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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

angehende Künstler beim hellsten Blitzlicht die trübsten Erfahrungen, bis er den Wert der Bruchteile einer Sekunde kennenlernte, Mittel und Wege fand, daß die Beleuchtung kürzer dauerte, als das Bewußtwerden unserer Sinneswahrnehmung; dann erst gelang es ihm, Gesichter aufzunehmen, die nicht durch Zuckungen infolge der Blendung oder des leisen Erschreckens verunstaltet waren.

Die Opfer.

Der Hinterlistige.

Was aber den Liebhaberphotographen zu einer höchst eigenartigen, ungewöhnlichen Erscheinung im Hause macht, das ist der Umstand, daß er, um seine wichtigsten Handlungen vorzunehmen, sich in Räume und Winkel zurückzieht, die, niemals durch einen Sonnenschein erhellt, bis dahin nur Motten, Mäusen und andern unwillkommenen Geschöpfen als Schlupfwinkel gedient haben. In fensterlosen Rumpelkammern und Alkoven pflegt der Liebhaber seine Dunkelkammer herzurichten, wo er beim Scheine der allein erlaubten roten Lampe aus der belichteten Platte das Bild zu entwickeln und zu fixieren sucht. Leider läßt er die Spuren seiner Thätigkeit nur zu oft nicht nur an den Platten, sondern auch an anderem Gerät zurück, und an den Flecken in den Handtüchern erfährt die Hausfrau nur zu bald, daß die Photographie eine „schwarze Kunst“ ist – in des Wortes verwegenster Bedeutung.

Der Mann, der sonst die Küche meidet, wird jetzt zum häufigen Gast in diesem Raume. Er legt zeitweilig auf die Wasserleitung Beschlag, um Platten und Papierabdrücke zu wässern. Sein findiges Auge entdeckt unter dem Geschirr manches Stück, das geeignet erscheint, das ihm fehlende Werkzeug des Photographen zu ersetzen. Eimer, Fässer, Porzellanschalen werden zeitweilig in den geheimnisvollen Dienst gestellt, Essen, Wäsche, Reinmachen – alles muß zurücktreten, damit die Platten gelingen. Jeder Widerspruch ist fruchtlos, man wagt ihn nicht, wenn man in das fieberhaft erregte Auge des geschäftigen Mannes schaut, der die kostbaren Erholungsstunden für seine Kunst eiligst ausnützen muß.

Endlich nach langem Mühen ist das erste Glasnegativ da und triumphierend wird die noch triefende Platte im Hause herumgetragen, das gelungene Werk den Zweiflern gezeigt. Aber dieses „Volk“, diese „Laien“ haben kein Verständnis für das Negative, sie sprechen von „Mohrengesichtern“ und wollen positive Erfolge sehen.

Nichts leichter als dies! meint der Anfänger und geht an das Kopieren. Nun will er das Werk vollenden, das bieten, was die gewöhnlichen Menschen erst für eine Photographie ansehen. Aber was für merkwürdige Erfahrungen muß er auch auf diesem Gebiete machen, wieviel Silberpapier muß er entsilbern, bis er begreift, daß auch die Uebertragung keine mechanische Thätigkeit sei, sondern mit Kunstgefühl geübt werden müsse. Beim Kopieren der Negative handelt es sich ja nur um die Uebertragung von Weiß in Schwarz und Schwarz in Weiß, und doch ist die Sache nicht minder verwickelt wie die Uebersetzung eines Gedichtes aus dem Griechischen ins Deutsche. Das Licht besorgt die Kopierarbeit, aber es muß bewacht werden, die Salze der verschiedenen Bäder geben den Farbenton, aber ihre Einwirkung muß geregelt werden. Nach und nach dämmert das dem Liebhaber auf und er vertieft sich mit Andacht in das Studium seiner Platten, um eine harmonische Gesamtwirkung herauszukriegen. Aber das „Volk“ versteht nicht den Mann, der so tiefsinnig seine Kopierleistungen mustert; es sieht nur die Mängel des Bildes und lächelt über den erfolglosen Eifer. Und die bittere Schale der Nichtanerkennung muß bis auf den Grund ausgekostet werden: die eigene Frau schleppt das Kind zum Berufsphotographen, um ein richtiges Bild den Großeltern schicken zu können!

Der Verkannte betrachtet indessen seine matten Bilder. Es fehlt ihnen der Glanz, und er faßt den Entschluß, das Letzte zu versuchen. Er verschafft sich eine „Satiniermaschine“ und zieht seine Bilder eifrig durch die Walzen. Wie ernst er es auch meint, er hat doch dem bösen Zeichner eine neue Figur für sein Skizzenbuch geliefert.

Was nun ein echter Liebhaber ist, der läßt die Welt lachen und überwindet nach und nach alle Schwierigkeiten, welche die Ausübung des Photographierens naturgemäß mit sich bringt. Spürt er dann einmal frischen Wind unter seinen Segeln, so findet er auch bald eine zielbewußte Richtung für sein künftiges Wirken und Schaffen. Dann verstummt die Satire und er erntet Lob und Anerkennung – vorausgesetzt, daß er den photographischen Anstand zu wahren weiß.

In der Dunkelkammer.

Der photographische Anstand! Ja, das ist auch eine neue Forderung an menschliche Bildung und Gesittung, die man neuerdings aufgestellt hat. Ausgerüstet mit dem Momentapparat, mit der „Geheim“- oder „Detektiv-Kamera“, kann der Liebhaberphotograph seinen Nächsten auch lästig werden. Es giebt hinterlistige Leute, denen der Schalk im Nacken sitzt, die den Menschen nachschleichen und sie erst dann aufnehmen, wenn sie in eine ungewöhnliche Lage geraten sind. Solche hinterlistige Gesellen können geradezu gemeingefährlich werden. Man bedenke nur: da wird eines schönen Tages im Bekanntenkreise die Momentaufnahme eines küssenden Paares herumgezeigt und in einem der beiden Glücklichen erkennt man plötzlich sich selbst! Das ist doch entschieden peinlich!

Beim Kopieren.

Aus diesen und ähnlichen Gründen wurde darum schon die Frage aufgeworfen, wie man sich dagegen schützen könne, von einem Unbefugten wider Willen photographiert zu werden? Es wurden dagegen viele Mittel vorgeschlagen, Staatshilfe oder Selbsthilfe, schließlich aber wurde in Erwägung gezogen, daß es am besten wäre, in einer neuen Auflage von Knigges „Umgang mit Menschen“ ein Kapitel vom „photographischen Anstand“ einzuschalten, das etwa mit folgenden Worten beginnen würde:

„Wer seine Mitmenschen durch die an sich edle Kunst des Photographierens schädigt oder belästigt, oder wer gar die Verlegenheit des Opfers ausnutzt, um hinterlistigerweise von ihm ein Konterfei zu fabrizieren, ist ein gesellschaftlicher Anstoß ersten Ranges; wer diese That so begeht, daß das Opfer seiner Unthat den Vorgang

bemerkt und dadurch in Angst versetzt wird, verdient

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_605.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2023)