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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„O lieb’, so lang du lieben kannst.“ Die anmutige Freiligratherinnerung, welche Friedrich Fischbach in Nr. 2 dieses Jahrgangs den Lesern der „Gartenlaube“ mitteilte, hat in weiten Kreisen freundliche Beachtung gefunden, wie wir aus mannigfachen Zuschriften entnehmen. Unter anderen hatte die in England lebende Tochter Freiligraths die Güte, uns auf einige Ergänzungen aufmerksam zu machen, welche auf das Erlebnis von Ludwig Elbers ein neues Licht werfen. Elbers war nämlich nicht der einzige, an dem Freiligrath die versöhnende Kraft jenes ergreifenden Liedes erprobte, und der erste, später umgestaltete Entwurf desselben reicht in viel frühere Zeiten zurück, in das Jahr 1829, da Freiligraths Vater starb, da der neunzehnjährige Sohn mit blutendem Herzen an dem Grabe dessen stand, der ihm „längst vergeben“:

„Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küßte, spricht
Nie wieder: ich vergab dir längst!“

In der Barmer Zeit scheint das Lied dagegen die Form erhalten zu haben, in der es uns heute vorliegt und in der es zuerst 1849 in der bei Cotta erschienenen Sammlung „Zwischen den Garben“ gedruckt wurde.

Auf einen Vorfall, der viel Aehnlichkeit mit dem von Friedrich Fischbach erzählten hat, spielt ein Brief Freiligraths an seinen Freund Heinrich Köster an; auch hier leistet er in überströmender Reue Abbitte für einen Schmerz, den er dem Freunde „hingerissen vom Wein und einer mir noch zu dieser Stunde unerklärlichen momentanen Melancholie“ angethan. „Fluch meiner Heftigkeit und meinen augenblicklichen düsteren galligen Stimmungen! Wie oft habe ich nicht schon auf ähnliche Weise verletzt, und wie oft, leider! hab’ ich nie wieder gut machen können, was ich so verbrochen. Du erinnerst Dich, daß ich Dir zu Köln in jener schönen Morgenstunde von einem Liede erzählte, das ich bei einer solchen Gelegenheit gemacht. Es ist mir gelungen, es zum Teil wieder aus dem Gedächtnisse heraufzurufen, und ich lasse es folgen, soweit ich’s weiß:

O liebe, da Du lieben kannst!
O liebe, da du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo Du an Gräbern stehst und klagst!
  u. s. w.

Schreib’ mir bald einmal, lieber Kerl! Laß mich bald schwarz auf weiß sehen, daß Du der aufrichtigen Reue ein unseliges Aufbrausen nicht mit der Kleinlichkeit nachträgst, die nur das Erbteil des Philisters zu sein pflegt. Sei mir gut und bleib’ mir gut und sei überzeugt, daß ich Dich seit vorgestern abend womöglich noch lieber habe als vorher. Deine Thränen haben mir vielleicht tiefer ins Herz geschnitten als Dir meine Worte.“

Dieser Brief ist vom 22. August 1838. Aber schon sehr bald nachher, in den ersten Septembertagen, riefen des Dichters „düstere gallige Stimmungen“ eine ähnliche Scene hervor. Diesmal war Heinrich Zulauff der Gekränkte. Die Freunde hatten in größerer Gesellschaft einen Ausflug nach Hohensyburg gemacht; abends im Ballsaale zu Limburg muß es Freiligrath außerordentlich wohl gefallen haben und er wollte nichts vom Nachhausefahren hören. Endlich gelang es Zulauff mit Mühe und Not, den Freund loszureißen, trotz der bösen Gesichter der Damen, die sich, meist junge Mädchen, klettengleich an den Dichter hingen und ihn nicht fortlassen wollten. Freiligrath stieg ärgerlichen Mutes in den Wagen und gab Zulauff auf ein scherzendes Wort eine barsche Antwort. Daraufhin ging dieser am nächsten Sonntag Morgen nicht wie gewöhnlich zu Freiligrath, sondern am Hause vorbei. Der Dichter lag im Schlafrock oben am Fenster und rief aus Leibeskräften Zulauffs Namen. Als dieser nunmehr, rasch begütigt, bei ihm eintrat, kam ihm Freiligrath entgegen mit einer Abschrift seines „O lieb’, so lang du lieben kannst“, und aller Hader war vergessen.

So sehen wir, wie dieses Mahnlied der Liebe in Freiligraths Händen zum Balsam für die Wunden ward, die er selbst unter dem Einfluß seines heißen Temperaments geschlagen, und mehr als einmal hat es seine herzbezwingende Kraft erprobt.

In der Sommerfrische.
Nach einem Gemälde von C. Bellanger.

In der Sommerfrische. Ein idyllisches Sommerheim, das alte Schlößchen am Strom, das sich der Onkel samt dem zugehörigen Grund und Boden erworben hat, um dort seine Gärtnerei in großem Stile zu betreiben! Seine junge Nichte ist ihm von Herzen dankbar, daß sie alljährlich die heißen Monate draußen verleben darf, inmitten hlühender duftender Blumenbeete und schattenspendender Baumgruppen, umhaucht von dem kühlen Odem des Wassers. Und ob es nicht noch etwas anderes ist, was sie hinauszieht nach dem behaglichen Gartenschlößchen? Der junge Vetter, der seinem Vater bereits in allen Zweigen der Gärtnerei hilfreich zur Seite steht, ist gar ein guter treuherziger Gesell, mit dem sich so gemütlich plaudern läßt und der, trotz des rauhen Arbeitsgewandes, das er trägt, der hübschen Base die zarteste Aufmerksamkeit entgegenbringt. Ja, ja! Für ihn ist der Hochsommer eine Zeit harter Arbeit von früh bis spät, aber doch freut auch er sich immer wieder auf die Tage der „Sommerfrische“.

Bestattungsfeier im alten Rom. (Zu dem Bilde S. 505.) Ungefähr um dieselbe Zeit, als es mit der republikanischen Verfassung im alten Rom zu Ende ging und die Monarchie sich vorbereitete, im ersten Jahrhundert vor Christi Geburt, kam auch die Sitte der Leichenverbrennung an Stelle des Erdbegräbnisses zu allgemeinerem Durchbruch. Unter mannigfachen Feierlichkeiten trug man die Verstorbenen wie früher zum Begräbnisplatze, so jetzt zu der Stätte des Scheiterhaufens hinaus, und wenn die letzte Glut gelöscht war, so sammelte man die Reste sorgsam in einer Urne. Zur dauernden Aufbewahrungsstätte dieser Urnen bauten die Reichen und Mächtigen Roms eigene Gewölbe für sich und ihre Angehörigen bis hinab zu den Freigelassenen und Sklaven. Wer aber hierzu die Mittel nicht besaß, der konnte sich schon bei Lebzeiten ein Plätzchen sichern in einem öffentlichen Urnengewölbe. Die vielen Hunderte von Nischen zur Aufnahme der Aschengefäße, die sich an den Wänden der unterirdischen Hallen befanden, gaben diesen eine seltsame Aehnlichkeit mit Taubenschlägen, weshalb sie der Römer „Kolumbarien“ (columba = die Taube) nannte. Als klassisches Beispiel dieser Einrichtung ist heute noch das 1726 aufgefundene Kolumbarium für die Freigelassenen der Kaiserin Livia, der Gemahlin des Augustus, an der Appischen Straße zu sehen.

In ein solches „Kolumbarium“ führt uns das Bild von H. Leroux. Der letzte Akt der Bestattung ist herangekommen; eine der Anverwandten hat unter den klagenden Tönen der Flötenbläser die Urne mit der Asche der Toten zu der Nische gebracht – ein letztes Schluchzen, ein letztes Hinsinken in heißem Schmerz, und der stille Zug steigt wieder hinauf zum Sonnenlichte, die Flöten verstummen, die Fackeln verlöschen, das Leben tritt wieder ein in seine Rechte. Eine Inschrifttafel an der Nische aber übermittelt den Namen der Verstorbenen den nachlebenden Geschlechtern zu treuem Gedächtnis.




Inhalt: Die Brüder. Roman von Klaus Zehren (3. Fortsetzung). S. 501. – Bestattungsfeier im alten Rom. Bild. S. 505. – Im siebenbürgischen Erzgebirge. Von A. Amlacher. S. 506. Mit Abbildungen S. 501, 506, 507, 508 und 509. – „Reitende Vögel.“ Von Dr. Karl Ruß. S. 510. – Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (Schluß). S. 510. – Vom „Deutschen Jonrnalisten- und Schriftstellertag“ zu Hamburg: Das Nachtfest auf der Alster am 30. Juni 1894. Bild. S. 513. – Blätter und Blüten: Vom „Deutschen Journalisten-und Schriftstellertag“ zu Hamburg. S. 515. (Zu dem Bilde S. 513.) – „O lieb’, so lang du lieben kannst.“ S. 516. – In der Sommerfrische. Mit Abbildung. S. 516. – Bestattungsfeier im alten Rom. S. 516. (Zu dem Bilde S. 505.)



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_516.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2022)