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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Es soll nicht sterben!“ klang es mit gellender Stimme von Eberweins Lippen.

Erschrocken streckte der Schmied die Arme, doch er konnte die verzweifelte That des Mönches nicht mehr hindern. Mit mächtigem Sprung hatte sich Eberwein auf ein im Wasser treibendes Dach geschwungen, mit dem zweiten Sprung gewann er eine schwimmende Tanne, lief auf ihrem Stamm entlang und stürzte sich in die Wellen. All seine letzte Kraft erschöpfend, erreichte er die Wiege und hörte das weinende Stimmlein des Kindes. Von den reißenden Wellen fortgetrieben und wider sie ankämpfend mit erlöschender Kraft, stieß er die Wiege vor sich her und dem anderen Ufer zu. Je weiter ihn die Fluteu thalwärts trugen, desto mehr erlosch die dämmerige Helle vor seinen Augen, denn ein trüber Rauch begann sich über das Wasser und seine Ufer zu legen. Während er mit der einen Hand die Wellen zu teilen suchte, hielt er mit der anderen die Wiege fest – und plötzlich fühlte er Grund unter seinen Füßen. Keuchend richtete er sich auf, riß das schreiende Kind an sich, das mit nackten Aermlein seinen Hals umklammerte, und von den schäumenden Wellen bis an die Brust umspült, gewann er das Ufer. Schwankend stieg er noch eine Strecke über den waldigen Hang empor, dann sank er entkräftet zu Boden, und es schwand ihm das Bewußtsein.

Finster senkte sich die Nacht über den Besinnungslosen und über die weiten Stätten der Verheerung. Nirgends leuchtete die Flamme eines Herdes, und rings um alle Hütten, welche der Zerstörung entgangen waren, lag dumpfes Schweigen gebreitet. Nur die flutenden Gewässer rauschten, und in Zwischenräumen tönte von den Bergen ein kurzes dumpfes Gepolter nieder.

Auf einer einzigen Stätte nur war es laut und lebendig in der Nacht, und rings um sie her verscheuchte eine lodernde Flammensäule das Dunkel. Der rote Schein, welcher ausging von Wazemanns brennendem Haus, leuchtete weit empor über den verschütteten Bergwald und nieder auf den rauschenden See und die verödete Lände. Zuckende Lichter fielen durch das offene Thor hinaus auf den von Geröll und zersplitterten Bäumen übersäten Weg, auf dem die Leiche eines erschlagenen Menschen lag, das gelbe Wams von Blut überronnen – es war einer der Wazemannsknechte, der sich am Windacher See auf ein lediges Roß geschwungen hatte und dem stürzenden Felsen entronnen war. Von Grausen gejagt und beim Anblick der Verwüstung im Gadem von neuem Schreck befallen, hatte er den Weg nach seines Herrn Haus gesucht. Das lahm gewordene Roß am Zügel führend, war er bei sinkendem Dunkel über die Trümmerfelder emporgeklettert, während aus Wazemanns Haus schon die Flammen schlugen. Als er dem offenen Thor sich näherte, kam ein kreischender Haufe ihm entgegen, Männer und Weiber – der Hanetzer mit seiner Schar. Sie hatten das Haus verödet gefunden, verlassen von den Knechten und Mägden, welche bei Beginn des Bergsturzes geflohen waren. Beim Anblick der Pechkränze und Reisigbündel, welche im Burghof umherlagen, hatte der Hanetzer geschrien. „Schauet, Ihr Leut’, Herr Waze selber hat uns Zeug geliefert zu flinkem Feuer!“ Auf alle Dächer, in alle Thüren und Fenster waren die brennenden Kränze geflogen, und mit johlendem Geschrei begrüßte der Haufe die erwachenden Flammen. Aber bei aller Wut, die sie erfüllte, bei allem Haß, der in ihnen gährte, fürchteten sie doch die Heimkehr des Spisars und seiner Söhne. Zuerst begannen die Weiber zu laufen, und die Männer folgten ihnen. Als der Trupp sich durch das Thor hinausdrängte, kam jener Knecht mit seinem Roß.

Im sinkenden Dunkel, das die Flammen erst halb zerstreuten, hielt der Knecht den fliehenden Haufen für das Gesinde des Hauses, und keuchend schrie er ihnen die Botschaft zu: „Not über uns! Der Herr liegt unter seinem Berg, all’ seine Buben sind erschlagen!“ Ein kurzes Schweigen – als konnte solche Botschaft von diesen Menschen nicht begriffen werden im ersten Atemzug und Hören – dann jählings ein Geschrei, nicht wie von menschlichen Stimmen, sondern wie aus den Kehlen gequälter Tiere, deren Käfig, darin sie durch Jahr und Tag alle Marter gelitten, mit einem Schlag zerbrochen wird. „Such’ Deinen Herrn wieder,“ brüllte der Hanetzer und raffte einen Buchenast von der Erde, „wir lassen ihn grüßen!“ Krachend fiel das schwere Holz auf die Stirne des von Entsetzen gelähmten Knechtes, und lautlos brach der Mann zusammen, während das scheue Roß über den Weg hinaus in die Tiefe sprang.

Wie vom Wahnsinn der Freude befallen, unter jauchzendem Geschrei, wandten sich die Männer und Weiber in den schon taghell erleuchteten Burghof zurück, und ihr furchtlos gewordener Haß berauschte sich in einer Orgie der Zerstörung. Sie rissen den Stangenkäfig nieder und erschlugen die Raubtiere, welche dem Spisar zu Spiel und Kurzweil gedient. In der Vorhalle fanden sie die Saufänger und Jagdspeere und erstachen im Zwinger die Hunde, welche die letzte Bergfahrt ihres Herrn nicht geteilt. An den brennenden Ställen erbrachen sie die Thüren und metzelten die gemästeten Rinder nieder, köpften die Ziegen und Schafe und erwürgten das Geflügel. In den Kellerhöhlen zerschlugen sie die Metfässer und vernichteten, was sie an Vorrat aufgespeichert fanden. Mit keinem Gedanken dachten sie, daß sie Gut zerstörten, das sie selbst von ihrem Schweiß gesteuert und gezinst ... im Rausch der Wut und des Hasses erschien ihnen alles und jedes zwischen diesen Mauern wie ein Teil des Mannes, der das Mark aus ihren Knochen gezogen und das Blut aus ihren Adern gepreßt. Die wachsenden Flammen nicht scheuend, drangen sie in alle Kammern des Hauses, zerschlugen die Sessel und Tische, brachen die Waffen entzwei, zerschmetterten alles Gerät und rissen in Fetzen, was an Gewand in ihre wühlenden Hände fiel. Die Trümmer und Scherben und was der Vernichtung widerstand, warfen sie durch die Fenster in den Burghof und hielten in solcher Zerstörung nicht eher inne, als bis die fallende Glut des Gebälks sie aus dem brennenden Hause trieb.

Nur einer zögerte noch. In Reckas Kammer hatte der Hanetzer das über die Dielen zerstreute Geschmeid gefunden, und die Habsucht war in ihm erwacht. Im Burghof schrieen seine Brüder. „Heraus, heraus oder das Dach geht nieder über Dich!“ Doch er hörte die warnenden Stimmen nicht. Halb erstickt vom wallenden Rauch und fast versengt von der schwelenden Hitze, kroch er auf den Bohlen umher, tastete nach den Spangen, Ketten und Ringen und raffte in seine Kotze, was er fand. Jetzt griff er nur die leeren Dielen noch und wollte sich schon erheben, da fühlte er ein letztes Stücklein – es wog nicht schwer wie Gold und Silber, doch war es anzufühlen wie die Hälfte einer Spange. Er warf sie in die geschürzte Kotze und aus der Kammer flüchtend, faßte er nach einem Jagdspeer – denn was er gewonnen, wollte er auch bewahren. Während er sich durch die von Rauch und Flammen erfüllte Herrenstube kämpfte, verstummte jählings im Burghof das wirre Geschrei, und eine Stimme tönte in bebendem Zorn: „Die Berge erschütterte mein Gott und Herr, um seine Stärke zu weisen vor Euerem bangenden Blick! Die Geschosse seiner Felsen warf er auf die Brust der Sünder und Verstockten! Unter ewigen Hügeln begrub er seine Feinde und löschte ihr flackerndes Leben wie der Sturm das Licht! Eure Hütten brach er und deckte mit Gestein die Halden und Euren Schweiß! Und Ihr erkennt seine Größe nicht? Ihr lieget nicht auf den Knien in Zerknirschung und Gebet? Ihr schlaget nicht an die Brust und schreiet: Du Starker, sei uns gnädig!“ Zur Buße ruft Euch der zürnende Himmel – was aber sind Eure Werke? Mord, Raub und Brand!“

Taumelnd hatte der Hanetzer die Vorhalle erreicht, schüttelte die Funken von seinem Leib und rang nach Atem. Als er schwankend die Stufen betrat, tönte ihm mit schneidendem Klang jene Stimme entgegen: „Nieder den Raub aus Deinen verfluchten Händen!“ Vom zuckenden Schein der Flamme erleuchtet, stand vor ihm die hagere Gestalt eines Mönches, mit bleichem Antlitz und brennenden Augen, in erhobener Faust den Stab. „Nieder den Raub!“

„Was mein ist, wahr’ ich!“ murrte der Bauer mit noch halb erstickter Stimme.

„Gott befiehlt es!“ Der fallende Stab des Mönches traf den Arm des Bauern, daß die geschürzte Kotze sich öffnete und das blinkende Geschmeid über die Stufen rollte.

Von den Lippen des Hanetzer zischte ein Fluch, es zuckte der Speer in seiner Faust – und Waldram taumelte mit durchbohrter Brust. Die Männer erblaßten, die Weiber schrieen und erschrocken streckten sich zwanzig Hände, um den Sinkenden aufzufangen; doch Waldram bedurfte keiner Stütze. Hoch aufgerichtet stand er, nur der Stab war ihm entfallen. Mit der einen Hand die quellende Wunde deckend, mit der anderen zum Himmel weisend, hob er die Augen mit einem Blick, vor welchem der Mörder scheu zurückwich in die brennende Halle. Und ohne Zorn, in feierlichem Ernste, klangen die Worte des Mönches: „Du sendest mich zu meinem Gott und ich möchte Dir danken! Doch meine Wunde muß reden wider Dich vor des Richters Thron, denn geweihtes Blut hast Du vergossen! Bete, Sünder! Bereue!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_478.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)