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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


seufzend neigte er das ergraute Haupt. „Ich hab’ meinem guten Herrn die Treu’ gebrochen ... ich bin kein Freier mehr, ich muß mein Leben in Knechtschaft geben!“

Sie verstanden ihn nicht; aber sie fühlten, daß er ein Wort des Abschieds zu ihnen gesprochen, und klammerten sich an seine Arme. Dumpf schluchzend umfing er die Schwester, küßte ihren Mund, ihre nassen Augen und stürzte davon. Ueber die verschütteten Felder ging sein Weg, der Stätte zu, an welcher Eberwein bei der Arbeit war. Die Männer, welche an der Seite des Mönches schafften, erblickten den Fischer und riefen seinen Namen. In freudigem Schreck ließ Eberwein die Picke fallen und eilte mit ausgebreiteten Armen dem Kommenden entgegen. Doch bis ins Herz erschrak er bei Sigenots verwandeltem Anblick. „Allmächtiger Himmel! Sigenot!“

Mit hängenden Armen, das Antlitz geneigt, stand der Fischer vor ihm. „Herr! Heut’ komm’ ich mit einer Bitt’!“

„Rede!“ stammelte Eberwein.

Sigenot rang nach Worten; dann jählings stürzte er vor dem Mönch auf die Knie und umklammerte ihn mit zitternden Armen. „Herr! Gefallen ist von mir, was meinem Leben lieb gewesen. Nimm mich auf in Deine Hut ... ein Gottesmann will ich werden ... und gut sein will ich, derweil ich leiden muß!“

Vor der Schlacht.
Nach einem Gemälde von G. v. Boddien.


Keines Wortes mächtig zog Eberwein den Knienden zu sich empor, der das Antlitz in fassungslosem Schmerz an der Brust des Mönches vergraben hielt. Schon traten die anderen zurück und sahen, wie Eberwein den wankenden Mann zu einer gestürzten Eiche führte. Dort saßen die beiden, und es währte lange, bis Sigenot zu sprechen vermochte. Nur mühsam lösten sich die Worte von seinen bleichen Lippen. Als er vom Tod der Wazemannstochter erzählte, verhüllte Eberwein das Gesicht.

„Der Schnee hat sie gefaßt, die Felsen sind über sie hergefallen, und ihre letzte Red’ noch ist gewesen: Ich hab’ Dich lieb!“ Sigenots Stimme brach, und wie leblos saß er.

Eberwein ließ die Hände sinken. „Dieses stolze schöne Leben ... erloschen und tot!“ Langsam wandte er das Gesicht, und mit feucht schimmernden Augen den See und seine Berge suchend, flüsterte er: „Der Toten darf ich gedenken ... wie einer Schwester, die mir starb!“ Er legte den Arm um Sigenots Schulter und zog ihn an sich, als wäre diese stnmme Zärtlichkeit der einzige Trost, den er zu spenden wüßte.

„Herr!“ stammelte der Fischer. „Sei nicht so gut zu mir ... eh’ Du nicht alles gehört hast!“ In heiseren Lauten erzählte er, was geschehen war nach seiner Heimkehr. „So hab’ ich geraitet mit ihm und hab’ das Kreuz gepackt und hab’s geworfen! Und jetzt, Herr ... ich hab’ mein Rötli zu ihrem Herd geführt und bin gelöst von allen Sorgen – jetzt will ich büßen, was ich gethan hab’. Gottes treuer Knecht will ich sein und all mein Leben lang helfen, sein Kreuz errichten, das ich geworfen hab’! Oder sag’, Herr ... hab’ ich in meinem Leid so schwer gesündigt, daß ich nimmer sühnen kann und daß Du mir zürnen mußt?“

„Dir zürnen? Ich?“ Eberwein sprang auf, das Antlitz von heißer Röte übergossen. „Dir zürnen? Komm, Sigenot,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_496.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2018)