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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

den bedeutendsten Städten Europas, sondern auch in Amerika, China, Japan und Aegypten unterhalten. Dieser Zweig der Hausindustrie wird wohl freilich mit der Zeit verschwinden und dem Großbetriebe den Platz einräumen, wie es zum Teil schon geschehen ist.

In der Nähe von Arnstadt liegt der Marktflecken Ichtershausen. In ihm hat die deutsche Industrie einen hervorragenden Sieg errungen. Die Deutschen waren es, die einst die Fabrikation der Nähnadel ins Leben riefen, und die Nürnberger und Schwabacher Ware erfreute sich eines Weltrufes. In unserer Zeit wurde jedoch Deutschland von England überflügelt; wohl suchte man seit 60 Jahren in Aachen, Altona und Iserlohn es den Engländern gleichzuthun, aber die englische Ware beherrschte dennoch den Weltmarkt. Da wurde im Jahre 1862 in Ichtershausen von Wilhelm Wolff und August Knippenberg eine Nadelfabrik gegründet. Bald überholte diese dank der Vervollkommnung der Anfertigungsweise unsere Nebenbuhler jenseits des Kanals und eroberte der deutschen Ware den verlorenen Boden. Gegen 50 verschiedene mechanische Arbeiten werden verrichtet, um Nähnadeln aus dem Rohmaterial herzustellen; gegen 5000 Sorten verschiedener Nadeln können hier erzeugt werden und die Fabrik vermag täglich über 2 Millionen Nähnadeln zu liefern – sie ist vermutlich die größte und leistungsfähigste Nadelfabrik der Erde. Mit Thüringer Nadeln nähen heute Millionen fleißiger Frauenhände, und Thüringer Nadeln schwingen in zahllosen Nähmaschinen.

Kunsthalle.   Hauptausstellungsgebäude.   Thüringer Bauernhaus.
Gartenbauhalle.

Bilder von der Thüringer Gewerbe- und Industrieausstellung.

Aber nicht nur für Kinder und Frauen sorgt der Thüringer Gewerbfleiß. Die Thüringer waren auch Waffenschmiede, berühmte Panzerer, Plattner und Harnischschmiede. Namentlich das Suhler Eisen eignete sich ausgezeichnet für Harnische und Schwerter, in den Thüringer Thälern blühte das Waffenhandwerk und Suhl hieß das „deutsche Damaskus“. Da kam die Zeit, wo der Panzer vor den Feuerwaffen verschwand, und die Suhler wurden berühmte Büchsenmacher. Beim Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges sandte Thüringen seine Musketen in alle Weltgegenden und es hieß „Deutschlands Zeughaus“, bis es in barbarischer Weise durch den kaiserlichen „Brandmeister“ Isolani im Jahre 1634 zerstört wurde. Erst in neuerer Zeit kam dieser Zweig der Industrie in Thüringen von neuem empor: im Jahre 1827 erfand der Sohn eines Thüringer Schlossermeisters, J. N. Dreyse, das Zündnadelgewehr, das anfangs noch von vorn geladen wurde. 1836 wandelte er es in einen Hinterlader um. 1840 wurde dasselbe in Preußen angenommen; nun fertigte wieder Thüringen die hervorragendsten deutschen Waffen; bis zum Jahre 1874 wurde der größte Teil der preußischen Militärgewehre in Thüringen hergestellt, und man kann wohl sagen, daß die Kriege von 1864, 1866 und 1870 zum großen Teil mit Sömmerdaer Waffen ausgefochten wurden. In der letzten Zeit sind Staatsaufträge in Thüringen seltener geworden, aber das Waffengewerbe blüht noch im Lande fort und liefert ausgezeichnete Jagd- und Luxuswaffen, wie die „Gartenlaube“ dies im Jahrgang 1892, Nr. 17 beschrieben hat.

Die Pfeife ist seit dem Dreißigjährigen Kriege zur Genossin und Freundin des Soldaten geworden. Auch die Pfeifenfabrikation blüht im Thüringer Lande und Ruhla ist weit und breit als die Pfeifenstadt, die Metropole der Pfeifenerzeugung berühmt (vgl. Seite 211 dieses Jahrgangs). Außer den Pfeifen werden hier noch alle anderen „Rauchinstrumente” hergestellt und außerdem spielt die Verarbeitung des Bernsteins gegenwärtig eine so große Rolle, daß sie an Bedeutung wohl bald die Meerschaumfabrikation überflügeln wird.

Um das Jahr 1500 kam aus China das Porzellan zum erstenmal nach Europa. Ein Thüringer von Geburt, der Alchimist Joh. Friedrich Böttger, hat das Geheimnis seiner Herstellung im Jahre 1709 in Meißen entdeckt. 1711 kam das erste Meißener Porzellan auf die Leipziger Messe und 1759 wurde die erste Thüringer Porzellanfabrik in Katzhütte eröffnet. Seit jener Zeit blüht die keramische Industrie in Thüringen und bildet die eigentliche Lebensader vieler Waldorte. Namentlich die Thüringischen Porzellanpuppenköpfe und Nippfiguren sind weltbeliebte Modeartikel geworden, die jährlich zu vielen Tausenden von Centnern in die weite Welt wandern.

Thüringen besitzt gegenwärtig an keramischen Fabriken, die außer Porzellan noch Steingut, Fayence, Majoliken, Terrakotten und ähnliches erzeugen, die stattliche Zahl von 115. Und ein Drittel von ihnen beschäftigt je über 200 Arbeiter!

Im nächsten Jahre wird die Glasindustrie in Thüringen ihr dreihundertjähriges Jubiläum feiern können, denn 1595 gelangte sie dorthin, nachdem sie in Venedig und Böhmen schon früher aufgeblüht war. Ihres Glaubens wegen verfolgte Protestanten, der „Schwabenhans“, Hans Greiner, und Christoph Müller aus Böhmen, gründeten damals in Lauscha die erste Glashütte Thüringens. Lauscha ist noch heute der Hauptsitz dieses Zweiges des Thüringer Gewerbfleißes. Hier wird leuchtender Christbaumschmuck und gefälliges Trinkgerät hergestellt. Trefflich sind seine mattweißen Fischperlen, denen der Glanz der echten Perlen durch eine aus den Schuppen des Uklei gewonnene Essenz verliehen wird, ferner die künstlichen Tier- und Menschenaugen, die hier gefertigt werden.

Ja, berühmt, weltberühmt ist das Thüringer Glas! Nunmehr ist es auch zu einer der schneidigsten Waffen der Wissenschaft geworden in den Mikroskopen. Frankreich hatte einst in der Herstellung von diesem wunderbaren Werkzeug der Forscher die Führung innegehabt. Da gründete im Jahre 1846 Karl Zeiß in Jena ein optisches Institut und setzte Mikroskope zusammen, die schon im Jahre 1857 selbst die berühmten Pariser übertrafen. Er ruhte aber nicht auf diesen Lorbeeren aus; in den 1860er Jahren trat er mit einem Thüringer, dem 1840 in Eisenach geborenen Dr. Ernst Abbe,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_457.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)