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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

jeden Abend und sie habe ihm nie getraut. O diese Männer! Krokodile sind sie, und noch schlimmer!

Ich muß schnell abschließen, gleicht kommt Thusy, und dann soll ich wieder mit der von ihm reden, und am Ende – o Gott! – verrate ich mich. Nein, ich lege mich ins Bett und thue, als wenn ich schliefe, und wenn sie mich in den Arm kneift, ganz egal!! Aber wenn sie eingeschlafen ist, dann werde ich mich satt weinen.

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Ich mache das Buch noch einmal auf, Thusy schläft wie ein Bär, und es ist zu häßlich, was ich da geschrieben habe. Ich habe es mir jetzt klar gemacht, er ist gewiß nur umstrickt worden, ach, er ist ja von Natur so gütig und vertrauend, und er wird gewiß recht unglücklich durch sie werden. Ich wollte, ich könnte ihn trösten, ich habe ihn ja so lieb, aber ach, er hat es ja nie gewußt! So wandelt die Sonne an dem bescheidenen Vergißmeinnicht vorüber und sendet ihre wärmsten Strahlen auf die stachlige Distel!“


9.

„Hans,“ rief Otto Holm, „lieber treuer alter Hans, umarme mich – oder besser, reiche mir einen Cognac, eine Havanna und Deine Rechte, denn ich sage Dir, frei nach Goethe bei Valmy: Von hier an und von diesem Tage hebt eine neue Epoche in meiner Lebensgeschichte an, und Du kannst sagen, daß Du dabei gewesen bist!“

Verwundert betrachtete der Professor seinen späten Gast. „Hier hast Du alles Gewünschte, aber nun setze Dich, bitte, und sage mir einmal ruhig und in Ordnung, was Dich hierher führt, zu so später Stunde, in solcher Stimmung und so feierlich schwarz gekleidet?“

„Aber Hans,“ fragte der andere in maßlosem Erstaunen, „merkst Du’s denn nicht? Meine alte Tante ist endlich von ihren Leiden erlöst, vor drei Tagen war das Begräbnis. Nein, sieh mich nicht so moralisch entrüstet an, es war wirklich eine Erlösung. Bedenke, seit fünf Jahren gelähmt und fast blind! Aber ihr Herz war gut geblieben, Gott segne ihr Andenken! Ein großes Legat hat sie für ihren nichtsnutzigen Neffen ausgesetzt. Heute nachmittag war Testamentseröffnung. Ja, Hans, was sagst Du nun? Seit drei Uhr dreißig Minuten bin ich Kapitalist.“

„Nun, ich gratuliere von Herzen! Aber gespannt bin ich, wie lange –“

„Nein, teurer Freund, diesmal giebt’s keine Dummheiten mehr. Du kennst eben die Macht der Liebe nicht. Morgen gehe ich zu Gretchens Vater, wir haben es vorhin miteinander ausgemacht. Jetzt wird mir der Alte keinen Korb mehr geben. Ich trete ins Geschäft ein und werde Geflügelzüchter.“

„Was wirst Du?“

„Na, Geflügelzüchter. Der Alte hat eine große Geflügelhandlung und -züchterei; weißt Du, schon mehr Geflügelfabrik. Als Journalist übernehme ich natürlich zunächst die Abteilung für Enten. – Es war übrigens an der Zeit, daß es mit der heimlichen Liebe und den Stelldicheins aufhörte. Seit zwei Abenden wurden wir immerfort von ein paar Damen belauscht. Gretchen fing an, gehörig eifersüchtig zu werden. Na, das schadet ja nie.“

„Wie steht es denn aber mit Deinem Preßdienst?“

„Aus ist’s, Freund! Die Ketten sind gefallen, ein freier Mann steht vor Dir und bittet Dich, schleunigst Deine Lenden zu gürten und ihm zu folgen, denn heute abend mußt Du mein Gast sein, Hans, deshalb kam ich her. – Uebrigens habe ich der Dame Presse gedient bis zuletzt. Heute noch, dicht vor der Testamentseröffnung – denke Dir! – habe ich eine feine Personalnotiz für die Rubrik ‚Aus der Gesellschaft‘ erwischt und abgegeben – sensationell. Verlobung des Rittmeisters von Wildenstedt, früher hier in Garnison, berühmter Sportsmann, mit der Tochter des reichen und kunstsinnigen Industriellen Meyer aus Hamburg, in Firma H. H. C. Meyer sel. Söhne. Diese Notiz – –“

„– ist erlogen, nicht wahr? Bitte, Otto, sage ja!“ stammelte der Professor.

Der Exreporter sah ihn entrüstet an. „Wie, denkst Du, daß ich meinen Posten im Dienste der zeitgenössischen Geistesbildung mit einer Lüge verlasse? Nein, lieber Freund, diesmal ist es wahr. Der Oberkellner im Schwanen hat mir persönlich die Fenster gezeigt, hinter welchen der selige H. H. C. Meyer und Söhne diese Nacht hier in unsern Mauern zu weilen gedenkt. Vermutlich will er sich vergewissern, welche Marke sein Schwiegersohn früher im Schwanen zu trinken liebte. Aber wozu jetzt davon schnaken! Komm, altes Haus, ich habe dem Jean eine stille Bowle in Auftrag gegeben – natürlich im Hinterzimmer, der Trauer wegen. Es wird ein gemütlicher kleiner Kreis, und Du sollst die Perle darin sein. – Was stehst Du denn da und starrst auf Deinen Schreibtisch, Hans?“

Der Professor wandte sich hastig um. „Du mußt mich entschuldigen, lieber Freund. Ich kann heute nicht.“

„Das wäre noch schöner,“ rief Otto Holm. „Morgen ist Sonntag, da kann der Mensch ausschlafen, und ich sage Dir, es wird eine sehr hübsche Gesellschaft. Der Redakteur Schmitz, Doktor Engelbrecht mit dem Schlangengift, zwei unbesoldete Assessoren, und übrigens – Du brauchst Dich nicht zu genieren, Du sollst nicht der einzige Professor sein – Dein Kollege Wolf von der medizinischen Fakultät wird auch da sein und Dir jedenfalls sein Lehrgedicht ‚Der Tisch für Magenkranke‘ vortragen. Ich weiß es schon halb auswendig. Es sind wahrhaft erhabene Stellen darin.“

Und Otto Holm reckte die rechte Hand aus und schickte sich pathetisch an, seinem Freund eine Probe zu geben.

„Hör’ auf,“ flehte der Professor. „Ich sage Dir, Otto, ich kann nicht, ich – ich muß allein sein.“

Otto Holm sah sehr betrübt drein. „Dann nicht,“ sagte er, nahm Hut und Stock und schritt zur Thür. „Dann will ich Dich auch nicht weiter aufhalten.“

Hans eilte ihm nach. Es war, als ob sie beide noch Knaben wären, die sich eben gezankt hätten. „Otto, bist Du mir böse?“ fragte Hans.

„Nein,“ sagte der andere, „nur so traurig. Als ich noch ein armer Kerl war, hast Du mir’s nie abgeschlagen, wenn ich auch ’mal wieder den Wirt spielen wollte.“

„Ich thu’ es auch jetzt nicht,“ rief Hans, „warte, ich gehe mit! Hier – halte ich es doch nicht aus . . .“

„Du bist so verstört. Was hast Du nur?“ fragte Otto teilnehmend.

„O, nichts. Ich habe nur etwas verloren.“

„Etwas sehr Wertvolles?“

„Für den Liebhaber, ja.“


10.
Auszug aus Paula Meyers Tagebuch.

Samstag, abends spät. 

Befreit, o welche Seligkeit! So rufe ich mit Fidelio aus – oder ist es die Leonore im Troubadour? Wie konnte ich nur glauben, daß er es wäre!!! Es war ja ein ganz gewöhnlicher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_642.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2023)