demut geboten, das Rückentuch und den Vorhang seines Bettes wegzunehmen, sie aber befahl, den zu züchtigen, der es weggenommen hatte, und wurde kaum durch große Bitten ihres Lehrers abgehalten, diesem Menschen Haut und Haare vom Kopf ziehen zu lassen.“

Es ist ferner die Rede von reichen Geschenken, welche Hadwig nimmer müde wurde, dem verehrten Manne oder dem heiligen Gallus darzubringen: seidene Mäntel, Oberkleider und Stolen (auf einer derselben war die im „Ekkehard“ erwähnte Hochzeit des Mercurius und der Philologie mit Gold eingestickt). Und einen großen Raum nimmt in diesen Aufzeichnungen das nächtliche Einschleichen des bösen Rudimann in das Kloster des heiligen Gallus ein, seine persönliche Feindschaft gegen Ekkehard und das entschiedene Eintreten der Herzogin für denselben, bis endlich die den Klosterfrieden aufs tiefste aufwühlende Unthat durch gesetzmäßige Buße gesühnt und allerseits Versöhnung geschlossen wurde.

Ein sehr lebhaftes Interesse für ihren berühmten Lehrer war also bei der Herzogin entschieden vorhanden. Wie weit dasselbe ging und ob in dem nahen Zusammenleben nicht doch dann und wann ein verschwiegenes Sehnen ihr stolzes Herz bewegte – diese Frage verhallt gegenüber einem vielhundertjährigen Schweigen. Aber das Recht, sie zu beantworten, hat der Dichter, dessen schöpferischer Phantasie es gegeben ist, „indem er die alten Gebeine ausgräbt, sie zugleich auch mit dem Atemzug einer lebendigen Seele anzuhauchen“, und er hat im vorliegenden Fall aufs glücklichste seines Amtes gewaltet. Die herben Züge der geschichtlichen Hadwig sind nicht gefälscht, nur von einem Gefühl verklärt, das sie gerade so empfunden haben kann, wenn uns auch nichts darüber berichtet ist.

Der anfangs so scheue und später so leidenschaftdurchglühte Ekkehard des Romans freilich hat nur das Pförtneramt des heiligen Gallus und die körperliche Schönheit mit seinem Urbild gemein, nicht einmal die Autorschaft des Waltariliedes. Auch das gute Schwert des seligen Herrn Burkard kann er nicht gegen die Ungarn geschwungen haben, weil deren Einbruch ins Hegau lange vor seiner Zeit stattfand.

Aber alles, was jener feindlichen Springflut damals vorausging – der Eintritt des wilden Heeres in das von seinen Insassen verlassene Kloster Reichenau und der Empfang durch den blödsinnigen Heribald, die Geschichte der Klausnerin Wendelgard, die Verschanzung der St. Galler Brüder im Wald über dem Kloster, alles dies und noch viel mehr steht ausführlich in der Chronik des jüngeren Ekkehard, welche Gustav Freytag in seinen prächtigen „Bildern aus der deutschen Vergangenheit“ der allgemeinen Kenntnis zugänglich gemacht hat.

Diese Chronik enthält auch zum Schluß des von Ekkehard II. handelnden Kapitels den Vermerk: „Unterdes wurde Ekkehard auf Betrieb der Hadwig an den Hof der Ottonen, des Vaters und Sohnes, gezogen, als kaiserlicher Kaplan, als Lehrer des jungen Königs (Ottos III.) und als Helfer bei den wichtigsten Geschäften. Dort zeigte er sich in kurzem so tüchtig, daß alle sagten, er habe eines der höchsten Bischofsämter zu erwarten. Denn auch die Königin Adelheid (Gemahlin Ottos I. und Mutter Ottos II.), die jetzt heilig gesprochen ist, liebte ihn ausnehmend.“

Die späteren Lebensschicksale Ekkehards aber sind in der Geschichte wie im Roman ungewiß. Sein Name verschwindet wieder aus den Aufzeichnungen; neueren Forschungen zufolge starb er als Propst zu Mainz 990.

Frau Hadwig überlebte ihn und baute in ihrer beschaulichen Witweneinsamkeit ein Frauenkloster auf dem Hohentwiel. Dort starb sie am 28. oder 29. August 994.

Die späterhin zur starken Festung umgeschaffene Burg auf dem Bergkegel hat noch mancherlei Schicksale erlebt. Im Dreißigjährigen Krieg hielt sie ihr tapferer Kommandant Wiederhold siegreich gegen fünfmaligen Ansturm, auch im Spanischen Erbfolgekrieg 1703 vermochten die Franzosen nicht, sie mit Gewalt zu nehmen. Aber 1800 übergab sich ihnen die schwache Besatzung selbst und General Vandamme ließ die Mauern und Türme zerstören.

... Heute überwuchert üppiges Grün die altersgrauen Trümmer, zu welchen jahraus jahrein Unzählige emporsteigen, um die Stätte zu sehen, wo vor Jahren Frau Hadwig lebte und starb. Der Blick fliegt heute wie damals von der Mauerbrüstung frei hinaus über das Hegauer Land mit seiner fruchtbaren Ebene und seinem Kranz von kühnen, stolz aufragenden Bergen, über den leuchtenden Bodensee und die fernen Alpengipfel, er senkt sich auch mit einem dankbar wehmütigen Gedächtnis nach dem Städtlein Radolfzell hinab, wo derjenige am liebsten weilte, dessen Dichterphantasie der Herzogin Hadwig zur Unsterblichkeit verholfen hat.


Der Hohentwiel.





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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_365.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2020)