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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 25.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Martinsklause.
Roman aus dem 12. Jahrhundert.
Von Ludwig Ganghofer.
(24. Fortsetzung.)


Als Sigenot, mit seinen Leuten über den von welken Büschen bewachsenen Hang niedersteigend, in der Talsohle Henning und seine Genossen gewahrte, hieß er die Mägde voranschreiten und flüsterte den Knechten zu: „Schweiget, wenn er uns anruft. Muß geredet sein, so red’ ich allein!“ Auf einen Speerwurf waren die Wazemannsleute hinter ihm, als er, den Zug der Seinen schließend, den überschwemmten Thalweg erreichte. Da klang schon die Stimme Hennings. „Zeit lassen, Fischer!“

Sigenot blickte über die Schulter zurück und schritt weiter.

„Steh, Fischer! Oder hast Du Angst in den Füßen?“

Sigenot verhielt den Schritt und wandte sich; auch die Knechte des Richtmanns blieben stehen, während die Mägde ihren Gang beschleunigten. Henning und die beiden Knechte mit ihrer stillen Last kamen näher.

„Was willst Du von mir?“ fragte Sigenot.

„Schau’ her, was wir gefunden haben!“ Henning riß die Kotze von der Leiche. „Kennst Du den Mann?“

„Wohl, Henning! Es ist Dein Knecht, den Du auf Weg’ geschickt hast, für die Dein eigener Mut nicht gereicht hat.“

Henning lachte heiser. „Sieh’ doch! Wie gut Du weißt, welchen Weg mein Knecht gegangen ist in seiner letzten Nacht! Da wundert mich nimmer, daß Dein Fischknecht, wie ich gehört hab’, gar so erschrocken gethan hat beim Untersteiner Hag.“

„Wenn Du Dich nimmer wunderst … was fragst Du noch?“

„Ist Dir vielleicht um die Antwort bang? Ich mein’ schier, man könnt’ von Dir erfragen, wer meinen Knecht erschlagen hat.“

Sigenot schwieg.

„Bleibt Dir die Red’ in der Gurgel stecken? So red’ Dich doch aus auf Deinen Knecht … sag’ doch. der Wicho hat’s gethan!“

Um einen Schritt trat Sigenot näher. „Die Wahrheit will ich Dir hehlen … und lügen kann ich nicht. Denk’ Dir: ich hab’s gethan, so brauchst Du nicht weiter zu fragen!“

„Er hat gestanden,“ schrie Henning seinen Knechten zu, „faßt ihn, mein Vater will es!“

Die Knechte ließen die Leiche in die Pfütze gleiten, um ihre Speere frei zu bekommen, doch als sie sahen, daß Sigenot einem seiner Leute die Axt entriß, blickten sie zögernd auf Henning.

„Es wird sich hart machen mit dem Fassen!“ rief Sigenot, dessen klingende Stimme das dumpfe Rauschen der vorüberschießenden Ache hell übertönte. „Deine Helfer, Henning, fürcht’ ich nicht. Und Du? Du zählst ja nicht! Du hast ja nur Mut, wenn Du


Auf dem Gipfel der Zugspitze.
Nach einer Originalzeichnung von M. Zeno Diemer.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_409.jpg&oldid=- (Version vom 21.9.2021)