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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

nur an! Ob Himmel oder Höll’ ... ich hab’ nimmer anders können!“ Schluchzend bedeckte er mit den Händen das Gesicht und stürzte auf die Knie. Eberwein stand in bebender Erregung; er blickte auf das stumme von Angst gelähmte Weib, dann wieder auf das ausgiebige Bröcklein Elend nieder, das vor seinen Füßen auf der Erde lag. Allmählich beschwichtigte sich der Sturm in seinen Zügen, und schwer atmend legte er die Hand auf die Schulter des Knienden. „Steh’ auf ... und folge mir! Was ich mit Dir zu sprechen habe, ist nicht für die Ohren Deines ...“ Die Stimme des Propstes stockte, „für die Ohren dieses armen Weibes.“ Er wandte sich ab und schritt einer Senkung des Almfeldes zu, aus welcher dunkle Fichtenwipfel hervorlugten.

Mühsam richtete Schweiker sich auf, als wären ihm alle Knochen zu Teig geworden. Schluchzend streckte er die Hände nach seinem Weib, doch als sich Hinzula erheben wollte, winkte er ihr zu, daß sie bleiben möchte, und eilte dem Mönche nach.

Immer höher stieg die Sonne, und immer stiller wurde in der Hütte das Geprassel des Feuers. Mit zitternden Armen den Säugling wiegend, saß das verstörte, blasse Weib auf der Thürschwelle. Eine Stunde verging, noch eine zweite. Langsam rann eine Thräne um die andere über Hinzulas zuckende Lippen, während ihre bangen Augen unverwandt an der Stelle hingen, an welcher Eberwein und Schweiker verschwunden waren. Mit jedem Herzschlag wuchs ihre Angst, und als die Sonne schon in Mittagshöhe stand und Schweiker noch immer nicht wiederkehren wollte, sprang Hinzula auf, und in verzweifelnder Sorge seinen Namen schreiend, stürzte sie den Bäumen zu. Als sie die Senkung erreichte, sah sie wenige Schritte vor sich den Propst auf einem Baumstumpf sitzen, an seiner Seite ihren Mann mit hängendem Kopf und schlaffen Armen. Eberwein hatte die Hände im Schoß der Kutte liegen und während aus der Tiefe herauf, vom Lokiwald, ein verschwommener Hall der Glocke tönte, blickten die Augen des Propstes in das ferne Thal der Ramsau. Durch die grüne Flucht der Wälder sah er einen breiten grauen Streif aus der Höhe niedergreifen in die Thäler: das von der Seeflut verwüstete Gehäng der Windach. Seufzend erhob er sich, trat auf Hinzula zu und blickte in das rosige Gesichtchen des Kindes. „Ist es ein Knabe?“

Sie konnte nicht sprechen, sie nickte nur und zog in mütterlicher Regung das hüllende Tüchlein nieder, damit er das breite Brüstlein und die runden Aermchen sähe. Da kehrte auch dem langen Gesellen das Leben wieder. „So sag’ ihm doch,“ stotterte er, „sag’ ihm doch, wie unser Büebli heißt!“

Scheu blickte Hinzula auf, als hätte sie kaum den Mut, ihres Kindes Namen auszusprechen. „Eberwinli!“

Mit furchtsamen Augen hing Schweiker an dem Gesicht des Propstes, um die Wirkung dieses Wortes zu erspähen. Doch Eberwein schüttelte mit leisem Lächeln den Kopf. „Der Name gefällt mir nicht! Den wirst Du wohl ändern müssen, Hinzula! Bringe mir den Knaben morgen zur Klause, damit ich ihn taufe. Er soll heißen wie jener, der für Euch gesprochen: Hiltischalk!“ Hastig wandte er sich ab, um seine Bewegung zu verbergen, und stieg der Tiefe zu. Er hatte schon den Wald erreicht, als er hinter sich ein Rennen und Keuchen hörte. Mit versagendem Atem holte Schweiker ihn ein und stammelte: „Schau’, Herr, schau’, ich thu’ Dich bitten aus Herzensgrund ... sag’ mir doch auch ein Wörtl, daß Du mir nimmer zürnen willst!“

Eberwein zeigte ein strenges Gesicht. „Ich kann Dir ein solches Wort nicht sagen, denn ich zürne Dir. Aber was bleibt mir übrig! Du hast ja flink dafür gesorgt, daß ich das Geschehene nicht mehr zu ändern vermag! Willst Du, daß ich vergessen soll ... vergeben darf ich nicht ... so füge Dich meiner Strafe. Ich will nicht, daß Dein übles Beispiel mir die Brüder stutzig mache und daß im Gadem die Leute sagen: es muß ein hartes Weilen im Kloster sein, wenn die Mönche entlaufen und sich an Weiber hängen. So wirst Du einem jeden, der Dich nach Deiner Herkunft fragt, die Antwort geben: man hat mich aus dem Kloster gejagt, weil ich im Schreck jener Unglücksstunde meiner Pflicht vergaß!“ Schweiker stand, ein Bild der tiefsten Zerknirschung. „Und ich muß helfen zu dieser Ausflucht!“ Eberwein seufzte. „Wenn ich Dich nicht verderben will, muß mein erstes Werk nach der Rückkehr in mein Land eine Lüge sein!“

Scheu hob Schweiker die Augen und stotterte. „Eine Lüg’ ...“ er strich mit der plumpen schwieligen Hand über sein Haar, „aber schau’, Herr ... eine gute Lüg’!“

„So?“ Mühsam unterdrückte der Propst ein Lächeln. „Du bist mit dem Trost gar flink bei der Hand, nur Dein Gewissen hat langsame Füße! Schweig’! Ich will kein Wort mehr hören. Geh’ heim zu Deinem Weib, und damit die schlaflosen Nächte ein Ende haben, von denen Du geplagt wirst, will ich in anderer Stunde wiederkommen und will Euch segnen in aller Stille. Ein Senn’ muß schlafen können ... sein Tag ist harte Arbeit!“

„Herr ...“ schluchzte Schweiker in Thränen.

„Schweigen sollst Du, und rühre nicht an mein Kleid! Willst Du danken, so laß die Untreu’, die Du an Deinem Gelübd’ und an mir begangen, die erste und letzte Deines Lebens sein!“ Eberwein wandte sich ab und folgte mit raschen Schritten einem Pfad, der sich in dichtem Wald verlor. Hinter ihm war lautlose Stille. Nach einer Weile aber hörte er von der Almhöhe einen gellenden Jauchzer, der an den Wänden des Göhl ein lautes Echo weckte. Lauschend blieb Eberwein stehen. „Er zehret von seinem Himmelsbrot!“

Zwei Stunden später erreichte der Propst die Schönau. Als er sich dem Hag des Richtmanns näherte, sah er den Bruder, welcher seiner schon wartete, am Wegrand auf einem Steinblock sitzen. Eine seltsame Erregung belebte die Augen Sigenots und seine bleichen Züge.

„Warum unter freiem Himmel? Weshalb nicht unter Deiner Schwester Dach?“

„Herr! Sell drinnen ist heut’ kein Platz für mich. Die Leut’ laufen umeinander in Freud’ und Sorg’ – das Rötli will Mutter werden!“

Eberwein lächelte fröhlich. „Das Leben rührt sich in meinem Land!“ An Sigenots Seite ließ er sich nieder, nahm die Ledertasche vom Gürtel und reichte sie dem Bruder. Neben reichlicher Zehrung für weite Reise enthielt sie den Brief, welchen Eberwein in der Nacht geschrieben. „Es ist ernste Pflicht, die ich Dir auferlege mit diesem Botengang, und ich habe Dich gewählt für diesen Weg, da ich bauen kann auf Deine Treu’!“

„Sag’, Herr, wohin die Botschaft?“

„In die Hand des Kaisers, dessen Schutz ich angerufen für mein Kloster und Land!“

Sigenot erschrak, daß ihm die Worte versagten. Schweigend hörte er alle die Ratschläge, welche ihm der Propst für die Reise gab.

„Aber Herr,“ stammelte er endlich, „wie soll ich Eingang finden in des Kaisers Haus? Ich? Ein schlichter Mann!“

„Fühle Dich, Sigenot! Du trägst das Kleid der Kirche, und jedes Herrn Thüre steht offen vor Deinem Fuß.“ Eberwein bemerkte die Röte, welche die Züge des Bruders färbte. „Und ich sende gerade Dich, damit der Kaiser sehen mag, daß mein Kloster nicht nur Mönche hat, auch Männer, deren Treue von Wert ist!“

Sigenot erhob sich; fester umschloß er den Stab, und langsam streckte sich seine gebrochene Gestalt, als wäre ein Funke der alten Kraft in ihr erwacht. „So laß mich ziehen in der jetzigen Stund’!“

„Ja, Sigenot!“ Eberwein faßte die Hand des Bruders und hielt sie mit langem Druck in der seinen, während sie Aug’ in Auge standen zu schweigendem Abschied.

Aus dem offenen Hagthor kam Ruedlieb hervorgelaufen, mit brennrotem Gesicht und nassen Augen. Lachend eilte er auf die beiden Mönche zu und vergaß in seiner Freude, den Propst zu grüßen. „Habt Ihr die Hulfrau nicht gesehen? Grad’ ist sie in meinem Haus gewesen ... den ganzen Buckel voll Kinder!“

„Ein Bub’, Liebli?“ stammelte Sigenot.

„Wohl wohl, ein Bub’! Und ein Dirnlein auch dazu!“ prahlte der junge Bauer mit strahlendem Gesicht. „Und das wird wohl gut sein! Der Gadem braucht wieder Leut’! Aber komm nur, komm, die Schwester verlangt nach Dir ... ihr erstes Wort ist gewesen: gelt, Liebli, Sigenot heißt mein Bub’ und Recka mein Dirnlein?“ Er rannte dem Hagthor zu, und mit eiligen Schritten folgte ihm Sigenot.

Lächelnd blickte Eberwein dem Bruder nach. „Nimm diese Freude als Zehrung auf Deinen Weg und wandere! Du wirst mir wiederkehren ... im Herzen wohl die unheilbare Wunde, denn Deine Treue hat eisernen Halt, aber stark und genesen an Geist und Körper! Es soll aus Dir noch ein Priester werden, an dem die Liebe Gottes ihre Freude hat!“ Mit hellen Augen blickte er rings umher ... aber da glitt schon wieder ein Schatten über sein Antlitz. In der Ferne, über den grauen Trümmerhügeln und dem zerstörten Bergwald, sah er den Falkenstein mit seinen verödeten Mauern. In den langen Arbeitswochen, die jenem Unglückstage

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_514.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2022)