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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Einen unschätzbaren Dienst hat besonders Thomasius den deutschen Universitäten erwiesen, indem durch ihn nicht allein die deutsche Sprache in der gelehrten Litteratur wieder in Uebung gebracht, sondern auch die alleinige Geltung des Lateins auf dem Katheder beseitigt worden ist. Unvergängliche Verdienste hat er sich auch durch seinen Kampf gegen die Folter und die empörenden Hexenprozesse erworben, Verdienste, die auch Friedrich der Große anerkannte, wenn er Thomasius und Leibniz zu den Gelehrten rechnete, welche der deutschen Nation zur Zierde gereichten. Mit dem andern Opfer der Leipziger Achterklärung, mit Francke, geriet Thomasius in Streitigkeiten, denn die geächtete Gefühlsreligion des letzteren verwandelte sich, wenigstens bei seinen Anhängern, immer mehr in Unduldsamkeit und Kopfhängerei. Franckes Verdienste liegen weniger im Bereich der Fakultät, als auf dem Gebiete menschenfreundlicher und erzieherischer Thätigkeit. Die Gründung des Waisenhauses, des Pädagogiums, der Bürgerschule und Lateinischen Schule, des Missionsinstituts für Ostindien sind seine großen Ruhmestitel. Von allen Seiten liefen ihm Unterstützungen für diese jetzt noch blühenden Stiftungen zu, und er selbst wußte durch allerlei geschäftliche Unternehmungen, wie eine Apotheke und eine Buchhandlung, die Mittel für seine guten Zwecke zu vermehren. Neben Thomasius wirkte Stryk als gerühmter Lehrer des römischen Rechts, während jener mehr Naturrecht und Staatsrecht vortrug.

J. A. L. Wegscheider.   August Tholuck.


Wesentlich zum Aufschwung der Universität trug es aber bei, daß sie in Christian Wolff eine bedentende geistige Kraft gewann, welche dem Zeitalter ihr Gepräge fast in gleichem Maße aufzudrücken verstand wie später Hegel dem seinigen. Christian Wolff, am 24. Januar 1679 als Sohn eines Gerbers in Breslau geboren, zeigte schon auf dem Gymnasium das Bestreben, Mathematik und Theologie zu vereinigen. In Jena und Leipzig hat er noch gepredigt, sich aber dann der Philosophie und Mathematik zugewendet, 1706 wurde er ordentlicher Professor beider Fächer in Halle. Sein klarer freier Vortrag in deutscher Sprache sicherte ihm eine stets wachsende Hörerschaft; seine Schriften, in denen er besonders im Anschluß an Leibniz die ganze Weltweisheit in ein System brachte, verschafften ihm einen großen Ruf in den weitesten Kreisen, er gehörte zu den anerkannten Leuchten der deutschen Wissenschaft. Doch dies entwaffnete nicht den Haß seiner Gegner. Die Schüler Franckes waren allmählich eine mächtige und herrschende Partei geworden, und einer derselben, Professor Joachim Lange, wandte sich an zwei Generale in der Umgebung des Königs Friedrich Wilhelm I. und klagte Wolff des Atheismus an. Diese gaben den Rat, Wolff von Halle zu entfernen; sie kannten die empfindlichste Seite des Soldatenkönigs und stellten ihm vor, daß die Wolffsche Lehre vom Fatum, dem Verhängnis, die großen Grenadiere in Potsdam durchzugehen zwinge. Wolff bewiese, daß sie dem Fatum nicht widerstehen könnten und der König also unrecht thue, sie deshalb zu bestrafen. Weil diesem nun damals eben viele seiner blauen Riesen durchgegangen waren, so unterzeichnete er die berühmte strenge Ordre vom 8. November 1723, wonach Wolff als ein Unchrist binnen achtundvierzig Stunden bei Strafe des Stranges Halle zu verlassen habe. Wolffs Bücher wurden wegen ihrer Gottlosigkeit bei Karrenstrafe verboten.

Als der König bei einer Hoftafel die lieblose Gesinnung des Anklägers Lange kennenlernte, ließ er die Schriften Wolffs durch einen Ausschuß von vier lutherischen und reformierten Theologen prüfen; diese erklärten, die gefährlichen Irrtümer, welche Lange darin gefunden, ständen nicht in Wolffs Schriften. Nun bot er Wolff 1739 eine Professur und später das Vicekanzleramt der Universität in Halle an. Doch Wolff, der inzwischen eine Stellung an der Universität in Marburg gefunden hatte, lehnte ab und folgte erst 1740 einem Rufe Friedrichs II., der ihn gleich nach seiner Thronbesteigung als Geheimen Rat und Vicekanzler wieder an der Halleschen Universität anstellte. Später wurde er noch Kanzler (1743) und in den Reichsfreiherrnstand erhoben. Er starb 1754.

Richard Volkmann.   Karl Alfred Gräfe.
Hermann Ulrici.

Gleichen Ruhm hat kein nachfolgender Lehrer der Halleschen Hochschule errungen; aber die Geschichte der deutschen Gelehrsamkeit hat noch eine lange Reihe von Namen in dem vorigen Jahrhundert und in diesem zu verzeichnen, welche der Friedrichsuniversität zur Zierde gereichten; nur waren es großenteils Fachgelehrte, von denen nicht unmittelbar eine große Wirkung auf die allgemeine Bildung ausging. In unserer klassischen Epoche war es besonders der große Altertumsforscher Friedrich August Wolf, seit 1783 Professor in Halle, der mit Goethe in Beziehungen stand, damals der ausgezeichnetste unter seinen Fachgenossen. Nicht bloß durch die meisterhafte Kritik, die er bei Herausgabe der Klassiker übte, nicht bloß durch seine bahnbrechende, wenn auch vielfach angegriffene Theorie von den Homeriden, nach welcher die Homerischen Gesänge „Ilias“

und „Odyssee“ nicht das Werk eines Dichters, sondern Sammlungen von Gesängen mehrerer Rhapsoden darstellen sollten – mehr noch durch seine hohe Auffassung der Altertumswissenschaft überhaupt, die sich nicht auf die Betrachtung der Sprache und der Sprachdenkmäler der Griechen und Römer beschränken, sondern alle Thaten ihres Lebens im Zusammenhang und als ein lebendiges Ganze erfassen solle, kann er als der Schöpfer einer neuen echt wissenschaftlichen Philologie betrachtet werden. Halle wurde durch Friedrich August Wolf auf diesem Gebiete ebenso tonangebend wie durch Christian Wolff auf dem Gebiete der Philosophie. Daneben her gingen die Kämpfe innerhalb der Theologie; die pietistische Richtung vermochte sich gegen den von Johann Semler und den beiden Niemeyer vertretenen Rationalismus nicht zu behaupten, wenn auch einer der flachsten Aufklärer, Bahrdt „mit der eisernen Stirne“, eine Zeit lang in diesen Hallen der Wissenschaft sein Wesen trieb, eine durch litterarischen und sonstigen Skandal berüchtigte Persönlichkeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_380.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)