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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


     Halle vom neuen Wasserturm aus gesehen.


Die Jubelfeier der Universität Halle.

Von 0Rudolf von Gottschall.0 Mit Zeichnungen von 0O. Günther-Naumburg.

Welchen Anteil die deutschen Hochschulen an der Entwicklung unserer Kultur und des öffentlichen Geistes gehabt haben, darüber erteilt besonders die Geschichte unseres Jahrhunderts Auskunft. Und wenn dieser Anteil in der neuesten Zeit, in welcher Handel, Wirtschaft und vor allem der Krieg das entscheidende Gewicht in die Wagschale der nationalen Entwicklung warfen, etwas geringer geworden ist, so bleibt sich doch unsere Nation stets mit Stolz der hohen Bedeutung ihrer Universitäten bewußt. So erscheint bei uns die Jubelfeier einer Universität nicht als ein Fest, das nur in abgeschlossenen Kreisen gefeiert zu werden verdient; sie gewinnt mehr oder weniger das Gepräge eines volkstümlichen Festes, und wenn auch im Laufe der Jahrhunderte in den Universitätshallen viel Staub und Moder aufgewühlt worden ist und viele gelehrte Perücken auf unfähigen Köpfen gesessen haben, so berichtet doch auch die Chronik der Hochschulen davon, wie lebhaft die Geister hier aufeinander geplatzt sind im Kampf um die höchsten Güter der Menschheit und wie die Leuchten der Wissenschaft weit hinein ins Volk ein segensreiches Licht getragen haben.

Die Hallenser Universität, die am 12. Juli dieses Jahres ihr zweihundertjähriges Jubiläum feiert, hat stets zu denen gehört, an welchen sich ein reges geistiges Leben entfaltet hat; schon ihre Gründer zählten zu den freien Geistern deutscher Nation, die ihre eigenen Wege gingen und von der strengen Gelehrsamkeit, die besonders an der Pleiße ihren Sitz hatte, in Acht und Bann gethan worden waren. Thomasius und Francke bauten die Universität Halle auf im Kampfe mit der engherzigen Fakultätsweisheit, die sie von Leipzig vertrieben hatte.

Christian Thomasius, der Sohn des Rektors der Leipziger Thomasschule, geboren am 1. Januar 1655, studierte anfangs Philosophie, später die Rechte. Er erregte Anstoß durch die von ihm verfolgte freiere Richtung, durch seine Vorlesung über den damals in Sachsen verbotenen Pufendorf, durch die deutsche Ankündigung seiner Vorlesung 1687, durch die Herausgabe deutscher Monatsgespräche, „Freimütige, Lustige und Ernsthaffte, jedoch Vernunfft- und Gesetzmäßige Gedanken“ und durch seine rückhaltlose Verurteilung des verzopften Universitätswesens. „Es herrschte,“ sagte er später einmal, „auf denen evangelischen Universitäten folgender Zustand des Vorurtheils menschlicher Autorität: z. E. in der Philosophie anstatt der Logik eine grobe Zankkunst, anstatt der natürlichen Gotteslehre tumme, aber dabey tollkühne und ketzermacherische Grillen; anstatt einer ächten Sitten- und Regimentslehre unnütze Pedantereyen, damit man nicht einen Hund hätte aus dem Ofen locken können, oder handgreifliche Jesuitische Lehren, die denen Regenten zwar schmeichelten, aber ihnen das Regiment aus der Hand zu drehen trachteten.“ Ueberall bezeichnete er die Mängel der Universitäten in rückhaltloser Weise. Seine Hauptgegner waren der Leipziger Theologe Joh. Ben. Carpzow und dessen Bruder, der Oberhofprediger Samuel H. Carpzow; der letztere nannte ihn in einem Schreiben an den Kurfürsten einen „bösen Menschen“, ja einen „notorischen Erzbösewicht“. Thomasius wurden anfangs die Privatvorlesungen, dann die öffentlichen untersagt, und als er die lutherisch-reformierte Mischehe des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen mit Maria Amalie, der Tochter des Großen Kurfürsten von Brandenburg, verteidigt hatte gegen lutherische Unduldsamkeit, wurde er beim sächsischen Hofe in hohem Maße mißliebig. Es wurde ihm verboten, in Sachsen zu lehren und zu schreiben, ja er sollte verhaftet und vor Gericht gestellt werden, aber durch schleunige Abreise von Leipzig entzog er sich der Untersuchung. Er begab sich nach Berlin, um die schon schriftlich nachgesuchte Aufnahme in den brandenburgischen Dienst durchzusetzen. Dort war er seiner Richtung wegen sehr willkommen und wurde 1690 zum kurfürstlichen Rat und Professor des gesamten Rechts an der 1688 umgestalteten Ritterakademie nach Halle berufen.

Auch einem anderen jungen Docenten war die Berechtigung, in Leipzig Vorlesungen zu halten, entzogen worden, es war dies August Hermann Francke, geboren am 22. März 1663 zu Lübeck, der 1685 in Leipzig Magister geworden war. Ein Jünger des damals in Dresden lebenden Theologen Spener, stellte er der engherzigen Glaubenslehre, die an den Universitäten herrschte, den lebendigen Glauben entgegen, der im religiösen Gefühl wurzelt und dessen Früchte Demut, Geduld und alle christlichen Tugenden seien. Er fand indes eine ebenso erbitterte Gegnerschaft wie Thomasius, der, als gegen Francke ein Verhör und Untersuchung stattfand, in einem gründlichen Gutachten die Rechtswidrigkeit des ganzen Verfahrens nachwies. Gleichwohl wurden Francke die Vorlesungen verboten. Nach kurzem geistlichen Wirken in Erfurt, von wo ihn wiedernm die Gegner seiner religiösen Richtung vertrieben, begab auch er sich nach Berlin, und der damalige Minister von Danckelmann stellte ihn 1692 in Glaucha bei Halle als Pfarrer und zugleich als Professor der hebräischen und griechischen Sprache für Halle an.

Das waren die beiden Männer, die gleichsam an der Wiege der Haller Universität standen, und diese erschien von Hause aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_378.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)