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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

zu schießen vermöge der Wirkung des Wasserstrahls, den sie durch ein Spritzloch in der Stirn mit besonders großer Gewalt ausstoßen. Die Kraft, welche dadurch ausgeübt wird, ist oft so groß, daß die Tiere jene Bewegung nach rückwärts mit der Richtung des Körperendes nach oben so steigern, daß dieses im Winkel aus dem Wasser hervorragt.

Das würde der „Kopf“ der Seeschlange sein, dem auch die Mähne nicht fehlt, denn die Riesentintenfische haben an beiden Seiten dieses torpedoartig glatt und spitz zulaufenden Hinterkörpers eine Art Flossen, die nach dem Körper zu sich verbreitern. Auch sie ragen bei der rückwärtig schnellen Bewegung hoch aus dem Wasser auf, jene „Mähne“ oder „den Wulst loser Haut“ darstellend, von denen in den Berichten die Rede war. Die riesenlangen, aneinander gelegten Arme des Tieres schleifen bei dem Rückwärtsgehen durchs Wasser lang und elastisch nach und kommen dabei stellenweis wellenförmig zu Gesicht, das Kielwasser des Tieres in hastiger Bewegung aufregend und so seine Länge scheinbar ins Ungeheuere steigernd: das ist der schlangenartige Leib, der zu dem mähnenumwogten „Kopf“ des Polypen gehört – und die „Seeschlange“ ist fertig, wesentlich gleich bedeutend mit einem in Bewegung befindlichen Riesentintenfisch, der als „Sepia“ eine Tintenblase besitzt, durch deren Entleerung das Wasser trüb gefärbt wird, wie beim Vorbeigehen der „Seeschlange“ am Heck des „Castilian“. Nun verstehen wir auch, weshalb die „Seeschlange“ des „Dädalus“ ohne wagerechte oder senkrechte Bewegung des Leibes so schnell vorwärts kam und ihren Kurs so steif innehielt; und auch daß Egede sie „Wasser blasen“ sah, nur daß dieser in der Eile der Beobachtung den Wasserstrahl, den das von der See gehobene Tier von sich gab, mit dem Kopf und den „flügelartigen Ohren“ zusammensah.

Nach dem heutigen Stande der Forschung möchte die Frage nach der Seeschlange sich damit annähernd beantworten. Daß aber auch noch andere Erscheinungen, wie Wale, Fische u. s. w., als „Seeschlange“ bezeichnet worden sind, dürfte nicht ausgeschlossen sein.


Die Kindermilch im Hause.

Ein Trostwort für unbemittelte Mütter.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß eine große Zahl ausgezeichneter ärztlicher Errungenschaften wenig Nutzen zu stiften vermag, weil ihre Anwendung für weite Volkskreise zu kostspielig ist. So verhält es sich auch mit den Fortschritten, welche die Wissenschaft in der Lehre von der künstlichen Ernährung der Säuglinge gemacht hat. Jahrzehnte ernsten und redlichen Mühens liegen hinter uns, und wir können doch keinen Erfolg verzeichnen, wenn wir die Allgemeinheit ins Auge fassen; denn im dritten und vierten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts starben in Europa von 1000 Lebendgeborenen 188 im ersten Lebensjahr und im achten und neunten Jahrzehnt betrug die Zahl dieser kleinen Toten 194 auf 1000 Lebendgeborene.

Die Ursachen dieser großen Kindersterblichkeit sind sehr mannigfach; aber das steht fest, daß etwa zwei Drittel dieser Säuglinge durch Ernährungskrankheiten dahingerafft werden. Namentlich im Sommer während der heißen Jahreszeit, in den Monaten Juni, Juli, August und September, fordert der Brechdurchfall unter den künstlich ernährten Kindern zahllose Opfer. Einen wichtigen Anteil an der Entstehung dieser Krankheit hat zweifellos das Darreichen verdorbener Milch. Nun ist es in letzter Zeit gelungen, dieses so überaus leicht zersetzliche Nahrungsmittel durch zweckmäßiges Abkochen haltbar zu machen oder zu „sterilisieren“, und wir besitzen ausgezeichnete Apparate, wie z. B. den von Prof. Soxhlet in München, mit deren Hilfe die junge Mutter gute Milch zu Hause haltbar zu machen und aufzubewahren vermag. Aber diese Apparate kosten Geld, und wie billig sie diesem oder jenem erscheinen mögen, für sehr viele sind sie unerschwinglich. Daraus erhellt, daß durch diese Apparate in den bemittelten Kreisen Segen gestiftet wird, daß sie aber auf die Kindersterblichkeit weiter Kreise, auf die Volkssterblichkeit überhaupt keinen Einfluß haben können.

Aber keine arme Mutter braucht darum den Kopf hängen zu lassen.

Es wäre auch traurig, wenn die Errungenschaften der hygieinischen Wissenschaft nur den Reichen zugute kommen sollten! Sie sind glücklicherweise derart, daß sie jedem Nutzen bringen können, der sich ein wenig Mühe giebt, die Grundsätze zu lernen und sie im Leben praktisch zu bethätigen. So kann man die Säuglingsmilch auch ohne einen kostspieligen Sterilisierungsapparat zweckmäßig aufbewahren – man braucht dazu weiter nichts als einen reinen irdenen Topf mit einem Deckel, der in jedem Hausstande zu haben ist.

Was die Milch verdirbt, das sind Pilzkeime, die in sie von außen gelangen. Jede rohe Milch, die wir aus einer, selbst der besten Milchwirtschaft beziehen, enthalt schon diese Keime, und indem sie sich in der Milch vermehren, zersetzen sie dieselbe, bilden in ihr Stoffe, die ein Erwachsener wohl vertragen kann, die aber dem zarten Säugling ungemein schädlich sind. Diese Pilzkeime werden durch die Siedehitze abgetötet, und wenn dies geschehen ist, dann hält sich die Milch längere Zeit. Das ist den Hausfrauen wohl bekannt, aber es muß dabei noch auf einige besondere Eigenschaften der unsichtbaren Keime geachtet werden, wenn die Milch in einem für die Säuglinge tadellosen Zustande erhalten werden soll. Einige der in der Milch vorkommenden Bakterien werden erst nach sehr langem Kochen abgetötet und darum soll man die für Säuglinge bestimmte Milch etwa eine halbe Stunde lang kochen, ferner kann die abgekochte Milch durch neue Keime, die von außen in dieselbe gelangen, von neuem verunreinigt werden. Der Verschluss des Soxhletschen Apparates verhütet eben das Eindringen der neuen Keime in ausgezeichneter Weise. Aber es ist nicht der Verschluß allein, der die Vorzüge des Apparates ausmacht, sondern auch der Umstand, daß bei seiner Benutzung die Milch stets in demselben Gefäße verbleibt, in welchem sie abgekocht wurde. Der letztere Umstand ist der bei weitem wichtigere, wie wir kurz auseinandersetzen wollen.

Bakterien, Pilzkeime etc. schweben in der Luft, sie setzen sich aus derselben mit dem Staube ab, und wenn sie in die Milch hinabfallen, so verderben sie diese. Das ist wahr, aber über die Zahl der gewöhnlich in der Luft schwebenden Keime herrschen sehr übertriebene Ansichten. Durch vielfache Versuche wurde erwiesen, daß die Zahl der Keime, die sich wahrend einer kurzen Zeit, also während einiger Sekunden oder einer halben Minute, auf einer kleinen Fläche wie der Oeffnung eines Milchtopfes absetzen, sehr geringfügig ist.

Anders aber liegt die Sache, wenn wir die Milch mit Gegenständen in Berührung bringen, die zwar gereinigt wurden, aber dann lange Zeit stehen blieben; an den Wandungen solcher Töpfe haben sich inzwischen viele Bakterien niederlassen können, und wenn sie in Massen in die Milch gelangen, so können sie dieselbe schnell verderben. Dies geschieht immer, wenn wir die Milch aus dem Topfe, in welchem sie abgekocht wurde, in einen anderen, den man nicht gerade in demselben Augenblick ausgekocht hat, gießen.

Auf Grund dieser Thatsachen lassen sich folgende Regeln für die Behandlung der für Säuglinge bestimmten Milch im Hause aufstellen.

Die Mutter suche möglichst gute und möglichst frische Milch zu beschaffen. Sofort nach Empfang wird die Milch in einem mit einem passenden Deckel versehenen Topfe eine halbe Stunde lang abgekocht, wobei der Anfang der halben Stunde vom Eintritt des Siedens an zu rechnen ist. In diesem Topfe wird nun die Milch als Vorrat, zugedeckt mit demselben Deckel, an einem kühlen Orte aufbewahrt. Will man dem Kinde Nahrung geben, so gießt man die nötige Menge in einen kleineren Topf ab, halt dabei den Deckel so, daß er mit einem festen Körper, wie z. B. Tischplatte, Kleidung etc., nicht in Berührung kommt, und setzt ihn, nachdem das Abgießen besorgt worden ist, wieder auf den Topf. Der Milchvorrat ist nur für die Dauer von wenigen Sekunden mit der Luft in Berührung gekommen und es sind in ihn nur einige wenige Keime hineingefallen.

Die in den kleinen Topf abgegossene Milch mischt man in entsprechendem Verhältnis mit heißem, vorher abgekochtem Wasser, kocht sie noch einmal auf, bis sie aufwallt, und füllt sie in die Saugflasche, die natürlich peinlich sauber gehalten werden muß, zu deren Reinigung man gleichfalls heißes vorher abgekochtes Wasser benutzt hat. Die entsprechend abgekühlte Milch wird dem Kinde gereicht.

Ebenso verfährt man bei der Entnahme der zweiten, dritten etc. Portion aus dem Milchvorrat.

Kann man frische Milch nur einmal in 24 Stunden erhalten, so empfiehlt es sich, den Vorrat nach 12 Stunden noch einmal abzukochen; bei warmer Witterung ist dies sogar dringend notwendig.

Das ist ein Verfahren, das schon früher in ähnlicher Weise geübt wurde, nur ist es heute besser begründet und die Bedeutung der einzelnen Handgriffe klar.

Ein ausgezeichneter Kenner der Säuglingspflege, Dr. Biedert, hat ein sehr verdienstliches Werk über „Die Kinderernährung“ (Zweite, ganz neu bearbeitete Auflage. Stuttgart, Ferdinand Enke) herausgegeben, in welchem er diese Art der Milchbehandlung im Hause warm empfiehlt. Seine Assistenten haben verschiedenartig aufbewahrte Milch auf deren Gehalt an Keimen geprüft, und sie fanden in je einem Kubikcentimeter Milch 24 Stunden nach dem Abkochen:

in einer Soxhletflasche 21 Keime;
in der Milch aus zugedecktem Topfe, die nach den oben gegebenen Regeln behandelt wurde, 38 bis 500 Keime;
in abgekochter Milch, die nicht im Kochtopf geblieben war, 4 Millionen bis 400 Millionen Keime.

Wir ersehen daraus, daß unser Verfahren nahezu die Zuverlässigkeit eines Sterilisierapparates erreicht. Wer sich darum einen solchen Apparat nicht beschaffen und sterilisierte Milch nicht kaufen kann, und in dieser Lage befinden sich wohl die meisten Mütter, kann dennoch bei gutem Willen, peinlicher Sauberkeit und einiger Geschicklichkeit annähernd dasselbe Ziel erreichen. *     


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_419.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)