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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Ja muß man denn da gleich alles ausreden?“

Unwillig hob sich die Stimme des Weibes. „Hast ja Du auch nicht geschwiegen ... und bist doch ein Mannsbild!“

„So? So? Hast Du es nicht aus mir herausgedruckt mit Schelten und Streiten?“

„Hättst mich streiten lassen, Du Lapp ... “

„Ja! Weil bei Dir schon einer aufkommt, Du ungute Dingin Du!“

„Den schau’ an! Schelten will er auch noch! Schwören kann er, schwören ... aber den Schwur halten? Wie die Henn’ das Gackern!“

„So ein Weib! Ja hör’ nur einer das Weib an! Im letzten Schnaufer noch muß sie raiten und raffeln!“

„Raffeln? Wer raffelt? Wart’, die Raffel zahl’ ich Dir heim ...“

Draußen vor der Thüre standen die Leute und hörten mit hellem Staunen die kreischenden Stimmen aus der Kammer. „Es muß ihr doch nicht gar so schlecht sein,“ stotterte Heilwig, „sie zanket ja schon wieder.“

Wicho öffnete die Thür, und hinter ihm drängten sich die anderen in das Stübchen. Auf dem Heubett sahen sie Hilmtrud halb aufgerichtet knien, mit den Händen in der Luft, doch kraftlos fielen ihr in der nächsten Sekunde die Arme nieder, und stöhnend sank sie über das Heu. Erschrocken sprangen die Leute zum Lager, und stotternd streckte Kaganhart die Arme nach seinem Weib. Noch einmal suchte Hilmtrud sich aufzurichten. „Hartli, mein guter Hartli ...“ klang es seufzend von ihren Lippen, dann fiel sie zurück, und ihre Glieder streckten sich.

„Trudli! Trudli! Ja was ist Dir denn? So red’ doch!“ jammerte der Bauer.

Da erkannte er den Tod im Antlitz seines Weibes.

„All’ Ihr guten Mächt’!“ schrie er und warf sich mit bitterlichem Schluchzen über den Leichnam.

Vom Bergwald herüber, durch das Rauschen des strömenden Regens, klang das Geläut einer heimkehrenden Herde, und ein Hüterbub’ jauchzte zum Hall der Schellen, als wäre Sonnenschein und Frühling über ihm, nicht gießendes Gewölk und sinkender Winter.




29.

Auf dem Herd der Klause saß Bruder Wampo in trüben Sorgen. Er hatte ein Feuer angeschürt, um sich zu wärmen und die nassen Gewandstücke zu trocknen. Während er mit kummervollen Mienen vor sich hin grübelte, knisterte die Flamme, und aus der Zelle nebenan klang die psalmierende Stimme Waldrams. Bruder Wampo hörte sie nicht, er war versunken in seinen Schmerz. Vor kurzer Weile hatte er die Vorräte in der Kammer gemustert und hatte das Mehlsäcklein durchweicht gefunden von dem Regenwasser, das der Wind durch die offene Fensterluke hereingetrieben. Das Mehl war unbrauchbar geworden, und auch die Hälfte der Bohnen war verdorben. Der karge Rest, den Bruder Wampo gerettet hatte, reichte kaum für die Mahlzeiten des kommenden Tages. Und war die letzte Bohne verzehrt, was dann? Mancherlei waghalsige Pläne kreuzten sich in seinem runden Köpflein, und schließlich fiel ihm der wilde Immstock ein. Honig! Das wäre wohl kein Futter für den Hunger, aber doch ein süßer Trost für die Zunge, so meinte Bruder Wampo.

Hurtig eilte er zur Thür und spähte hinaus. Es rieselte in Fäden, und Schnee fiel zwischen dem Regen, aber die Nässe hätte den Bruder nicht abgeschreckt ... wäre nur der Abend nicht so nah’ gewesen! Seit dem letzten Abenteuer empfand er ein gelindes Grauen, so oft er an den dunklen Bergwald dachte. Das hinderte aber nicht, daß ihm beim Gedanken an den Honig das Wasser im Mund zusammenlief. „Ich muß ihn holen! Ich muß!“

Er lief zum Herd, knüpfte einen hölzernen Napf an den Gürtel und barg ein Bündel Kienspäne in der Kutte, um sie vor dem Regen zu schützen. Einen Blick noch warf er in Eberweins Zelle, nickte freundlich lächelnd dem Knaben zu, der auf dem Lager ruhte, und eilte davon.

Huze hatte sich aufgerichtet, denn er war der Meinung, daß der Bruder käme, um mit ihm zu plaudern. Als er ihn verschwinden sah, streckte er sich wieder auf das Moos und schob die Hände unter die Wange. Draußen plätscherte die Traufe, und durch die Holzwand klang dumpf die Stimme Waldrams. Der Knabe schlief ein, und lächelnd rührle er im Traum die Lippen; er flüsterte den Ruf, mit dem er die Geißen zu locken pflegte, und lispelte den Namen des kleinen Dirnleins im Schapbacher Wald . . .

Nach einer Weile fuhr er aus dem Schlummer auf und lauschte erschrocken. Er hörte eine gellende Stimme schreien: „Weiche von mir! Denn sieh’, ich bin gewaffnet wider Dich mit Gottes Schild! Reiße mir Wunden, brenne mein Fleisch, doch meine Seele will ich retten aus Deinen Klauen! Unlerliegen sollst Du! Den Fuß will ich setzen auf Deinen Nacken! Nieder mit Dir! Nieder!“ Und klatschende Schläge fielen.

„Zu Hilf’! Zu Hilf’! Sie morden den Herrn! Zu Hilf’!“ schrie Huze in Schreck und Angst. Seiner wunden Füße vergessend, sprang er vom Lager, brach in die Knie, raffte sich wieder auf, und Eberweins Beil ergreifend, schleppte er sich hinkend zur Zelle des Paters, den er von einem Mörder überfallen wähnte. Mit erhobenem Beil erreichte er die Thüre. Da sah er Waldram auf der Erde knien, in der Hand die schwirrende Geißel, mit halb entblößtem, von Blut überronnenem Körper.

„All’ Ihr Gutholden ... er ist närrisch worden!“ kreischte der Knabe; Entsetzen faßte ihn, das Beil entfiel seiner Hand, und schreiend flüchtete er aus der Klause. Jeden Schritt, den er that, empfand er mit stechendem Schmerz, aber die zitternde Angst vor dem Wahnsinn, den er gesehen, trieb ihn weiter. Er hielt nicht inne, als er den Wald erreichte. Mit klunkernden Füßen, stöhnend bei jedem Schritt, schleppte er sich zwischen den Bäumen dahin. Bald hörte er im nahen Thal die Ramsauer Ache rauschen, doch eh’ er sie erreichte, verließen ihn die Kräfte, und halb bewußtlos sank er zu Boden – 00000000000000000000

Läutende Schellen näherten sich im Thal, Kühe zogen vorüber, und erregle Stimmen ließen sich vernehmen.

„Hör’ auf! Hör’ auf! Wie soll man denn so ’was glauben können! So ’was!“ klang eine Männerstimme. Und eine Dirne kreischte. „So frag’ den Hüterbuben! Der hat’s auch gesehen!“

„Wohl wohl,“ fiel die Stimme eines Knaben ein, „wie ein Lampl[1] ist das Untier vor ihm gestanden und hat ihm die Hand geleckt und ist ihm nachgelaufen wie ein Hundl.“

„Gelt! Gelt! Jetzt hörst es! Hätt’ ich’s nicht selber gesehen, meiner Lebtag’ hätt’ ich das Wunder nimmer glauben mögen!“

„Das muß man dem Richtmann sagen, dem Richtmann!“ schrie die Männerstimme. „Gegen Gottesleut’ die so ’was können . . . gegen solche Leut’ trau’ ich mich nimmer feind sein! Geschworen oder nicht ... ich thu’ von morgen an ...“ Im Rauschen der Ache und des Regens erstickte die sich entfernende Stimme.

„Leut’! Leut’!“ So hatte Huze ein um das andere Mal mit schluchzenden Lauten gerufen, doch niemand hörte ihn. Das Geläut der Schellen klang ferner und verstummte, um nach einer Weile jenseit der Ache auf bewaldetem Hang wieder laut zu werden.

Die kleine Herde zog dem Gehöft des Urstallers entgegen, nahe vorüber am zerfallenen Hag des alten Gobl. Der Greis, der unter seinem Dächlein auf dem Heusack kauerte, hörte den Schellenklang und die kreischenden Stimmen. Er hob den Kopf und lachte. „Ziehet heim ins Thal oder steiget zu Berg’ ... es gehen doch alle Weg’ dem gleichen Fleckl zu.“ Nickend saß er, hielt die Knie mit den Armen umschlungen und blickte hinaus in den grauen Regen. Trübe Dämmerung fiel über die Halden, und der Abend kam. Je tiefer das Dunkel sank, desto leiser wurde das Rieseln um die Hütte her, bis es ganz verstummte. Der alte Gobl streckte die Hand durch die Luke hinaus, leicht und kalt fiel es auf seine Finger ... es waren Flocken.

Laute Stimmen näherten sich. Ein paar Männer, von einem Haufen schreiender Weiber umgeben, eilten am Hag vorüber. Der Greis hörte sie von einem Wunder schreien, das im Lokiwald geschehen wäre. Was er vernahm, störte seine Ruhe nicht. Gähnend streckte er sich auf den Heusack und schloß die Augen, doch er fröstelte und konnte den Schlaf nicht finden. Einmal war es ihm, als klänge durch die stille Nacht ein wimmernder Ruf. Lauschend saß er, schüttelte den Kopf und streckte sich wieder. Näher klang der matte Ruf, und nach einer Weile hörte der Greis ein schmerzvolles Stöhnen. Er kroch vor die Hütte, sah beim Hagthor auf der Erde einen schwarzen Klumpen sich bewegen und rief: „Du Bröckl Elend dort! Wer bist? Was willst von mir?“ Ein klagender Wehlaut war die Antwort. Der Alte lachte. „Schau’ nur, schau’, jetzt sucht gar einer noch Hilf’ beim Gobl! Oder muß Elend

  1. Lamm.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_412.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2021)