Seite:Die Gartenlaube (1894) 559.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

giebt, daß sie zwar am Tage ganz gut, am Abend und im Dunkeln aber gar nicht sieht, „nachtblind“ wird, „hühnerblind“ oder „hemeralopisch“ („tagsehend“). Der Lichtsinn muß also herabgesetzt sein. Es ist eine besonders große Menge Licht nötig, damit noch gesehen wird. Wie mißt man nun den Lichsinn? Es geschieht dies nach Aubert in der Weise, daß man in einem Zimmer, das sonst ganz dunkel ist, eine kleine Fensteröffnung immer mehr verkleinert und dabei bestimmt, bei welch kleinster Oeffnung der zu Untersuchende noch große Buchstaben lesen kann. Dieses Verfahren von Aubert wurde 1857 von Förster für einen sehr praktischen Apparat verwendet, das „Photoptometer“., welches eine finstere Stube erspart. Der Kranke blickt in einen schwarzen Kasten, der nur durch eine Oeffnung Licht erhält, die größer und kleiner gemacht werden kann. Das normale Auge ist noch imstande, die großen Buchstaben am Ende des Kastens zu lesen, wenn die quadratische Lichtöffnung nur 2 mm Seite hat. Dann sagt man, „der Lichtsinn (L) ist = 1". Wenn aber jemand an Nachtblindheit leidet, so muß die Lichtöffnung auf 20, 40, 60 mm etc. Seite des Quadrats vergrößert werden, damit die Buchstaben noch erkannt werden, dann sagt man, der Lichtsinn sei = 1/100, 1/400, 1/900 etc. des normalen.

Bei diesen Versuchen muß der Kranke sich erst 10 Minuten im Dunklen aufhalten, sich an die Dunkelheit erst gewöhnen, da niemand, der aus dem Hellen ins Dunkle kommt, sofort Gegenstände erkennt. Wer jemals Kranke in einer Augenklinik besucht hat, weiß, daß wenn er in das dunkle Krankenzimmer trat, er anfangs gar nicht sah, ob überhaupt Personen da seien, daß er aber nach 5 Minuten schon deren Gesichter genau unterschied.

Obgleich nun das Photoptometer bei den Nachtblinden eine sehr große Herabsetzung des Lichtsinnes zeigt, können diese bei Tage oder bei gutem künstlichen Lichte eine vollkommene Sehschärfe und ein gutes Gesichtsfeld haben, aber sobald der Lichtschein unter eine gewisse Reizschwelle sinkt, stolpern sie und rennen überall an. Die Krankheit befällt stets beide Augen, während die Netzhautentzündung immer nur das eine Auge trifft, welches in die blendende Sonne oder das elektrische Licht hineingestiert hat.

Die Nachtblindheit kann aber auch als Begleiterscheinung bei verschiedenen Krankheiten der Aderhaut und Netzhaut vorkommen, bei denen dann der Augenspiegel deutliche krankhafte Veränderungen zeigt. So ist dies bei der gefürchteten Farbstoffeinwanderung in die Netzhaut (Retinitis pigmentosa) der Fall, die besonders häufig Kinder aus Verwandtschaftsehen befällt und in späteren Lebensjahren leider immer zur Blindheit führt.[1] Aber bei der einfachen Nachtblindheit nach Ueberblendung handelt es sich um eine Form ohne krankhaften Augenspiegelbefund, die Netzhaut sieht völlig gesund aus.

Meist ist gar nichts Krankes am Auge zu entdecken, mitunter aber, bei den epidemischen Formen, findet man bei Nachtblinden die sogenannte „Vertrocknung der Bindehaut“ („Xerosis“). Bekanntlich ist der Augapfel mit den Augenlidern durch eine feine Schleimhaut, die „Bindehaut“ (b in Fig. 1), verbunden, die eben davon ihren Namen hat; sie schlägt sich von der hinteren Fläche der Augenlider auf die vordere Fläche des Augapfels herum und bedeckt den ganzen sichtbaren Teil des Augapfels mit Ausnahme der Hornhaut (h). Die Bindehaut ist bei den Gesunden glatt, glänzend und ein wenig feucht. Bei

Fig. 2

der Xerose aber zeigt sich (x in Figur 2) ein feiner weißer Schaum zu beiden Seiten der Hornhaut im Bereiche der geöffneten freien Lidspalte. Wischt man ihn fort, so erscheint darunter eine 4 bis 8 mm lange, etwa dreieckige Stelle der Bindehaut, die eigentümlich fettig, trocken, glanzlos, in feine konzentrische Fältchen gelegt, wie mit Seidenpapier bedeckt ist; die Thränen fließen über die Stelle fort, ohne sie zu benetzen. Nur die Stellen der Lidspalte sind befallen, welche den größten Teil des Tages offen stehen und also am meisten der Luft ausgesetzt sind. Der Schaum erneuert sich nach Entfernung bald wieder.

Im Jahre 1868 bildete ich die Schüppchen und den Schaum ab als verhornte, den Schuppen der Oberhaut ähnliche Zellen; damals kannte man die Bacillen noch nicht. 1883 fand Neißer die Oberfläche dieser Zellen mit kurzen Stäbchen, Bacillen, bedeckt; allein dieselben Bacillen fand man auch bei Personen, die keine Xerose haben. Erreger der Krankheit sind sie also nicht, vermutlich geraten sie aus der Luft auf die Bindehaut und gedeihen dort besonders gut auf den erkrankten Zellen.

Diese Form der dreieckigen Xerose ist ganz ungefährlich und verschwindet meist wieder vollkommen mit der Nachtblindheit. Diese und die mit ihr verbundene dreieckige Xerose haben nur den einen Zusammenhang, daß sie beide Zeichen einer gesunkenen Ernährung des Auges sind.

Die Nachtblindheit tritt oft epidemisch auf. Schon seit vielen Jahrzehnten wurde sie bei Matrosen und Seesoldaten, in Regimentern des Landheeres, in Zuchthäusern, deren Mauern sehr hell weiß gestrichen waren, in Waisenhäusern gefunden und bei Feldarbeitern, die in sonnenhellen Frühlings- oder Sommertagen den ganzen Tag im Freien arbeiteten.

Interessant ist die Mitteilung von Guthrie, daß ein russisches Regiment in dem Kriege zwischen Rußland und Schweden in Finnland in einer hellen Frühlingsnacht auf ein anderes russisches Regiment eingehauen habe; es hatte dieses für Schweden gehalten, weil mehrere 100 Mann nachtblind waren.

Die meisten Schilderungen derartiger Epidemien stammen aus Rußland. So beschrieb Reich eine Epidemie von Schneeblindheit, welche er auf dem Gudaur-Paß im Kaukasus, 2500 m hoch, bei mehr als 70 Arbeitern an der Georgischen Militärstraße beobachtete. Ein Meer von blendendem Lichte wurde von dem Schnee, auf den die helle Märzsonne schien und welcher endlos ausgebreitet lag, zurückgeworfen, so daß bei den Arbeitern bald ein höchst peinliches Gefühl im Auge und Nachtblindheit entstand. Die stärksten Männer unterlagen dieser Blendung, freilich gab es auch andere, die nicht den geringsten Schaden erlitten.

Auch in Bordeaux beobachtete Bitot im Jahre 1863 eine Epidemie von Nachtblindheit bei Personen aus den ärmlichsten Verhältnissen. Ich sah 10 Fälle, die mit Xerose gepaart waren; 3 davon betrafen Geschwister aus einem Dorfe in Schlesien, welche 3 Jahre lang im Frühjahr Rückfälle bekamen, während sie im Winter von beiden Leiden frei blieben.

Unter 70 Glasbläsern fand Jewetzki auch 13 mit Xerose ohne Nachtblindheit; die hohe strahlende Wärme beim Glasblasen (bis zu 65° C) und das starke Schwitzen bei der Arbeit werden von ihm für die Veranlassung der Xerose gehalten.

Das beste Heilmittel für Nachtblindheit ist Abschluß des Lichtes von den überblendeten Augen – ein dreitägiger Aufenthalt im ganz dunklen Zimmer, und die Krankheit ist völlig beseitigt. Celsus, der hervorragende Arzt, der im ersten Jahrhundert nach Christus in Rom lebte, empfahl gegen das Leiden bereits den Genuß von Schafsleber, später wurde von vielen Schweins- oder Rindsleber gerühmt. Unvergeßlich ist mir folgender Fall. Vor 20 Jahren wurde mir ein Gefangener vorgeführt, der infolge längerer Arbeit im Freien an sehr hellen Sommertagen nachtblind geworden war. Ich verordnete drei Tage Dunkelkur und täglich zweimal gebratene Schweinsleber. Am fünften Tage kam der Kranke wieder und behauptete, noch immer abends anzurennen. Da ich keine Krankheit der Netzhaut finden konnte und sonst stets nach 3 Tagen Heilung gesehen hatte, so verordnete ich noch 3 Tage Dunkelkur. „Und wie viel Schweinsleber, Herr Professor?“ fragte der Gefangene. Da ich diese jetzt nicht mehr für nötig hielt, gab er zu, daß er gar nicht mehr nachtblind sei, sondern am vierten Tage die Krankheit nur simuliert habe, um noch mehr Portionen der im Gefängnisse sonst nie verabreichten, ihm sehr gut schmeckenden Schweinsleber zu erhalten. Auch Leberthran wird mit Nutzen verordnet; das wesentlich Wirksame in der Leber wie im Thran ist jedenfalls das Fett. So beobachtete Krawkof eine Epidemie unter russischen Soldaten, welche auf ungenügenden Fettgehalt der Nahrung zurückzuführen war; sobald dieser Mangel beseitigt war, kamen keine neuen Fälle von Nachtblindheit mehr vor.

3. Bindehautentzündung. Sowohl nach dem Blicken in elektrische Bogenlampen als bei Schneeblendung hat man Entzündungen der Bindehaut beobachtet, welche sich durch Thränen, Stiche im Auge, starke Rötung und Schwellung der Bindehaut, Lidkrampf mit Lichscheu geltend machten. Solche Fälle sind vielfach beschrieben, so auch bei der Epidemie auf dem Gudaur-Paß. Diese Erscheinungen gehen meist rasch vorüber.

4. Der Graue Star. Schon seit dem Anfang dieses Jahrhunderts ist es ausgesprochen worden, daß übermäßige Lichtwirkung

  1. Wer sich für diese Verhältnisse genauer interessiert, findet sie geschildert in meinem Lehrbuch der Hygieine des Auges. Wien, 1892. Urban und Schwarzenberg.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_559.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2024)