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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 28.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Brüder.

Roman von Klaus Zehren.
(1. Fortsetzung.)

Nach wenigen Tagen reiste Hermann wieder in seine Garnison zurück, früher als er verpflichtet gewesen wäre. Er hielt es daheim nicht länger aus, das ging über seine Kräfte. Auch wollte er Bruno Platz machen, der sichtlich unter seiner Anwesenheit litt.

Mit Lore hatte er kurz vorher noch ein Gespräch über Bruno.

„Sieh, Hermann, ich weiß, daß er leichtsinnig war, vielleicht auch ein wenig charakterschwach, aber ich glaube, ein Mann, der dem Tod ins Antlitz geschaut hat, der muß doch gefestigt sein und ernster werden. Nicht wahr?“ Hermann hatte nur mit dem Kopfe dazu genickt.

„Ich will ihn ja so lieb haben,“ hatte sie ihren Gedankengang fortgesetzt und dann zu lachen begonnen. „Wie dumm man sich das stets ausmalt, verlobt zu sein und einen Mann zu lieben! Als ich jünger war, dachte ich immer, ein Mann müsse so sein wie Du: ruhig, ernst, eine feste Stütze für ein Mädchen, und dabei so großmütig, so freundlich, selbst wenn man etwas Dummes sagt oder thut. Und man müsse riesigen Respekt vor einem solchen Gatten haben! Weißt Du noch, damals, die Geschichte mit dem wütenden Stier?“

Hermann winkte abwehrend mit der Hand.

„O, ich weiß es noch genau, der junge Jagdhund war daran schuld, der das Tier reizte. Ich sehe noch den mächtigen Bullen herankommen. Bruno und ich liefen schreiend davon, nur Du bliebst stehen, nahmst die Jagdflinte von der Schulter und schossest dem Stier auf zehn Schritt die Ladung vor die Stirn, ihm beide Augen blendend. So wurden wir gerettet! Wie alt warst Du damals, Hermann?“

„Ungefähr fünfzehn Jahre.“

„Richtig, Ihr wart noch auf dem Gymnasium. Ich habe so oft daran zurückgedacht, immer mit dem Gedanken, daß mein einstiger Mann solch ein furchtloser kaltblütiger Recke sein müßte. Mädchenträume!“ Sie schüttelte leise den Kopf.

„Ich wollte zuerst auch fortlaufen,“ sagte Hermann. „Aber dann sah ich in weitem Umkreise keinen Graben, keine Hecke, keinen Baum, der uns schützen konnte.“

Die Großmutter.
Nach einem Gemälde von Max Liebermann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_469.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2021)