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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Na, nu man to, Mudder Kählertsch,“ sagte er mit einem Anflug von Humor und erwartete in einiger Spannung einen neuen eingehenden Bericht über Hedwigs Verbrechen, den Preußenempfang.

„Je, Herr, wenn Se dat denn so hebb’n wüllt – un Se sünd je ok so fründli mit mi west – je, Madam’ Genthin hett je dunn de ollen Preußens bewillkamt un nahsten hebb’n wi all Inquattierung kregn un se hett so’n preußischen Leut’nant in Quattier. Je, Herr, un nu segg’n de Lüd, de beiden, de sitten nu jümmer tosam un snaken un vertell’n sik wat un hebb’n dat rein so hild[1] mitenanner as ’n poar Leewslüd[2]. Un wat mien Swiegerin is, dat’s n Meddersche[3] to Se ehrn Kutscher Plöhn, Herr; un de sä[4] to mi, Plöhn de seggt: ,Wenn dat mien Herr wüß, denn so würd he dat ganze Preußenvulk mit de Pietsch[5] ut den Hus driewen, dat ol Takeltüg!“ seggt he. Dat sall je noch’n ollen Anbeter vun Madam’ Genthin wesen, seggt mien Swiegerin . . .“

„Un mien Swiegerin seggt un Plöhn seggt ... Gott’s en Dunner, nu hev ik nog[6] vun de Snakeri!“ brauste Genthin auf. „Is dat de Dank, dat mien Fru Jug Godes dahn hett, Ji Rackertüg? Nu hol[7] Dien Muul, Du olle Kretur, süs smiet ik Di vun’n Wagen hendal!“

„Je, Herr, denn smieten Se man to, hier ’s de Wienbarg un hier mutt ik so wie so afstiegen,“ sagte die Alte erbost und kletterte herab.

Ohne ein Wort, in finsterem Schweigen fuhr er weiter. Nicht daß er das dumme Gerede ohne weiteres geglaubt hätte; aber ob er sich’s auch nicht gestehen wollte, ein leiser leiser Zweifel, ein aufkeimendes Mißtrauen gegen sein junges Weib war doch in seiner Seele hängen geblieben. Verhielt sich die Geschichte mit der Preußenbegrüßung wirklich so – und daran konnte er kaum noch zweifeln – wer konnte wissen, was Hedwig in blinder Vorliebe für ihre Landsleute sonst noch für Extravaganzen begangen hatte! War es denn überhaupt etwas so Unerhörtes, Niedagewesenes, wenn eine junge hübsche Frau sich in Abwesenheit ihres Mannes von einem flotten Anbeter den Hof machen ließ? Wenn aber dem so war, wenn Hedwig nun wirklich in seiner Abwesenheit die Huldigungen eines preußischen Offiziers angenommen, wenn sie vielleicht alte Beziehungen wieder angeknüpft hatte – was dann?

Ein alter Anbeter? Er wußte von keinem, der ihr wirklich nahe gestanden, für den auch sie jemals ein tieferes Interesse gefühlt hätte. Und doch – wie hatte er sich vorhin gesagt: Volkesstimme – Gottesstimme! Das Wort lag in der Luft, es summte in seinen Ohren, dumpf wie Grabgeläute klang es in seinem Herzen wieder. Eine Unheil drohende Falte grub sich tief in seine Stirn.

O, nur das nicht, nur das eine nicht! Was fragte er jetzt noch nach der „preußischen“ Kundgebung, deren Hedwig sich schuldig gemacht haben sollte! Ein harmloses Spiel wäre es gegen das, was vielleicht später in seinem Hause geschehen. Wie leicht schien es ihm jetzt, der warmherzigen Frau die enthusiastische Begrüßung ihrer Landsleute zu vergeben, die ja nicht dem Einzelnen, sondern ihrem ganzen Vaterlande galt! Erklärlich, ja entschuldbar und völlig natürlich erschien ihm ihr Thun.

Er lächelte – ein grimmes, bitteres Lächeln! So weit war’s mit ihm gekommen, daß er entschuldigte, wo er anklagen sollte, in Schutz nahm, wo es zu richten galt? Aber so im Kampf zwischen Herz und Vernunft, zwischen Zorn und Liebe, ward ihm doch das eine zur unumstößlichen Gewißheit: mit tausend Freuden wollte er verzeihen, was die Preußin gesündigt, wenn nur das Weib rein geblieben war, rein und sein eigen! – Er hielt’s nicht länger aus vor den anstürmenden Gedanken, hielt’s nicht aus in seinem gemächlich dahinrollenden Wagen.

„Kutscher, kehren Sie in der Post an – ich will hier aussteigen. Will meine Frau überraschen.“

Wieder flog das bittere Lächeln um seinen Mund. Ja, überraschen! Wie wird er sie antreffen, die Frau, die in vierzehn Tagen nicht eine Stunde Zeit fand, an ihren Mann zu schreiben? O, nun verstand er ihr Schweigen!

Schwer und müde wie ein alter Mann legte er die letzte Strecke zurück. Jetzt stand er an seiner Gartenpforte, durchschritt die verschneiten Wege und trat ins Haus.

Lauter Kinderjubel und Gesang einer rauhen Männerstimme tönte ihm aus der Küche entgegen. Er blieb stehen und lauschte. Die Baßstimme sang ein Kinderliedchen, dazwischen klang das helle Aufjauchzen der kleinen Mädchen. Die Thür war nur angelehnt. Durch die Spalte sah er einen biederen Landwehrmann am Herdfeuer sitzen, auf jedem seiner Knie ritt ein kleines wildes Ding, sich krampfhaft an seinen blanken Knöpfen festhaltend.

„Hopp-hopp, Hopp-hopp, Reiterlein!
Wenn die Kinder kleene sein
Reiten sie nach Sach – sen ...“

sang der Mann in unverfälschter Berliner Mundart. Die alte Stine stand daneben mit ihrem Strickzeug und der fidelsten Miene, die ihr Herr je an ihr gesehen, und wehrte dem allzu lauten Kinderjubel.

Noch stand der Vater und lauschte. Er mußte an sich halten, um nicht die Thür aufzustoßen und seine kleinen Mädchen dem fremden Soldaten fort und in seine eigenen Arme zu nehmen. Aber er bezwang sich, er wollte ja seine Frau überraschen und durfte keinen unnötigen Lärm machen. Das Herz klopfte ihm zum Zerspringen – wie würde er sie finden?

Schon hob er den Fuß, um hinauszugehen, da kam’s mit heiterem Singen die Treppe herab. Das war der leichte Schritt, das war die weiche Stimme seines Weibes.

„Das Roß ist des Königs, der Reiter ist ...“

Jäh brach der Gesang ab, wie versteinert blieb die Frau sekundenlang an der Treppenwendung stehen – im nächsten Augenblick aber hing sie lacheud und weinend zugleich am Halse ihres Gatten. Der aber schob sie stumm zurück, umschloß mit festem Druck ihre beiden Handgelenke und hielt so das junge Weib auf Armeslänge von sich, ihr tief in die klaren Augen schauend.

Sie stand auf der untersten Treppenstufe, ihr schönes dunkles Gesicht war dem seinigen gerade gegenüber, sie brauchte nicht die Augen zu heben, um ihn anzusehen – groß, furchtlos, nur ein wenig erstaunt über sein seltsannes Gebaren.

„Es geht ja ganz lustig bei Euch her!“ sagte er, und seine Stimme klang rauh und spöttisch. Und da sie schwieg, fuhr er erregter fort: „Du hattest wohl keine Zeit, an mich zu schreiben?“

Sie machte sich von seinen Händen los, die wie Klammern um ihr Handgelenk lagen. „Was hast Du, Johannes? Du thust mir weh! Und was redest Du nur – ist das Deine Begrüßung? Ich schrieb Dir dreimal, aber Du hast mir nie geantwortet.“

„Ich brauchte Dir nicht im besonderen zu schreiben. Du wußtest doch alles durch die Bekannten.“

Sie senkte den Kopf und murmelte mit aufquellenden Thränen: „Niemand brachte mir Nachricht.“

Aber er achtete dessen nicht, sondern sprach weiter: „Ich habe keinen einzigen Brief bekommen. Nur durch die Leute habe ich von Dir gehört,“ sagte er mit schwerer Betonung.

Da erblaßte sie jäh, ein unruhig forschender Blick streifte seine Züge, und hastig sagte sie. „Komm’ doch zuerst hinuauf – Du wirst müde und durchfroren sein, Johannes!“

Nicht den Ton besorgter Liebe, nur die Stimme des schuldigen Gewissens hörte er heraus. Noch standen sie auf der kalten Steintreppe, die Küchenthür hatte Genthin rasch und leise geschlossen. Er sah nicht, daß Hedwig im leichten Hauskleide vor ihm stand, er, der sonst so sehr um sie besorgt war, sah nicht, daß die schlanke Gestalt vor Kälte zitterte.

„So ist es doch wahr!“

Das Wort war mehr gedacht als gesprochen; aber sie verstand es, las, was er sagen zu wollen schien, in seinen Augen, von seinen Lippen. Stolz richtete sie sich auf im Bewußtsein ihrer Schuldlosigkeit. Was sie gethan, konnte sie vor jedem Menschen vertreten, auch vor ihm! Sie hatte ihrem Gatten nichts zu verbergen, brauchte seinen forschenden Blick nicht zu scheuen.

„Ja, es ist wahr!“ bekannte sie freimütig. „Ich habe die preußischen Truppen begrüßt, weil es meine Landsleute sind und unsere Befreier. Ich schrieb Dir alles. Es ist nicht meine Schuld, wenn der Brief verloren ging.“

Er nickte. „Also doch!“

Wird sie nun auch das andere so ehrlich eingestehen? fragte er sich, und sein Blick schien ihre Seele bis in die geheimsten Tiefen zu erforschen. Ohne sich zu regen, hielt sie dem Blick stand, nur die Hand preßte sie auf das stürmisch klopfende Herz, als wollte sie die bange Frage zum Schweigen bringen: was meint er nur?

(Schluß folgt.)

  1. heiß, notwendig.
  2. Liebesleute.
  3. Eine Verwandte von der Mutterseite.
  4. sagte.
  5. Peitsche.
  6. genug.
  7. halte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_576.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)