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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Was schreibst Du denn da eigentlich?“ fragte der Professor, indem er sich vorsichtig auf ein ächzendes Sofa niederließ und die angebotene Cigarre anzündete.

„Ach, nichts von Bedeutung,“ erwiderte der Reporter. „In diesem Rattennest passiert ja überhaupt nichts während der Universitätsferien. Drei Diebstähle, ein werlegtes Kind und ein Zimmerbrand, das ist die ganze Ausbeute meines heutigen Feldzugs. Aber ein großartiges Feuilleton über merkwürdige Beispiele von treuen Hunden habe ich da eben hingelegt. Großartig, sage ich Dir! Ich hätte nie gedacht, daß ich so lügen könnte.“

Der Professor schüttelte den Kopf. „Du solltest doch suchen, auf einen anderen Zweig zu springen, Otto!“ meinte er.

„Ja,“ erwiderte der andere, „spring’ Du ’mal gütigst! Das Glück ist mir nun einmal nicht so treu geblieben wie Du, alter Freund und Leibbursch. Die Welt will es mir nicht verzeihen, daß sich das Referendarexamen hartnäckig weigerte, von mir bestanden zu werden. Wie ungerecht! Alexander der Große hatte auch niemals sein Referendarexamen gemacht. Hat man es dem je nachgetragen?“

„Du hast aber noch mehr gethan, Otto, zum Beispiel ein Vermögen durchgebracht.“

„Erlaube, lieber Freund, drei Vermögen Du vergissest die Legate meiner beiden Erbtanten. Und wenn meine dritte Erbtante nicht noch immer so schwer zu leiden hätte, so hätte ich heute das vierte Vermögen sicher.“

„Und würdest es auch durchbringen.“

„Nein, Hans, da thust Du mir doch unrecht. Ich sage Dir, ich bin im besten Gange, mich riesig zu versittlichen. Ja, sieh’ mich nicht so zweifelsüchtig an. Das sind die Wunder der Liebe!“

„Der wievielten?“

„Der letzten, Freund!“ versicherte der Reporter pathetisch. „Ach, ich sage Dir, ein Mädchen – ein Herz wie – wie ...“

„Sagen wir: wie Gold,“ ergänzte der Professor. „Na, Otto, wenn’s diesmal Ernst ist, mich soll’s freuen. Aber weshalb ich eigentlich herkam – kannst Du mir eine Katze verschaffen?“

„Kuriose Frage. Die ‚Villa Medici‘ wimmelt von diesen Tieren. Unsere alte Philöse besitzt allein ein ganzes Rudel.“

„Es muß aber ein hübsches sauberes Tierchen sein. So eine weiße oder weißgraue, verstehst Du, mit weichen langen Haaren.“

„Ja, die hat der Doktor Engelbrecht nun gerade gestern mitgenommen, der Unmensch. Er macht Versuche über Gegenmittel gegen Schlangengift, weißt Du. Aber wenn Du eine schwarze annimmst – garantiert stubenrein, da nimm sie, sie sei Dein!“

Damit hatte Otto Holm bereits aus einem halbgefüllten Wäschekorb einen kleinen fauchenden Sammetballen hervorgeholt, der sich als ein wirklich sehr hübsches Kätzchen entpuppte.

„Du könntest mir aber auch einen Gefalleu thun, lieber Freund,“ fuhr Holm fort. „Ich habe da eben an meinem Ueberzieher Dinge entdeckt, die nicht mehr zu entschuldigen sind. Wenn Du mir vielleicht für diese letzten paar kühlen Abende – ich weiß, Du hast zwei und wir sind ja wohl beide ziemlich von gleicher Figur –“

„Gerne,“ erwiderte der Professor. „Ich werde Dir meinen anderen, gleich wenn ich nach Hause komme, senden. Hier diesen gebrauche ich schon, um die Katze zu tragen.“

„Schön, besten Dank! Uebrigens sollst Du zu der Katze, nach deren Verwendung zu fragen ich zu zartsinnig bin, auch noch diese thönerne Maus in Lebensgröße haben.“

„Ei sieh, welch hübsches Kunstwerk!“ rief der Professor erfreut. „Wie kommst Du denn dazu?“

Der andere lächelte schwermütig. „Unterpfand für fünf Mark, die ich dem Bildhauer Härlein in einer weihevollen Stunde gepumpt habe. Hin ist hin, verloren ist verloren! Weißt Du, er sollte für den Medizinischen Verein eine weibliche Idealfigur liefern, eine Allegorie der Löfflerschen Entdeckung des Mäusetyphus- Bacillus, was durch eine Maus zu den Füßen der Dame angedeutet war. Großartige Idee, was? Die Sache zerschlug sich aber, ehe der Thon trocken war. Darauf hat er dann die Maus entfernt und statt ihrer eine Zahnzange angebracht, natüralistisch, im Original. Das Kunstwerk hat er später dem Zahnärztlichen Klub als ‚Odontia‘ verkauft, aber die fünf Mark ist er mir schuldig geblieben.“


5.

Als der Professor das nächste Mal vor seinen Schülerinnen erschien, war auch Pussy das Kätzchen da. Sie lag auf einem weichen Sessel nahe dem Ofen, labte sich an der behaglichen Wärme und schien für gar nichts anderes Sinn zu haben. Paula Meyer hatte ihr ein blaßblaues Sammetband um den Hals geschlungen, mit einer großen Schleife, deren Enden wie zwei große blaue Ohren über dem kugelrunden Katzenschädel aufragten.

Fürs erste verlief die Stunde ohne Störung. Der Professor las vor aus den Gedichten der Annette von Droste-Hülshoff. Er las sehr gut und ausdrucksvoll. Mit atemloser Spannung lauschten die Mädchen. An die Katze dachte keines mehr.

Plötzlich klang mitten in die grausige Todeslandschaft, die seine Recitation eben schilderte, ein leiser Klaps, wie wenn ein weicher Ball auf den Boden aufschlägt, dann ein ängstliches Piepsen, die jungen Damen schrieen auf, und als der Professor sich umwandte, hatte Pussy das vorwitzige Mäuschen bereits in die Mitte des Teppichs getragen und schickte sich an, der neuen Herrschaft die erste Vorstellung zu geben.

Die Maus piepste und zappelte unter den angelscharfen Krallen. Nun lösten sich diese von ihr, sie glaubte sich frei und wollte weghuschen, aber sogleich fuhr die kleine Tatze wieder mit einer blitzschnellen zierlichen Wendung in ihren Nacken, und das grausame Spiel begann von neuem.

In diesem Augenblick aber fühlte sich Pussy von einer übermächtigen Gewalt selber im Nacken gefaßt und emporgehoben. Ihre halbtote Beute zwischen den Zähnen, strampelte sie heftig und kratzte in großer Entrüstung mit den Hinterfüßen blindlings um sich. Eitel wie alle Katzen, hatte sie auf Lobsprüche und Streicheln gerechnet, und nun kam man ihr so. Es half ihr aber nichts, der Professor hielt fest und trug sie samt der Maus vor die Thür.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_639.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2023)