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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Kaffee ist ihm viel gesünder. Erlauben Sie, daß ich hier in den Milchtopf . . .“ Sie hob vorsichtig die Kaffeekanne, um den Grund nicht aufzurühren, und klärte den Rest in den Topf ab, der noch nicht leer war. „Ich pflege bei Landpartien dem Kutscher immer Kaffee zu geben,“ bemerkte sie. „Er fühlt sich so mehr zur Familie gehörig und paßt hinterher besser auf.“ Sie warf Zucker hinein, rührte mit dem Löffel um, der kaum den Boden fand, und schmeckte. „Hübsch süß, das lieben die Leute!“ Dann legte sie auf einen Teller mehrere Stücke Kuchen. „So – das will ich ihm selbst in die Krugstube bringen. Man spricht bei der Gelegenheit gleich ein verständiges Wörtchen wegen der Rückfahrt.“

In der einen Hand den fast bis zum Rande gefüllten Kaffeetopf, in der andern den Teller mit dem Gebäck, machte sie sich in ganz kleinen Schritten auf den Weg, immer bedacht, dem Schwanken des graubraunen Trankes und dem Herabgleiten des Kuchens rechtzeitig Einhalt zu thun. Frau Schöneberg ging ihr nach. „Erlauben Sie, daß ich Ihnen helfe!“

„Danke, danke, es geht schon.“

Während sie mit gebeugtem Rücken und weit vorgestreckten Armen weiter trippelte, teilte Frau Schöneberg ihr mit, daß sie die Wirtin zur Abräumung des Geschirrs herausschicken und dann gleich die Bowle zurechtmachen, auch etwas zum Abendessen bestellen wolle. Sie hätten ja den Korb auf dem Wagen, meinte Frau Streckebein.

„Etwas müssen wir nehmen,“ entgegnete ihre Begleiterin. „Ich denke an Rührei und Schinken, oder vielleicht . . .“ Sie traten ins Haus ein und setzten dort ihre Beratungen fort.

Martha hatte sie nicht aus den Augen gelassen. Es war ihr von großer Bedeutung, diese beiden gefährlichsten Aufpasser los zu sein. Mit Lieschen sang sie deren Schullieder, schwenkte sie an den Armen herum, jagte sich mit ihr am Tisch vorbei. Sie schien sehr lustig zu sein. Endlich machten sie wieder am Ringspiel Halt. Von dort konnte man ein Stück in den Waldweg hineinsehen. Martha kehrte ihm, während Lieschen den Ring in Bewegung setzte, halb den Rücken zu, blickte aber öfters über die Schulter. Mit allen ihren Gedanken war sie bei dem hübschen jungen Maler, der sie immer mit so verliebten Augen ansah. Diese Augen! Martha gestand sich, es seien gefährliche Augen. Sie hatten ihr’s gleich bei der ersten Begegnung angethan. Es traf sich so zufällig, daß er immer, wenn sie aus der Klavierstunde oder vom Gesanglehrer kam, auch nach Hause ging oder ihren Weg kreuzte. Das war ihr nun eines Tages so komisch vorgekommen, daß sie lachte. Und darauf hatte er sie keck angesprochen und sich erkundigt, ob ihr sein großer, oben eingedrückter Schlapphut Spaß mache. Das nächste Mal hatte er schon wie ein alter Bekannter gethan und dann im Hause Besuch gemacht. Sie erfuhr von ihm, daß sie die längsten und stärksten Zöpfe habe, die er noch je bewundert, und in den Augen so etwas Unsagbares ... er möchte sie für sein Leben gern zu malen versuchen. Viel fehlte gar nicht, daß sie seiner Aufforderung folgte, sich doch einmal sein Atelier anzusehen. Ein kleines Bild – Selbstporträt von ihm – ließ sie sich in die Musikmappe schieben, um dann in großen Sorgen zu sein, wie sie es vor der Mama sicher genug verstecken könne. Da er immerfort bat, schenkte sie ihm ihre Photographie; er mußte aber versprechen, sie keinem Menschen zu zeigen. Und dann hatte sie ihm heute früh ganz beiläufig gesagt: „Wir fahren nach dem ‚Eulenkrug‘.“ Wenn die Eltern das alles wüßten! Und nun sollte sie gar mit ihm allein in den Wald! Ihr schlug doch ängstlich das Herz. Nun stand er da im Gebüsch und winkte. Sie nickte und traute sich doch nicht. Es schickte sich gewiß gar nicht . . . aber es wär’ doch so schön gewesen!

Lieschen zupfte sie am Rock. „Du – Großmama ist fort. Komm, wir wollen schaukeln!“

„Es ist verboten“ antwortete sie mit einer recht schulmeisterlichen Miene. Aber richtig war’s doch: die Großmama war fort und die Mama auch, und eben kam die Wirtin, das Kaffeegeschirr abzunehmen, und die beiden Herren spaßten mit ihr. Wenn sie nur einen zur Begleitung hätte mitnehmen können – natürlich einen, der nicht störte, aber doch da war und den Maler hinderte, zu dreist zu werden. Da ging ihr’s plötzlich wie ein Licht auf: Lieschen! Und ohne sich weiter zu besinnen, fragte sie: „Wollen wir einmal Blumen pflücken, Lieschen?“

Das Kind wor sofort bereit. „Ach ja, Blumen pflücken, das ist hübsch!“ Lieschen hing sich an ihre Hand und hüpfte vor Vergnügen.

„Du versprichst aber, sehr artig zu sein, ja? Und plauderst auch gar nichts aus?“

„Was soll ich nicht ausplaudern?“

Martha merkte, daß sie sich selbst schon verplaudert hätte. „Komm nur,“ sagte sie, „dort wachsen die schönsten Blumen!“

Eben ging die Wirtin mit dem Kaffeebrett voll Sachen hinter ihr dem Hause zu. Jetzt mußte es geschehen. „Greife mich!“ rief sie und lief dem Gebüsch zu. Lieschen lachend hinterdrein.

Vanhusen ließ sie vorüber und holte sie dann bald ein. An der nächsten Biegung des Weges bot er Martha den Arm. Sie zögerte, aber nur ein kleines Weilchen. Die Kleine war selig, Blumen pflücken zu können, wo es ihr gefiel. –

Am Tisch saßen Schöneberg und Opitz, ihnen gegenüber Ida. „Ein ganz sauberes Weibchen,“ sagte ersterer, der Wirtin nachschauend.

„Versieh Dir nicht die Augen,“ riet Opitz ganz ernst. „Du bist verheiratet.“

„Spaßvogel!“

Opitz schielte zu der schönen Frau hinüber und warf ihr von Zeit zu Zeit auch ein paar Worte zu, die wenig zu bedeuten hatten und mit einer gleich nichtssagenden Redensart beantwortet wurden. Seine Gedanken beschäftigten sich ganz anders mit ihr. Sie gefiel ihm längst schon, aber er konnte immer noch nicht mit sich einig werden, ob ein Antrag zu wagen sei. Das heißt zu wagen . . . es schien eigentlich kein großes Wagnis. Eine Witwe – und das Kind! Und in glänzenden Verhältnissen lebte sie durchaus nicht. Das Putzgeschäft ging ganz gut, aber sie mußte doch den ganzen Tag fleißig arbeiten und ersparte gewiß wenig. Die Alte lebte von einer kleinen Pension, Vermögen war nicht da. Er selbst stand nicht mehr in den Jahren, wo man sich einen verliebten Streich leicht verzeiht. Er hatte sein gutes Auskommen, lebte recht bequem als Junggeselle und war ein bißchen verwöhnt. Seine Schwester hänselte ihn oft genug, daß er doch noch die rechte Zeit verpassen werde. Nun meinte er wohl, sie sei gekommen, hatte aber doch keinen Mut, zuzugreifen. Und es war auch noch nicht so gewiß, ob Ida ihn mochte. Er wußte, daß sich ihr schon manche gute Partie geboten hatte und daß sie jede bisher ausgeschlagen. Heute hatte er sich mit dem Gedanken auf den Wagen gesetzt, es müsse zur Entscheidung kommen. In Gottes freier Natur würde sich doch wohl die Gelegenheit finden, ein Wörtchen unter vier Augen ... Und nun hätte sich’s schon so einrichten lassen, wenn Schöneberg nicht gerade einer zu viel gewesen wäre. Wie ließ er sich fortschaffen?

Diese Erwägungen machten ihn nicht unterhaltender. Der Rentier sah nach der Uhr, pfiff sich etwas vor und unterdrückte nur mit Mühe ein Gähnen. Endlich griff er entschlossen in die Tasche und zog ein Spiel Karten hervor. „Wie wär’s mit einer Partie Skat,“ rief er. „Hast Du ’was dagegen, Hermann?“

Das paßte Opitz jetzt gar nicht. „In Gottes freier Natur!“ antwortete er varwurfsvoll.

„Ist ja nichts Böses,“ meinte Schöneberg.

„Na aber . . . was meinen Sie, Frau Ida?“

Sie packte aus einem kleinen zierlichen Täschchen eine Handarbeit aus. „Ach, von mir kann ja gar nicht die Rede sein. Ich spiele so schlecht –“

„Um so mehr gewinnen wir,“ ermuthigte Schöneberg.

„Das könnte Ihnen gefallen,“ sagte Ida schmollend, indem sie mit den spitzen Fingern ein Röllchen Spitzen aufwickelte. „Eine arme Witwe ausziehen –“

„Wir können ja meinetwegen den Point einen Viertelpfennig spielen.“

„Es läßt schon tief blicken, daß Du Dir zu dieser Landpartie die Karteu in die Tasche gesteckt hast.“

„Aber zum Zeitvertreib –“

„Wie ein richtiger Bauernfänger. Wir sind hier, uns von der warmen Sonne bescheinen zu lassen, frische Luft zu schnappen, überhaupt ein ländliches Vergnügen zu genießen. Habe ich nicht recht, Frau Ida?“

Sie lächelte. „Aber ich begreife nicht, weshalb Sie sich so ereifern.“

„Ich kann mir nicht helfen, es gehört mir nun ’mal nicht in die Situation. Wenn man so viel besseren Zeitvertreib hat . . .“ Er winkte ihr mit den Augen.

Schöneberg wurde ärgerlich. „Na, dann lassen wir’s doch!“ Er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_370.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2021)