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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 32.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Brüder.
Roman von Klaus Zehren.
(5. Fortsetzung.)


Man begab sich in den Speisesaal, wo an kleinen Tischen gedeckt war.

„Ich bitte, Platz zu nehmen,“ sagte Lore lachend, zu dem Prinzen und Edda gewendet, die mit ihr und Hermann zu einem der Tischchen getreten waren.

„Ich wette, wir bilden die seltsamste Gesellschaft des heutigen Tages: ein russischer Prinz, eine approbierte Doktorin in Balltoilette, ein Gardelieutenant ohne Monocle und zuletzt, nun – der Rest einer jungen Frau.“

„Aber ein beau reste,“ meinte Prinz Sissi schlagfertig.

Eine allgemeine Unterhaltung wollte nicht recht in Gang kommen; der Russe begnügte sich mit einigen spöttischen Bemerkungen und Hermann führte über den Tisch hinüber mit Edda ein angeregtes Gespräch, das die andern nicht interessierte – über die Emanzipation der Frauen. Dabei ließ er keinen Blick von seinem Gegenüber. Lore wurde ungeduldig, je mehr ihr Schwager sich Edda zuwandte. Nervös spielten ihre Finger mit einer Messerbank, während sie die feine Unterlippe zwischen die Zähne klemmte und sich zerstreut im Zimmer umblickte, als wollte sie sich von dem Wohlbefinden ihrer Gäste überzeugen. Sie kannte sich selbst nicht mehr. Sie fühlte sich unzufrieden, ein Gefühl des Verlassenseins kam über sie.

Dort saß ihr Mann neben einer jungen Witwe, einer etwas exotischen Schönheit mit einem Paar dunkler mandelförmiger Augen. Jetzt hob Bruno das Glas und berührte damit leicht das seiner Nachbarin, während er ihr einige Worte zuraunte, vor denen sie mit lachenden Lippen sich in den Schutz eines riesigen Fächers von Straußenfedern zurückzog.

Lore zuckte zusammen. Sie kannte diesen Ausdruck in seinem hübschen leichtsinnigen Gesicht, in seinen dunklen Augen. Wie oft hatte sie an seiner Brust gehangen und glücklich zu ihm aufgeschaut, weil sie glaubte, er könne niemand sonst in der Welt so ansehen! Es rieselte ihr kalt durch die Adern, langsam, schmerzhaft. Sie hatte das Gefühl, als müßte sie nach Hermanns breiter kräftiger


Von der Kieler Regattawoche: Der Blumenkorso am Abend des 28. Juni 1894.
Nach dem Leben gezeichnet von F. Stoltenberg.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_533.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)