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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 38.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

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Um fremde Schuld.

Roman von W. Heimburg.
     (2. Fortsetzung.)

Es blieb sehr still im Zimmer, nachdem der Sanitätsrat gegangen. Meine Mutter hatte sich in der tiefen Fensternische niedergelassen und blickte hinaus. Ich wartete auf ein Wort von ihr, ebenfalls in das verglimmende blasse Gold des Horizontes starrend, von dem sich die Häuser des Dorfes jenseit der weitgestreckten Wiesen in harten Umrissen abzeichneten.

Kein Wort kam aus der Fensternische herüber, endlich ein leises Stöhnen.

„Mama!“ Ich war gleich bei ihr; sie ließ mir die Hand und wandte das Gesicht ab. „Mama, Du wärst lieber hier ausgezogen? So laß es uns doch thun, wir haben keinem Menschen Rechenschaft zu geben. Ich gehe hinunter zur Base und sag’ ihr: wir ziehen doch!“

„Nein!“ antwortete sie fest.

„Wir bleiben hier?“

„Ja. Es wird ja wohl so sein sollen,“ antwortete sie mit einem kurzen Auflachen. Es war ein überaus harter Klang darin. Ich erinnere mich noch ganz deutlich dieses Abends, der so bedrückenden Stimmung, welche mich beherrschte wie vor einem Gewitter. Die Ahnung drohenden Unheils überkam mich, der Anfang von etwas unsagbar Traurigem kündigte sich an.

Mama zündete endlich Licht an, schrieb der Komtesse, daß wir blieben, und sandte mich zur Base, ihr zu sagen, wenn wir dieselben Räume behalten könnten wie bisher, und zwar zu dem nämlichen Preise, so wollten wir alles unverändert lassen.

Ich fand das alte Fräulein in der Küche im Erdgeschoß, einer so blanken, von Messing und Kupfer strahlenden Küche, wie man sie nur dort sieht, wo die Hausfrau selbst noch gern kocht und ihren Stolz darein setzt, die weißesten Tische und die glänzendsten Kessel zu haben. Die Base selbst, in ihrem schwarzen Kleid, die blendend weiße faltige Schürze darüber, sah aus wie aus dem Ei geschält und war so geräuschlos und so flink bei ihrem Thun, als hätte sie achtzehn und nicht vierundsechzig Jahre auf dem Rücken. Dabei zeigte ihr mageres Gesicht mit den tiefen Sorgenfalten und dem schmalen festgeschlossenen wortkargen Munde stets den gewohnten herben Ausdruck, ganz gleich, ob sie süße Aprikosen oder Essiggurken kostete.

Heute besonders fiel mir ihr Gesicht auf, sie sah ja immer aus, als habe sie sehr viel Leid getragen, stillschweigend getragen, sehr viel Ungerechtigkeiten gesehen, stillschweigend gesehen, als betrachte sie das Leben überhaupt nur als eine notwendige Arbeit, welche noch vor Schlafengehen gethan werden müsse, ordentlich und richtig, damit man gut ruhen könne. Heute aber war noch etwas ganz anderes darin, etwas so Aengstliches.

Sie richtete eben dem Hausherrn das Abendessen an – es bestand aus Krammetsvögeln, jeder auf einem Schnittchen

Vom Innsbrucker Volkstrachtenfest: Beim „Schuhplattler“.
Nach der Natur gezeichnet von Oscar Graef.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_629.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2022)