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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

nicht, ein Gebildeter genannt zu werden; wer schließlich Bilder, welche Personen in verletzender Weise darstellen, anderen zeigt oder sie gar verkauft, von dessen Schandbarkeit schweigen wir, denn . . .“ etc.

Das Satinieren.

Wir haben bis jetzt den Liebhaberphotographen nur von seinen Schattenseiten betrachtet; das Bild, das wir von ihm entrollen möchten, wäre aber unwahr, wenn wir hiermit abschließen wollten. Unbedingt müssen wir auch die Lichtseiten hervorheben. Daß die Schattenseiten zuerst „volkstümlich verarbeitet“ wurden, das ist leicht erklärlich; die böse Welt ist so gern bereit, dem Nächsten etwas am Zeug zu flicken und sich billig auf fremde Kosten zu unterhalten. Dazu kam, daß die Photographie noch eine gar junge Liebhaberei der Menschen ist, und wie jede junge Liebe Augenblicke unfreiwilliger Komik schafft, so erging es auch ihr.

Tausende von Liebhabern der Photographie nahten der spröden Schönen in der Ueberzeugung, daß man nur mechanische Kunstgriffe zu lernen brauche, um sie zu erobern. In der Photographie stecke weder Seele noch Gemüt, meinte man; Maschinen können photographieren, liefern doch Automaten für 50 Pfennig pflichtschuldigst unser Konterfei! Es giebt noch heute viele „Liebhaber“, die herzlos und seelenlos arbeiten – aber ihre Leistungen sind auch danach. Die Erfahrung hat gelehrt, daß selbst in dieser anscheinend so rein mechanischen Thätigkeit nicht die Technik, sondern der Geist den Sieg davonträgt. Nur wer künstlerisch zu empfinden und künstlerisch zu photographieren versteht, zaubert schöne Bilder hervor. Der echte und gerechte Photograph muß die Natur ebenso eifrig studieren wie der Maler; erst dann erobern seine Leistungen sich volle Anerkennung. Diese künstlerische Richtung der Photographie wird gegenwärtig mit großer Sorgfalt in den Vereinen der Liebhaberphotographen gepflegt, und da hat es sich herausgestellt, daß bei Herstellung schöner Bilder es nicht so sehr auf die feinsten Apparate, Platten und Chemikalien als auf den Mann ankommt. Die Leute, deren Photographie einen Weltruf besitzen, arbeiten zumeist mit einfachen Mitteln, aber in den Lichtbildern spiegelt sich ihr künstlerisches Empfinden, ihr Geist wieder. Der Verein ist das Forum, vor welchem der Anfänger am zweckmäßigsten seine Lehrjahre abmacht; dort wird ihm die gebührende Kritik in wohlwollendem Sinne zu teil, dort erhält er die besten Winke und Ratschläge. Wer aber keine Gelegenheit hat, einem Verein für Liebhaberphotographen beizutreten, der sollte wenigstens durch Studium einer für solche bestimmten Zeitschrift sich fortzubilden suchen. Eine Fülle trefflicher Anregungen für die künstlerische Auffassung des Photographierens bietet namentlich die „Photographische Rundschau“ (Verlag von Wilhelm Knapp, Halle a. d. S.), das Organ unserer angesehensten Vereine. Dieser Richtung der Liebhaberphotographie steht sicher eine schöne Zukunft bevor. Sie wird durch die oft veranstalteten Ausstellungen gefördert, und wie groß die Fortschritte sind, davon zeugt die Thatsache, daß in illustrierten Zeitschriften immer häufiger Nachbildungen von Liebhaberphotographien erscheinen. Verschiedene Blätter – namentlich die französischen – schreiben sogar bestimmte Aufgaben vor und veranstalten Preisbewerbungen für die beste Lösung eines bildlichen Vorwurfs oder gar für die Illustrierung einer Novelle!

Der Photographier-Automat.

Künstlerisches Empfinden ist jedoch nicht allen Menschen eigen. Wem es fehlt, der sollte darauf verzichten, Kunstbilder schaffen zu wollen. Er kann ein Realist in des Wortes dürrster Bedeutung werden und darin wirkliche Befriedigung finden. Er möge nur sein photographisches Können in den Dienst der Wissenschaft stellen und die Natur streng, lebenswahr kopieren. Er braucht kein Gelehrter zu sein und kann dennoch der Wissenschaft dienen.

Wiederholt ist von wissenschafllichen Vereinigungen die Liebhaberphotographie zur Mitarbeiterschaft aufgerufen worden. Da jagen die Wolken am Himmelszelt, vergängliche Gebilde, die noch so wenig erforscht sind, selbst die Einteilung der Wolken nach ihren äußeren Forme bereitet noch vielfache Schwierigkeiten. Wer sich die Aufgabe stellt, ein Album von Wolkenphotographien anzulegen und unter die einzelnen Bilder einige genaue Angaben über Himmelsgegend, Windrichtung, Stand der Sonne, Zeit, Temperatur und Luftdruck zu setzen, der kann der Wissenschaft willkommene Unterlagen liefern. Auch das Photographieren der Blitze bietet beachtenswerte Gesichtspunkte. Zwei Liebhaberphotographen könnten sich z. B. verabreden, von zwei verschiedenen Orten einen und denselben Blitz zu photographieren. Wenn sie eine bestimmte Himmelsgegend ins Auge fassen und bei heraufziehenden Gewittern gegen diese ihre Kammern einstellen würden, so würden sie bei einiger Ausdauer in nicht zu langer Zeit die gewünschten Bilder erlangen und ein Physiker könnte wohl auf Grund dieser Aufnahmen die Höhe und Länge der Blitzbahn berechnen. Von großer Bedeutung ist ferner das Anfertigen von photographischen Aufnahmen für die Völkerkunde. Die Kultur der Neuzeit verschlingt die alten Lebensformen. Wohnhäuser, die für bestimmte Gegenden einst charakteristisch waren, verschwinden immer mehr, Volkstrachten verlieren sich. Der Liebhaberphotograph kann die Ueberreste der alten Zeit, die ihm auf seinen Wanderungen begegnen, aufnehmen und so vielleicht vor der Vergessenheit retten; nur sollte er solche Photographien nicht in seinem Kasten verstecken, sondern, mit den nötigen kurzen Erläuterungen versehen, an die Museen senden, die sich mit der Aufbewahrung solcher Gegenstände befassen.

Wir haben in der Einleitung daran erinnert, wie jung die Liebhaberphotographie ist; sie hat die erste schlimmste Zeit, ihre Sturm- und Drangperiode, hinter sich. Die ersten Bahnbrecher hatten keine Vorbilder, keine Lehrer, da die Berufsphotographie und die streng wissenschaftliche Photographie anderen Zwecken dienen. Der Zuwachs an neuen Jüngern kann sich bereits an bewährte Meister anlehnen, und es werden ihm viele Enttäuschungen erspart, wenn er ihren Lehren mit vollem Ernste folgt.

Vielfach bildet die Liebhaberphotographie mehr als eine Liebhaberei, sie wird zu einem wichtigen Hilfsmittel des Forschers, Technikers und auch Künstlers. Wem sie aber auch nur eine Liebhaberei ist, den führt sie doch hinaus in die freie frische Natur, denn das Himmelsgewölbe, vom klaren Licht durchflutet, ist das große ureigenste Atelier des Liebhaberphotographen, der da hinauswandert, um im Antlitz der Natur die schönsten Züge zu entdecken.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_606.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2023)