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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Eberweins, doch immer williger gehorchten sie, je mehr sie den schmerzvollen Eifer erkannten, mit welchem Eberwein nach dem Weg der Verschwundeuen zu forschen begann. Auf durchweichter Erde fanden sie die halb verwaschenen Spuren, welche zur Höhe der Windach führten. Da meinten sie, daß Hiltischalk und Hiltidin sich zu den Almen am Windachersee geflüchtet hätten, denn die Almerin, welche dort oben hauste, war eine Blutsverwandte der Greisin. Doch die Dirne, welche ihre Herde zu Thal trieb, begegnete den Suchenden und wußte keine Antwort. Man forschte weiter und fand das weiße Häubchen der Greisin, zertreten und mit Schmutz bedeckt, fand am Absturz der Felsen den zerwühlten Rasen und sah in der Schlucht der Windach, an einer vorspringenden Steinschrofe, einen Fetzen des schwarzen Gewandes flattern. Von der Stelle führte keine Spur gegen den höheren Weg, keine Spur zurück ins Thal. Bleicher Schreck befiel die Männer, während das jammernde Geschrei der Magd von den Felsen hallte. Hier war nicht Hoffnung mehr, nicht Hilfe! Dennoch wagte Eberwein das Aeußerste. Ob es ihm auch die anderen mit Gewalt zu wehren suchten, ob auch Schweiker mit beiden Armen ihn umklammerte ... er riß sich los und wagte mit Gefahr seines Lebens den Niederstieg, bis das schießende Wasser und die glatten Felsen ihm den Weg versperrten. Als er mit erschöpften Kräften wieder am Rand der Schlucht erschien und die Arme, die sich ihm entgegenstreckten, ihn emporrissen auf festen Grund, waren seine Züge verwandelt zu einem Anblick des Entsetzens.

Scheu trat der alle Runot vor ihm zurück, und den Arm seines Aeltesten fassend, flüsterte er: „Schau’ das Gesicht an, Bub’! Das hab’ ich schon einmal gesehen ... so hat Herr Waze geschaut am selbigen Tag, an dem man Frau Friderun gefunden hat unter der Rabenwand!“

Mühsam atmend, in sich versunken, ruhte Eberwein auf dem Stein, zu dem ihn Schweiker geführt. Er hörte nicht den Jammer der Magd, nicht die Reden der Männer um ihn her, er sah nicht die Sorge Schweikers und sah nicht, was stumm aus den Augen der anderen redete: daß er sie alle, die vor kurzem noch die Fäuste wider ihn gehoben, in dieser Stunde für sich geworben hatte zu treuen Freunden. kein Laut kam über seine bleichen Lippen. Als Schweiler und Runot seine Arme faßten, um ihn aufzurichten, ließ er sich führen. Er hatte kein Auge für den Weg, sein Blick ging verloren ins Leere. Zuweilen, während des Niederstieges, verhielt er seufzend die Schritte und schloß die Lider, denn immer wieder stand vor seinen Augen, was er in der Tiefe der Schlucht an den Felsen geschaut: die blutige Spur des Weges, den Hiltischalk und Hiltidiu genommen.

Auch jetzt, da er in finsterer Nacht mit Schweiker den Heimweg suchte unter fallendem Schnee, zwischen Gestein und triefenden Bäumen, stand er immer wieder und bedeckte die Augen mit der Hand. Immer schwerer wurden seine Schritte, wankend sein Gang. Wollte Schweiker ihn stützen, so wies er ihn stumm von sich.

Mühsam war der Anstieg durch den Lokiwald, denn Eberwein vermochte sich kaum mehr aufrecht zu erhalten. Endlich gewannen sie den Waldsaum, und Schweiker hätte jauchzen mögen, als er in der Finsternis das weiße Dächlein liegen sah. Doch vor der Klause hob er verwundert die Fackel: er fand die Thüre mit Balken und Pflöcken verrammelt. Rasch aber wußte er freien Weg zu schaffen; es polterten die Balken, die er beiseite schleuderte, und seine rufende Stimme klang, doch es rührte sich nichts in der Klause und niemand trat den Heimkehrenden entgegen; in der Stube, die er leer fand, steckte er über dem erkalteten Herd die Fackel in den Ring. Als er sah, daß Eberwein zur Zelle des Paters wankte, sprang er ihm in den Weg und stammelte. „Ich bitt’ Dich, guter Herr, schau’, ich bitt’ Dich, nur heut’ red’ nimmer mit ihm! Nur heut’ nimmer!“

In der finsteren Zelle knarrten die Stangen des Lagers, Schritte klangen, und Waldram erschien auf der Schwelle, das Antlitz von gespenstiger Blässe, die Augen brennend wie im Fieber. An Eberwein vorüber blickte er auf Schweiker. „Wehrest Du ihn ab von mir, da Du weißt, daß er mein Auge zu fürchten hat?“

Da stürzte Eberwein auf ihn zu und faßte ihn mit zuckenden Händen an der Brust. „Waldram! Gieb mir diese Menschen wieder . . . meine besten, die ich hatte!“ Seine Stimme erstickte.

Es kostete dem Pater nur geringe Mühe, den Entkräfteten von sich abzuschütteln. „Weiche von mir! Du hast mit diesem Wort das Urteil über Dich gesprochen! Zwischen Dir und mir sollen Berge und Meere liegen!“

„Ja, Waldram, ja ...“ nur wie ein Hauch klang Eberweins Stimme, „hohe Berge ... tiefe Meere ...“ Schwer stützte er sich auf Schweiker, der ihn unter stammelnden Worten in die Zelle führte, in welche die Fackel einen matten Schimmer warf. Eberwein sah das leere Lager und blickte suchend umher ... die Sprache versagte ihm. Schweiker verstand den Blick. „Thu’ Dich nicht sorgen, guter Herr ... der Bruder wird den Buben in unsere Kammer geführt haben, damit Du ruhen kannst in der heutigen Nacht!“

Stumm nickte Eberwein und ließ sich auf den Rand des Lagers sinken. Ohne Wehren duldete er, daß ihm Schweiker das triefende Gewand mit trockenem Kleid vertauschte, das Moos zu weichem Polster aufschüttelte und die zitternden Glieder mit wärmender Kotze bedeckte. Als ihm Schweiker einen Becher brachte, schlürfte er den Trunk in tiefen Zügen, ohne zu merken, was er trank. Der Bruder atmete erleichtert auf, als der Becher geleert war bis auf den letzten Tropfen des Meßweins. Er steckte eine frische Fackel in Brand, und dann saß er neben dem Lager, regungslos. Eberwein stöhnte und murmelte im Halbschlaf, doch immer tiefer wurde sein Atem, und es währte nicht lange, so lag er in bleiernem Schlummer.

Auf den Zehen schlich Schweiker aus der Zelle, steckte einen Span in Brand, löschte die Fackel aus und trat in seine Kammer. Schnuppernd hob er die Nase – zwischen den vier Wänden roch es nach Wachs und Honig, als wäre die Zelle ein Immenstand. Auf dem einen Bett lag Bruder Wampo wie ein Klotz, mit hängenden Armen. Seine ganze Kutte, von der Brust bis nieder zum Saum, war fleckig, als hätte man sie durch einen Honigtiegel gezogen. Kopfschüttelnd stand Schweiker und betrachtete den Schnarchenden. Da sah er, daß das andere Lager leer war. Er rüttelte den Schläfer, doch Bruder Wampo wollte nicht erwachen. An den Armen zog ihn Schweiker in die Höhe. „He, Bruder! Wo ist denn der Bub’?“

„Der Bär ... der Bär ...“ lallte Wampo, riß die Augen auf und fuchtelte mit den Händen, zwischen deren Fingern der Honig klebrige Fäden spann.

„Ich frag’, wo der Bub’ ist!“ brummte Schweiker, der den Bären auf sich bezog.

„Der Bub’? Pater Waldram . . . Waldram . . .“ Dem Bruder fielen die Augen wieder zu, und lallend sank er auf die Wolfshaut zurück.

Schweiker gab sich zufrieden, er hatte verstanden, daß Huze bei Pater Waldram in der Zelle wäre. Seufzend blies er das Spanlicht aus, warf die nasse Kutte ab und wühlte sich ins Moos.

Tiefe Stille war in der Klause. Um die Mauern her versiegte die Traufe, und lautlos fiel der Schnee in schweigender Nacht ...




30.

In Wazemanns Burghof, den die Pechpfannen erleuchteten, unterbrachen die Knechte ihre Arbeit und lauschten.

„Was ist denn nur das schon wieder gewesen?“ fragte einer. Und ein zweiter stotterte. „Ich mein’, es hat der Boden gebidmet.“ Ein dritter schüttelte den Kopf. „Ich hab’ nichts gespürt . . . nur den Rumpler hab’ ich gehört. Es muß wo eine schwere Lahn gegangen sein.“

„Eine Lahne? So, meinst? Eine Lahn?“ murmelte ein grauköpfiger Alter. „Ich sag’ Euch, Leut’, mir grauset schon die ganzen Tag’ her! Wie ich noch ein kleiner Bub’ gewesen bin, ist vom Göhl eine ganze Wand niedergebrochen und hat die schönsten Alben zugedeckt. Selbigsmal ist alles g’rad’ so gewesen wie die letzten Tag’ her. Ich sag’ Euch, Leut’: es ist ’was ledig worden im Gesteinet ... es muß ’was kommen!“

„Laß kommen, was mag! Uns trifft’s nicht!“ lachte einer der jüngeren Knechte. „Und schlagt’s ein paar Bauernköpf’ zu Mus . . . was liegt denn dran? Die wachsen ja wieder nach wie der Schimmel am Käs’.“ Die anderen lachten und nahmen die Arbeit wieder auf. „Thut nicht so laut,“ mahnte der Alte, „die Herrenleut’ schlafen . . . und ein Toter liegt auch im Haus.“

„Laß ihn liegen! Morgen auf die Nacht soll er sein Erbmahl haben, zu dem der Fischer die Ferchen giebt und der Richtmann den Met. Pech her! Dem Fischer soll heiß werden, daß er Blut schwitzt!“ Lachend tauchte der Knecht den fertig gewundenen Hanfkranz in das zerlassene Pech.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_415.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)