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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Tag nichts als Wasser und das elende französische Weißbrod! Langen Sie zu, Weßnitz, in der Not frißt der Teufel Fliegen!“

„Ich danke gehorsamst, Herr General, ich kann nichk essen, ich habe nur den Wunsch, zu schlafen.“

„Glaub’s schon. Dort auf der Tenne hab’ ich Stroh zusammentragen lassen.“

Langsam geht Hermann hinaus. Der General blickt ihm sinnend nach. „Ein braver Kerl, nur zu still und zu bescheiden, um rasch seinen Weg zu machen.“

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Drei Tage später!

Hermann hatte seinen Bruder besucht im Feldlazarett.

„kann von Glück sagen, Ihr Bruder,“ hatte derselbe Stabsarzt gemeint, dessen Fürsorge Hermann am Abend des achtzehnten August angerufen hatte. „Einen Centimeter mehr links, dann war alles aus.“

Nachher war Hermann an Brunos Lager getreten. Sie sprachen nicht viel zusammen. Wie ein feindlicher Schatten stand die Erinnerung an jene Scene auf dem Schlachtfelde zwischen ihnen.

Ein kurzer flüchtiger Händedruck.

„Ich soll nach der Heimat gebracht werden – hast Du etwas zu bestellen? fragt Bruno mit matter Stimme.

„Nein, nichts!“

„Auch nicht Grüße an Vater und Mutter?“

„Ja so – gewiß!“

„Und an die Lore?“

„Auch an die natürlich!“

„Hermann!“ Es lag ein unsagbar trauriger hoffnungsloser Ton in der Stimme des Verwundeten, ein beinahe frauenhaft weiches Flehen.

„Leb’ wohl, Bruno! Gute Besserung!“ Das klang fast gerührt, war aber halb im Fortgehen gesagt. –

Am nächsten Abend lag Hermann von Weßnitz, in eine Pferdedecke gehüllt, am Biwakfeuer. Rings in der Runde im flackernden gespenstischen Schein der brennenden Holzscheite die schlafenden Gestalten der Kriegsgefährten, deren todmüde Glieder auf einigen Schütten Stroh ausgestreckt ruhten, hoch über ihm die Sterne in hellem Geflimmer. Er konnte die Augen nicht schließen, ein Gedanke hielt sie wach, ein unablässiges schmerzhaftes Grübeln, ein Wägen zwischen Herz, Verstand und deutscher Soldatenehre.

Zuerst hatte er eine unbändige Freude darüber empfunden, den Bruder noch lebend zu wissen, befreit zu sein von dem dumpfen bleiernen Gefühl, ihm selbst die tödliche Waffe in die Hand gedrückt zu haben. Aber eine kurze Freude war’s. Gleich nachher der häßliche quälende Gedanke. wie kommt’s, daß er nur verwundet ist? Kann das Zufall sein oder hat auch da noch seine Hand gezittert, aus Feigheit gezittert?

Er schauderte frierend zusammen und stieß mit dem Fuß einen Holzklotz tiefer in die Flammen. Gewaltsam suchte er sich seinen Grübeleien zu entreißen. Was wäre denn besser geworden, wenn die Kugel einen Centimeter weiter links gegangen wäre? Konnte der Tod des Bruders die Sache anders machen? Ja doch – das wäre Sühne gewesen mit dem Leben, das er zu lieb gehabt hatte. Sühne? Wofür denn Sühne? Für eine natürliche menschliche Schwäche? Für das Versagen der Nerven, für eines der mächtigsten Gefühle einer jungen Brust, für den Wunsch, das Leben zu retten ...... Und trotzdem –

Hermanns Blick haftete nachdenklich auf der Brust eines Husarenoffiziers ihm zur Seite, auf dem lichtblauen Tuch des Rockes bewegte sich mit dem Atmen des Schläfers ein schlichtes schwarzes Kreuz auf und nieder, regelmäßig, taktmäßig. Er konnte den Blick nicht davon trennen. Man hatte erzählt, die verwundeten Offiziere würden fast alle mit dem Eisernen Kreuz geschmückt werden, mit diesem Ehrenzeichen, das so schmucklos und stolz zugleich auf der Brust getragen wurde, mit dem der König die Besten zu ehren gedachte. Die Besten!

Er richtete sich auf und starrte glanzlosen Auges ins Feuer, aber die Stimme in ihm kam nicht zur Ruhe. Dann bist also du schuld, daß dein König dies Zeichen einem Unwürdigen an die Brust heftet! Und alle werden achtungsvoll das Kreuz betrachten, alle, alle! Der Vater und die Lore mit dem Goldhaar und den braunen großen Augen! Mit zitternden Fingern griff er sich an die Stirn. Würde Bruno es tragen können, dies Ehrenzeichen für seine Schande, ohne wahnsinnig zu werden? Würde es ihn nicht tausendmal überkommen: lieber erschossen, gesühnt, gebüßt, als mit dem elenden Bewußtsein, mit dem Ekel vor sich selbst, sich von anderen ehren lassen für das, was man nie gethan, nie hat vollbringen können?

Krachend schlug ein Scheit Holz um – eine Funkengarbe sprühte knisternd empor, den Sternen zu, die so geduldig und stetig aus weltentlegenen Fernen über der Erde flimmerten, über all den unruhigen armen Menschenkindern.

„Sie können wohl auch nicht schlafen, Weßnitz?“ sagte der Husarenoffizier und rutschte auf dem Stroh näher ans Fener. „Es wird verdammt kühl! Aber Sie sind ein junger Kerl und brauchen um nichts zu sorgen. Unsereinen plagt der Gedanke an die Frau, die man zurückließ, kaum ein Jahr nach der Hochzeit. Der Soldat sollte nicht heiraten.“

Hermann blickte fragend in das hübsche Gesicht seines kriegskameraden. „Treptow, ich habe nicht gewußt, daß Sie so weich sein können.“

„Pah,“ meinte dieser und biß die Spitze einer Cigarre ab, „weil ich immer lustig bin und kein Kopfhänger? Sehen Sie, Weßnitz, wenn man erst erfahren hat, was eine Frau bedeutet, so ein Menschenkind, das nur für uns lebt und atmet, na, Sie verstehen mich – und schließlich – wenn einen solch eine verdammte Kugel hinüberbefördert, das ist doch keine Kleinigkeit! Man ist so feftgehalten an der Erde, es fehlt einem ganz das Gefühl völliger Gleichgültigkeit, das Sie gewiß haben, wenn die Kugeln pfeifen.“

Weßnitz blickte antwortlos vor sich nieder.

„Freilich, Sie haben ja auch Eltern und Geschwister, aber das ist doch etwas anderes, und dann – ich muß jemand haben, dem ich es sage: mein Weib soll mir ein Kind schenken. Ich sage Ihnen, diese Angst ist schlimmer als in eine Batterie reiten! Man hat oft so verrückte Gedanken. Als ich mit der Schwadron am Achtzehnten die Batterie nahm – wir waren noch etwa zweihundert Schritt davon entfernt und in einem ganz anständigen Tempo, ich ritt den Vollblutfuchs und der Gaul lag in den Zügeln wie besessen – da fuhr es mir durch den Sinn: Donnerwetter, wenn gerade jetzt zu Hause ein kleiner Husar ankäme, und ich, der Vater, würde hier totgeschossen! Himmelelement – so soll der Junge wenigstens stolz sein, dachte ich, und ließ meinen Fuchs fliegen, ohne hinter mich zu sehen. Das war die Ursache, weshalb ich so weit vor der Schwadron hineinkam und den französischen Batteriechef herunterholte! Man kommt zu Ehren, man weiß nicht wie, aber gefreut hat es mich doch, und wenn kleine Hände einmal mit diesem Kreuz spielen, wenn es auch die eines Mädels sind – nun, dann werde ich an die Geschichte gern zurückdenken.“

Der Offizier schaute nachdenklich mit einem hoffnungsfrohen Blick in das Feuer. Hermann sah ihn von der Seite an. Wie schlicht der Mann das alles erzählt hatte! Unwillkürlich streckte er dem Kameraden die Hand hin. Dieser nickte ihm freundlich zu, dankbar, daß er jemand gefunden hatte, der mit ihm fühlte.

„Solch eine Frau hat eigentlich mehr Mut als wir. Sie weiß genau, daß ihr des Kindes Dasein vielleicht das Leben kostet, und lächelt doch bei dem Gedanken. Und schließlich, wenn sie stirbt, ihr Tod ist so ehrenvoll wie der unsere durch den Feind – gestorben für die Zukunft! Ja, ja, an solche Dinge denkt man nicht als Junggeselle! Na, es wird ja noch alles gut gehen! Was hilft das Grübeln!“ Er warf die Cigarre in die Holzglut. „Miserables Kraut!“ Sich von neuem in seine Decke wickelnd, schob er seinen Körper dicht ans Feuer, und nach wenigen Minuten ging das Kreuz auf blauem Tuch mit den Atemzügen des Schlafenden wieder regelmäßig auf und ab.

*  *  *

„Markenstein! Aussteigen! Zwei Minuten Aufenthalt!“ ertönte die Stimme des Schaffners.

„Verdammt langweilig! Ich muß hier eine Stunde auf meinen Zug warten,“ sagte ein Husarenoffizier zu einem Kameraden von der Infanterie, der neben ihm stand.

„Ja, wir haben das Warten satt bekommen in den letzten Monaten,“ meinte dieser und drückte dem Aussteigenden die Hand. „Leben Sie wohl, Treptow! Na, die Freude Ihrer Frau, wenn Sie ankommen, und noch dazu der Junge, den sie Ihnen entgegenbringt!“

Ueber das hübsche Gesicht des Husaren zog es wie heiter Sonnenschein. „Nun, Ihre Alten werden auch vergnügt sein,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_451.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2021)