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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 40.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

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Um fremde Schuld.

Roman von W. Heimburg.
     (4. Fortsetzung.)

Aus dem Hause der Tante Komtesse holte Wollmeyer meine Mutter ab zur Trauung. Unmittelbar nach der Hochzeit wollte das neu vermählte Paar abreisen; ich sollte einige Wochen später nachkommen, um mit Mama nach dem Süden zu gehen. So wurde es mir nicht geschenkt, bei dem Hochzeitsfest zugegen zu sein, so wenig wie Mamas flehentliche Bitte um eine ganz stille Hochzeit Berücksichtigung fand.

Diese paar Wochen in dem kleinen Häuschen der Komtesse waren uns zur Qual geworden durch die Besuche des Bräutigams. Er kam mittags, er kam abends; er schickte sogar eines Tages Körbe voll Delikatessen und Weine und meldete sich zum Essen an. Verlegen stand meine Mutter dabei, als die Tante dem Diener ohne weiteres die Körbe wieder an den Arm hing. „Eine Empfehlung von der Gräfin, und wenn der Herr Stadrat bei ihr speisen wolle, werde sie sich freuen, aber dann möge er die Güte haben, mit ihrer einfachen Küche vorlieb zu nehmen. Die Gräfin habe nicht die Gewohnheit, sich in ihrem eigenen Hause traktieren zu lassen“

Grinsend ging der Diener ab. Die Komtesse aber wandte sich grollend um. „Der ist ja schwerer zu dressieren als ein junger Jagdhund!“ hörte ich sie murmeln. „Na wenn’s Herz nur gut ist,“ meinte sie dann und kniff mich in die Wangen, „nicht wahr, das ist die Hauptsache, Du Kücken?“

Ja freilich, aber – war das seine denn gut?

Alle Tage hörten wir von ihm großartige Beschreibungen über die neue Einrichtung des Schlosses. „Alles in Blau, Helene, weil es Deine Lieblingsfarbe ist.“ Er verschwendete förmlich, um seiner schönen Frau ein elegantes Heim zu bieten, das Mama gar nicht ersehnte.

Und der schreckliche Tag kam und ging vorüber mit seinem taktlosen Prunk, mit den tausendfachen Martern, die er über uns verhängte. Mit Verleugnung ihrer selbst spielte die Komtesse die Hochzeitsmutter; wie im Traum stand ich hinter Mama am Altar der Marienkirche und hörte die Worte des Geistlichen, der über den Text sprach: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.“ Mama

In der Oper.
Nach einem Gemälde von Pinel de Grandchamp.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_669.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2022)