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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Zerstreuungen, diese hohle Eleganz ihrem Sinne zusagte. Was sie seit ihrer Verheiratung in und außer dem Hause insgeheim vermißte, den Hauch geistig angeregten Lebens, der die Häuslichkeit ihrer Eltern durchweht hatte – das fand sie in diesem Kreise nicht. Armstrong ließ sie gewähren, als sie sich mehr und mehr zurückzog, und forderte von ihr nur die Berücksichtigung gewisser Ansprüche, die an jedes wohlhabende Haus gestellt werden und sich durch ein paar Gesellschaften jährlich abthun ließen.

Das Stillleben der Frauen, das sich in der Villa Woche um Woche in gleicher Folge abspann, wurde fast nur durch Ernst Ruhdorfs regelmäßiges Erscheinen unterbrochen. Seiner Zusage getreu, fuhr er so ziemlich jeden Tag, nachdem das Geschäft geschlossen war, nach der Insel, um zu hören, ob die Damen nichts vermißten oder ihm aufzutragen hatten, und wenn er auch nur kurz zu verweilen pflegte, gehörte sein Besuch doch bald gleichsam organisch in den Tag herein. Sonntags pflegte er draußen zu speisen und den Abend dort zuzubringen.

Johanna war in überraschend kürzer Zeit von ihrem Vorurteil gegen den jungen Mann zurückgekommen. Sie wußte nicht, ob etwa Armstrong mit dem Takte, der ihn auszeichnete, seinem Beauftragten einen Wink gegeben oder ob Ruhdorfs eigenes Taktgefühl ihm, nun er der Frau seines Chefs allein gegenüberstand, eine andere Tonart als die frühere nahelegte – so viel war gewiß, weder in seiner Miene, noch in seinen Worten zeigte sich mehr eine Spur dessen, was sie als Ueberhebung und Geringschätzung ihrer Fähigkeiten betrachtet hatte. Er gab sich einfach und liebenswürdig, immer bestrebt, der jungen Frau jede kleine Schwierigkeit aus dem Wege zu räumen, ihr von jeder Nachricht, die aus Südkarolina an das Geschäft gelangte, sofort Kunde zu bringen, für ihre Unterhaltung zu sorgen, soweit dies in seinem Bereiche lag. So wurde dieser Verkehr für Johanna nicht nur angenehm, sie fühlte sich sogar erfreulich angeregt; während die große Lücke der Abwesenheit ihres Mannes stets ihrem Bewußtsein gegenwärtig blieb, schloß sich unmerklich eine andere, kaum eingestandene, trotzdem entschieden vorhandene. Während der sonntäglichen Stunden hatte sich eine Gemeinsamkeit des Geschmackes, der persönlichen Liebhabereien zwischen ihr und Ernst Ruhdorf ergeben, die bisher nicht zu Worte gekommen war. Schon das ward ihr zur Lust, mit ihm in ihrer Muttersprache von allem reden zu können, was ihre Gedanken beschäftigte. Ihr Mann sprach und verstand Deutsch ebensogut, als sie selbst des Englischen mächtig war, doch liebte er nicht, im Hause eine andere Sprache als seine heimische zu gebrauchen, und, sonderbar, im Verkehr mit ihm, der ihr so nahestand, dem sie so herzlich zugethan war, hatte sie die Muttersprache selten vermißt, während ihr jetzt, wo selbstverständlich in Gegenwart der Tante zunächst nur englisch gesprochen wurde, zuweilen der rechte Ausdruck fehlte und sie es als das größte befreiende Vergnügen empfand, wenn sie zum Deutschen übergehen konnte. Sie wußte recht gut, das lag am Thema. Armstrongs Gespräche behandelten keineswegs Alltagsdinge, er besaß den weitesten Blick für das Allgemeine, für alles Menschliche und hob, was immer er berührte, in die klare Region seines bedeutenden Verstandes und gütigen Herzens. Die Gegenstände aber, die Johanna im Vaterhause vor allem beschäftigt hatten: Litteratur und ernste Musik, lagen dem vielbeschäftigten Manne ferner. Zum Lesen blieb ihm selten Zeit, in der Musik gab er dem Leichten, Heiteren den Vorzug.

Gottfried August Bürger.

Johanna hatte sich im Laufe der Zeit daran gewöhnt, diese ihre Lieblingsneigungen allein zu pflegen, doch überwand sie niemals völlig das immer wiederkehrende Gefühl des Bedauerns, über ihre geliebten Bücher nicht nach Herzensbedürfnis mit dem Lebensgefährten sprechen, ihm nicht ihren Beethoven, ihren Bach vortragen zu dürfen. Versuchte sie das dann und wann, so traf sie zwar nie auf Ablehnung, fühlte aber, daß ihr nur aus Gefälligkeit standgehalten wurde. Das gestaltete sich nun Ruhdorf gegenüber ganz anders. Er war ein lebhafter Bücherfreund, weit belesener, weit sicherer in seinem Urteil als sie selbst; ihn vorlesen zu hören, wurde ihr zu ebenso großem Genuß, als es ihn sichtlich erfreute, ihrem Spiel zu lauschen. Die Anregung, die hieraus für Johanna erwuchs, machte sich allmählich in ihrem ganzen Wesen, sogar in ihrer Erscheinung fühlbar. Die etwas müden Bewegungen wurden lebhafter, ihr Schritt elastischer, schöne Heiterkeit beseelte ihre Züge vom Morgen bis zum Abend. Sie schrieb ihrem Mann erfreut, daß er in Beurteilung seines jungen Freundes wirklich recht und sie unrecht gehabt habe. Der Briefwechsel des Ehepaares wurde ihrerseits weit häufiger und regelmäßiger geführt als von seiten Armstrongs, der durch seine Geschäfte stark in Anspruch genommen war. Seine Mitteilungen führten aus, wie dringend nötig sein persönliches Eingreifen und daß es die höchste Zeit gewesen sei, seine Interessen an Ort und Stelle wahrzunehmen; voraussichtlich könne er vor dem Herbst nicht zurückkehren. Das betrübte Johanna, ohne sie doch zu bedrücken. Sie gedachte des Gatten frei und froh und lebte seiner Rückkehr in stiller Heiterkeit entgegen.

So ging der Sommer hin. Seine volle Höhe war bereits überschritten, doch lag noch glühende Hitze über Stadt und Landschaft Auf der hochüberdachten, mit Weinlaub umrankten Veranda der Villa Armstrong war es aber gut sein. Die köstliche salzige Luft des Meeres, dessen blaue Fläche sich ruhig weithin ausbreitete, regte alle Lebensgeister an, der Ausblick auf die zauberhaft schöne Bai, die heitere Küstenstrecke bot dem Auge herrliche Weide. Die tiefe Sonntagsstille, in der alles ruhte und feierte, wurde durch den Klang vorgelesener Verse nicht eigentlich gebrochen. Deren melodischer Rhythmus stimmte mit dem Eindruck, zu dem sich Himmel, Meer und Strand verbanden, so überein, als hätte die stumme Harmonie nur Ton gewonnen.

Johanna saß in ihren Schaukelstuhl zurückgelehnt, hielt nach ihrer Weise die Augen halb geschlossen und lauschte dem letzten Gesang von Heyses „Thekla“. Die Flügelthüren des großen Empfangzimmers, an das die Veranda sich unmittelbar schloß, waren weit geöffnet und ließen die behäbige Gestalt der Tante erkennen, die sich, auf dem Diwan ruhend, ein Schläfchen gönnte.

Die Sonne war im Untergehen, ihre letzten feurigen Strahlen färbten Himmel und Meer mit tiefem Purpur, der sich langsam zu dem zarten Rot dämpfte, wie es im Innern großer Seemuscheln blüht. Aus dem terrassenförmig angelegten Garten strömte köstlicher Blütenduft.

Ruhdorf schloß das Buch, nach dem Johanna die Hand ausstreckte. Ihre Finger strichen wie liebkosend über den Band hin. „Befriedigt also bis zum Schluß?“ fragte Ruhdorf lächelnd.

„Ganz erfüllt!“ sprach sie gedankenvoll. „Wie groß und wie zutraulich doch – man meint, die Welt müsse nur solche Wesen hervorbringen. O dies Werk giebt einen Maßstab für Menschenwert, unter den man das eigene Leben nie herabsinken lassen möchte.“ Sie schwieg; nach einer Pause fuhr sie plötzlich fort: „Erzählen Sie mir etwas von Ihrer Braut, Herr Ruhdorf! Ich wollte Sie schon manchmal darum bitten, getraute mich aber nicht, da Sie in diesem Punkte merkwürdig verschlossen sind. Aber Sie wissen, daß ich nicht aus Neugier frage. Gleicht sie Heyses Thekla? Gönnen Sie es mir doch, etwas von ihr zu erfahren!“

„Meine Braut?“ wiederholte Ernst betroffen „Ich bin nicht so glücklich, eine Braut zu besitzen.“

Johanna richtete sich schnell auf. „Mein Mann sagte mir doch – nein, ich irre nicht, er nannte Sie in meiner Gegenwart Bräutigam, und Sie haben nicht widersprochen.“

„Also muß gebeichtet werden,“ sagte der junge Mann lächelnd. „Das Wort trifft nur halb zu. Ich äußerte wohl einmal gegen Ihren Gatten, ich hätte Europa in der Hoffnung verlassen, hier rascher etwas zu erreichen, eine Grundlage für meinen späteren Hausstand zu gewinnen – das ist aber auch alles!“ Er hielt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_405.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)