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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

stumm, nur ein Zittern der Mundwinkel unter dem blonden Schnurrbart verriet seine innere Bewegung.

Lore, noch immer am Arm des Bruders, schmiegte sich fest an diesen an; das liebliche Gesicht wurde in raschem Wechsel rot und blaß. „Bruder! Lieber Hermann!“ rief sie endlich und riß sich von Bruno los, beide Hände dem Ankommenden entgegenstreckend. „Hier sind wir, der Bruno und ich! Schau’, so sehen zwei Verlobte aus!“ Sie sprudelte das fast atemlos heraus, lachend, schluchzend, in holder Verwirrung.

Hermann stand einen Augenblick wortlos, die beiden anstarrend. Langsam sank seine Rechte herab. Dann richtete er sich auf und reichte den Zweien mit einem Ruck die eiskalte Hand.

„Wie er erstaunt ist, ganz anders als sonst, und wie der Vollbart ihn alt macht!“ rief Lore.

Ein Versuch zum Lächeln irrte um seine Lippen. „Welches Glück!“ murmelte er hastig und ging den anderen voraus in das Wohnzimmer.

„Der Vater wollte durchaus, daß ich Uniform anlegte,“ flüsterte Bruno dem Bruder zu und hüstelte dabei.

„Ja, ja!“ Geistesabwesend starrte Hermann einen Augenblick in die Runde. Wie anders hatte er sich das alles gedacht, sich ausgemalt auf der langen Reise! Dann überkam ihn eine unnatürliche Lustigkeit; er begann beim Abendessen aus dem Feldzuge zu erzählen, alles hastig, ununterbrochen, als fürchtete er, daß ihm der Faden entfiele.

„Warum hast Du denn Dein Eisernes Kreuz nicht angelegt?“ fragte nach dem Essen der alte Weßnitz, sich Bruno zuwendend.

Ein hastiger qualvoller Blick, den vier Augen wechselten.

„O, ich vergaß es in der Eile, lieber Vater!“

„Wie kann ein Soldat ein solches Ehrenzeichen vergessen!“ meinte der Alte, das graue Haupt langsam hin und herbewegend. „Donnerwetter, ich bin stolz, daß wenigstens einer meiner Söhne es mit nach Hause gebracht hat.“

Die Augen des Vaters schweiften zu Hermann hinüber, über das schlichte dunkelblaue Uniformtuch, das die kraftvolle Gestalt seines Erstgeborenen umschloß.

„Man hat mit dem Eisernen Kreuz kolossal um sich geworfen,“ sagte Bruno leise und zerrte an den Fransen der Tischdecke.

„Nun ja! Aber ich denke, die Offiziere in den Stäben – Du warst doch während des ganzen Feldzuges Ordonnanzoffizier, Hermann!“

„Sie thaten alle ihre Pflicht,“ platzte Bruno heraus, in der Verwirrung das Taktloseste vorbringend.

Eine Sekunde herrschte Schweigen, eine verlegene abscheuliche Stille. Der Vater bemerkte, daß er durch seine Fragen vielleicht Hermann verletzt habe, ohne es zu wollen. „Es ist gut, daß Du wieder da bist, Hermann, und mit gesunden Knochen!“

Der Aelteste nickte ihm freundlich zu und versuchte zu lächeln, konnte es aber nicht, als sein Blick auf Bruno fiel.

Der Mutter Augen wanderten forschend vom einen zum andern. Lore, die nichts verstand, nichts verstehen konnte, wollte durchaus das Schweigen brechen.

„O,“ sagte sie und lehnte sich an Brunos Schulter, „ich weiß, wo es hingehört, das Eiserne Kreuz! Gerade hier über ein tapferes Herz!“ Und fast kindlich neigte sie den schlanken Körper und drückte die Wange liebkosend an die Brust ihres Verlobten.

Er ward bleich. In nervöser Hast drängte er sie mit beiden Händen zurück und sprang vom Stuhle auf.

„Laß das, Lore! Das ist – – es ist entsetzlich heiß hier! Ich will ein Glas Wasser bestellen.“ Rasch ging er hinaus.

„Er ist so merkwürdig heute,“ sagte Lore, tapfer eine Thräne hinunterschluckend, und stieß in der Verlegenheit eine Tasse vom Tisch herunter. Klirrend zerschellte diese auf dem Fußboden.

Als man sich zur Nachtruhe trennte, hielt die Mutter lange die Hand ihres Aeltesten zwischen den ihren.

„Deine Hand ist eisig. Hast Du Dich vielleicht erkältet?“

Er wandte den Blick ab.

„Sieh mich an, Hermann!“

Er that es, voll, groß, ruhig. Liebkosend streichelte sie seine Hand. „Bist mein guter starker Hermann,“ flüsterte sie leise. „Gute Nacht!“

Sorgenvoll begab sie sich zur Ruhe und lange noch lag sie grübelnd in den Kissen. Mutteraugen sehen scharf. Sie hatte die Wunde gefunden, die durch des Sohnes Herz ging, und wußte nun, weshalb sie sich über des Jüngsten Verlobung nicht recht von Herzen freuen konnte.

Langsam hatte Hermann sein Schlafzimmer aufgesucht, ein großes Gemach, einst das Spielzimmer der beiden Brüder und der Kousine. Gedankenlos begann er sich auszukleiden, zog gewohnheitsmäßig die Taschenuhr auf und schauderte fröstelnd zusammen bei dem klirrenden Geräusch, das die niedergleitende Uhrkette auf der Marmorplatte des Betttischchens machte.

Der Wind fuhr brausend durch die alten Eichen vor dem Hause. Er setzte sich auf den Bettrand und klappte langsam den Deckel eines kleinen Etuis auf und zu, das er seiner Reisetasche entnommen hatte und in dessen Innerem ein schlichter goldener Reif mit einem großen Türkis ruhte.

„Träumer!“ murmelte er leise.

Was hatte er sich eigentlich gedacht? Was berechtigte ihn, so fest daran zu glauben, daß er einst diesen Ring über Lores Finger streifen würde? Nichts, gar nichts in der Welt! Weshalb sollte die Lore denn den Bruder nicht lieben? Dem waren ja von jeher alle Menschen gut gewesen – und er selbst? Nun, er hatte den Bruder ja auch geliebt. Hatte! hatte! Also jetzt nicht mehr? Was konnte denn der Bruder dafür, daß ihm des Mädchens Herz zugefallen war? Wie konnte er, Hermann, über eine Liebe trauern, die ihm nie gehört, die ihm also auch niemand geraubt hatte!

Und doch schnürte es ihm die Brust zusammen, nicht anders, als wäre ihm das Mädchen als sein Eigentum entrissen worden. Wenn nun Bruno nicht nach Hause gekommen wäre? Wenn er bei St. Privat den Tod gefunden hätte? Er schauderte zusammen vor den häßlichen Gedanken, die sich ihm aufdrängten.

Wie schön sie war mit ihrer süßen Gestalt, wie die Augen noch größer, noch dunkler erschienen unter den feinen Brauen!

Er sprang auf, sein Blut kochte. Das Mädchen in seines Bruders Armen! Wird er sie glücklich machen, der … der Feigling! Wie konnte ein Mann, der nie einer war, die Lore glücklich machen!

Es klopfte jemand. Mit weit geöffneten Augen blickte Hermann auf. „Wer ist da?“

Langsam öffnete sich die Thür. Bruno! Die Haare unordentlich in die Stirn fallend, die Gesichtszüge schlaff und bleich, die großen braunen Augen fieberhaft glänzend, so stand er da.

„Hermann,“ sagte er leise und tastete mit der Hand an dem Hemdkragen, als sei ihm der zu eng. „Ich kann es nicht mehr ertragen – den Ekel vor mir selbst! Ich glaubte, es sei überwunden, aber nun ich Dich wiedersehe, quillt alles neu in mir auf, als sollte ich ersticken!“

Hermann sah den Bruder stumm an, dann senkte er den Blick. Gegenüber dieser Seelenqual schwand alles, was er selbst eben noch empfunden hatte. Sein Edelmut regte sich. Er faßte Bruno an beiden Händen und zog ihn auf einen Stuhl. „Du mußt es überwinden. Du mußt darüber hinweg, und wenn es noch so schwer ist. Das Leben liegt vor Dir und hat Arbeit für Dich. An die klammere Dich an! Mir ist es, als sei ich zehn Jahre älter als Du. Kopf hoch! Du konntest doch früher das Leben heiter nehmen.“

Bruno schüttelte den Kopf. „Du meinst, ich sollte durch Arbeit sühnen. Sühnen? Ein Ammenmärchen! Hast Du einen Zaubertrank gegen Flecken der Seele?“

„Ja; die Zeit und ein ehrliches festes Wollen! Und im übrigen –“

„Ja, im übrigen weiß ja kein Mensch davon,“ fiel Bruno ein und strich sich die wirren Haare aus der Stirn.

Hermann blickte grübelnd zu Boden. Das also war Brunos Trost! Wohl ihm! Von alledem, was er selbst durchgekämpft hatte damals am Lagerfeuer, empfand jener nichts!

„Und dann,“ sagte Bruno, während sein früheres lustiges Gesicht sich allmählich aus den trübseligen Falten herausarbeitete, „dann hab’ ich ja sie, die Lore, meine Braut!“

„Ja, die hast Du,“ murmelte Hermann und trat ans Fenster, in die Nacht spähend.

„Wie glücklich ich bin! Sie war zu reizend, zu süß an meinem Krankenlager! Sie hat mich so rührend gepflegt und unterhalten, Du weißt, sie kann sehr vergnüglich plaudern, Sie besitzt wirklich Geist. Als ich dann zum erstenmal im Zimmer umherging, vor vierzehn Tagen, nun, da kam das so ganz von selbst. Ich küßte ihr die Hand, sie verbat sich den Unsinn, und da küßte ich sie auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_455.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2021)