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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 29.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Brüder.
Roman von Klaus Zehren.
(2. Fortsetzung.)


Mitten in Lores Gedanken hinein fragte Hermann: „Ihr lebt sehr glücklich zusammen?“ Scheinbar gleichgültig, wie jemand, der ein Ja erwartet, nahm er einen Schluck Thee. Lore zögerte einen Augenblick, sagte dann aber, eine erstaunte Bewegung seines Kopfes bemerkend, rasch: „Natürlich, Hermann! Dein Bruder ist immer gleich liebenswürdig, genau so wie in unserer Verlobungszeit. Man sagt, das sei das beste Zeichen für einen Ehemann und auch ein bißchen für die Frau. Uebrigens“ – sie lachte leise – „habe ich noch gar nicht so ernst darüber nachgedacht.“

„Das ist das allerbeste Zeichen, Lore.“

„Glaubst Du das, weiser Salomo? Aber verzeih' eine vielleicht thöricht klingende Frage – man denkt als gereifte Frau manchmal über Sachen nach, auf die man als junges Mädchen nie gekommen wäre. Ich wuchs doch mit Euch beiden wie eine Schwester auf. Hast Du jemals früher daran gedacht, daß ich einmal einen von Euch beiden heiraten würde?“

Sie sah nur, wie er langsam mit der Rechten über Stirn und Augen fuhr.

„Das weiß ich nicht mehr. – Lore, verzeih’, aber das ist im Grunde eine müßige Frage!“

„Nicht so ganz. Vielleicht sogar von großem psychologischen Interesse, wenigstens für mich, wenn Du bedenkst, wie unreif man in jenen Jahren ist und wie sehr geneigt, Augenblickswallungen des Herzens, man möchte sagen, dem Instinkt zu folgen.“

„Nun, Dein Instinkt war richtig,“ sagte Hermann etwas rauh.

Es war eine Weile still, bloß im Kamin knisterte leise die Glut. „Hermann!“ Es war ein warmer kindlicher Klang in ihrer Stimme. „Bist Du mir böse?“

Etwas leuchtend Weißes näherte sich ihm; er faßte danach und hielt ihre kalten zitternden Finger in den seinen.

„Was ist?“ fuhr sie plötzlich auf, das Eintreten einer Person vernehmend.

„Fräulein Helm, gnädige Frau.“

„Ah! Zünden Sie Licht an; schnell! Und dann lassen Sie die Dame eintreten.“

„Liebe Edda!“ Sie eilte der Eintretenden entgegen. „Seit wann sind Sie wieder hier in Berlin? Ich vermutete Sie noch in England.“

Hermann war zum Fenster getreten, so lange in dem entfernteren Teil des großen Zimmers die Begrüßung und das Ablegen von Mantel und Pelzwerk vor sich ging. Ihm war der Besuch wenig angenehm; er hörte nur, wie dieser mit eigentümlicher Stimme etwas antwortete.

„Hermann! Willst Du die Liebenswürdigkeit haben?“

„Verzeihung, ich glaubte, die Damen seien noch beschäftigt.“

„Mein Schwager – Fräulein Edda Helm.“

Er blickte in zwei große dunkle Augen, in ein feines blasses mageres Gesicht, dessen Züge ihm sonst wenig interessant erschienen. Eine mittelgroße überschlanke Dame, sehr einfach gekleidet, die dunklen Haare scharf aus der Stirn gezogen und in einen englischen Knoten aufgenommen. Sie neigte ein wenig den Kopf in Erwiderung seiner förmlichen Verbeugung.

„Fräulein Edda ist eine sehr gute Freundin von mir,“ sagte Frau von Weßnitz und klopfte jene freundlich auf die


Früchteverkäuferin in den Straßen von Kairo.
Nach einem Gemälde von W. Bougereau.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_485.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)