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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Arzt, dem die Gemahlin des Lucius Menenius ihr Leben verdankt, oder ein schwärmendes Mägdlein?“

„Du hörst einen ruhigen erfahrenen Mann, der dies behauptet, just weil er die Menschen und Diuge eifrig beobachtet hat. Eros hat viele Stiefgeschwister, die sich als vollbürtig ausgeben.“

Heliodorus legte die beiden Buchrollen weg und hob sich ein wenig in seinen Polstern. Das Thema interessierte ihn über die Maßen. Auch Geticus hatte sich bei den Worten des Ninus ruhig verhalten wie einer, der zuhört. Jetzt plötzlich schien etwas in ihm vorzugehen, was ihn von dannen trieb. Er warf den Kopf in den Nacken und schritt durch den Schmalgang rechts nach dem Xystus, während sich Heliodorus im stillen die Phrasen zurecht legte, mit denen er – siegesgewiß schon im voraus – die seltsamen Ansichten des Ninus zu überwinden gedachte.


Im Xystus, wo die Kammersklavin Koronis soeben ein oskisches Volkslied zur neunsaitigen Kithara gesungen und schallenden Beifall geerntet hatte, hielt sich Geticus nur gerade so lange auf, bis die fröhlich bechernden Sklaven durch eine neue Leistung ihrer Genossin gefesselt schienen. Dann verlor er sich unbemerkt nach dem Park.

Zwischen zwei kunstvoll geschnittenen Buxbaumhecken dahineilend, kam er ins Rosengehege, das hier und da schon in Blüte stand. Er spähte und forschte. Hinter den mannshohen Sträuchern glänzte es krokusfarben.

„Afra!“ rief er hinüber.

Die knospenbedeckten Zweige schoben sich rauschend zurück. „Was giebt’s?“ fragte ein reizendes junges Mädchen mit großen wunderbar leuchtenden Augen.

Bei dem Klang dieser Stimme und dem Lächeln der süß schwellenden Lippen schien auch der letzte Unmut im Herzen des jungen Sklaven verraucht zu sein. Er trat einen Schritt näher, winkte ihr mit der Hand seinen Gruß und flüsterte schmeichlerisch:

„Ich such’ Dich im ganzen Hause wie ein verlorenes Goldstück. Aber ich dachte mir’s fast, Du möchtest hier wieder dem Gärtner ins Handwerk pfuschen. Was treibst Du denn?“

Sie kam jetzt hervor auf den Weg. In der Rechten hielt sie eine zierliche Schere von gelbrotem Metall, in der Linken ein Dutzend Vollblüten.

„Ins Handwerk pfuschen?“ lachte sie spöttisch. „Man darf nicht behaupten, daß Du an übergroßer Feinheit der Ausdrücke stirbst! Wenn Du den Gärtner fragst, wird er Dich aufklären. Jäten, gießen, graben und die wilden Schößlinge kappen – das versteh’ ich so gut wie irgend einer von seinen Angestellten! Uebrigens – diesmal galt es mir nur eine freundliche Ueberraschung für Lucius Menenius.“

„Ah, für den Hausherrn!“ murmelte Geticus.

Das Mädchen beschaute die Rosen, wie ein begeisterter Kenner den Wein beschaut.

„Wenn Lucius Menenius nach Hause kommt,“ fuhr sie fort, „findet er diese Blüten auf dem Einfuß[1] neben der Lagerstatt. Er war letzthin viel in Anspruch genommen und hat kaum sich die Zeit gegönnt, einmal in den Xystus zu treten, geschweige denn in den Park. Er ahnt nicht, daß sein Gehege ihm schon so köstliche Ernte liefert. Eigene Zucht aber strahlt wie Feuer. Die Hand voll Blumen da wird ihm größere Freude gewähren als hundert Körbe voll pästischer Prunkrosen, die heute vielleicht beim Quästor Camillus über die Säle verstreut werden.“

Geticus blickte ihr starr in die Augen. „Er ist ja beneidenswert, unser Gebieter!“ sprach er bedächtig. „Afra sogar, die sonst so kaltherzige, windet ihm Opferkränze!“

„Kaltherzig?“ wiederholte das Mädchen. „Wer hat das von mir behauptet? Leichtes Blut hab’ ich und nehme nicht alles so ernst – wie Du zum Beispiel. Aber von da bis zur Kaltherzigkeit ist noch ein langer Weg. Für Lucius Menenius fühl’ ich sogar . . . wie soll ich mich ausdrücken? Wenn ich mir nur sein Antlitz vorstelle, so mild, so klug, so gütig und edel – siehst Du, dann quillt es mir heiß in der Brust auf, und ich danke voll Inbrunst der Göttin Diana, daß sie uns solch einen huldreichen Herrn beschert hat.“

Geticus zuckte die Achseln. „Wäre nicht Lucius Menenius hoch in den Fünfzigen und völlig ergraut, ich dächte, Du seist in den Mann verliebt.“

„Das bin ich auch!“ sagte die junge Sklavin mit großem Ernst. „Freilich in anderer Art, als Du meinst. Ist Lucius Menenius gegen uns alle nicht weit eher ein Vater und Freund als ein Gebieter? Giebt es ein besseres liebevolleres Herz?“

„Ja, er ist gütig . . . Ganz besonders gegen die Hübschen, Blonden und Blühenden . . .“

Die junge Sklavin warf ihm einen erstaunten Blick zu.

„Schäme Dich, Geticus! Das war ein häßlicher Scherz! Freilich, mir kommt es schon lange so vor, als hättest Du für das Glück, das uns die Götter in Lucius Menenius beschert haben, kein Verständnis. Die Gewohnheit stumpft ab, das Alltägliche scheint Dir notwendig. Aber so halte doch Umschau und erzähle mir dann, ob Du in ganz Rom noch ein einziges Haus findest, wo sich der Unfreie seines Mangels an Freiheit so wenig bewußt ist wie hier!“

„Nun, nun . . .“

„Schweig'! Du findest nicht eines! Wohl aber häufen sich letzthin wieder die Nachrichten von den abscheulichsten Grausamkeiten . . . Man schaudert, wenn man dergleichen nur hört! Bald ist ein unglückseliger Fußfolger, weil er den strauchelnden Herrn nicht rechtzeitig auffing, blutig gepeitscht und dann auf ein senfüberstreutes Laken gelegt worden, bald zerhackt man den Tafelbedienten in Stücke, weil ihm ein kostbares Murrha-Gefäß auf den Estrich fiel oder ein seltner Krystallbecher. Ach, und die elenden Feldsklaven, die bei Tage im glühenden Sonnenbrand stöhnen und keuchen, um dann bei Nacht in ihren halb unterirdischen Zwingern blöd an der Kette zu liegen wie tolle Hunde! Sind wir denn besser als diese Bejammernswerten? Haben wir Tugenden oder sonstige Vorzüge, die uns auf einen Gebieter wie Lucius Menenius ein Recht geben? Ich für mein Teil bescheide mich und erkenne mein Los – da ich nun doch einmal unfrei geboren bin – als ein unverdientes Geschenk der Unsterblichen an.“

„Afra,“ sagte der Sklave, „Du bist der verkörperte Widerspruch! Du schaust so entzückend klug aus Deinen Gazellenaugen und schwatzest so thöricht! Soll ich denn wirklich ob jeder Stunde, die ich hier ungeprügelt durchs Leben wandle, in helle Verzückung geraten? Mich dünkt, Menenius thut nur gerade, was sich gebührt; die andern aber sind Schufte. Uebrigens gar so huldvoll, wie Du ihn darstellst, ist er nun doch nicht. Mir zum Beispiel zeigt er nicht immer das lächelnde Mondgesicht, das Du ihm ansinnst.“

„Ich weiß,“ erwiderte Afra. „Aber Du selber bist schuld daran. Auch ein Vater darf streng sein ... Du mißbrauchst seine Güte ...“

„Ich? Wer behauptet das?“

„Menenius selbst. Ich hörte, wie er es vor einigen Tagen dem Leibarzt bemerkte. – Aber Du regst Dich auf! Komm, sei gut! Ich muß jetzt hinein und die Rosen in Wasser stellen. . . . Horch, da singen sie wieder den attischen Chorgesang! Misch’ Dich unter die Schar dieser Fröhlichen und vergiß Deinen Aerger! Beim Castor, es thut mir leid, wenn ich hier unwissentlich eine Wunde berührt habe . . .“

„Nein, bleib’!“ sagte er heftig. „Mit Deinen Rosen da hat’s noch Zeit!“

„Gut, ich bleibe, wenn Du nicht mehr so gespenstisch dreinschauen willst. Beruhige Dich doch! Es ist ja schauerlich, wie Du die Augen rollst! Das reine Gorgonenhaupt! Und Menenius war doch im Recht, wenn er Dich damals drei Tage lang hinter Schloß und Riegel behielt. Ja, ja, darauf bezog sich’s! Hätte der Leibarzt nicht mehrfach ein gutes Wort für Dich eingelegt, Du säßest vielleicht noch heute im Strafraum. Ueberhaupt kannst Du von Glück sagen. Der Stein fuhr unmittelbar am Kopfe des Gärtners vorbei, und der Oelbaum, dem Dein cyklopischer Wurf die Rinde bis auf das Holz abschälte, legt dafür Zeugnis ab, wie toll Du gewütet hast! Um ein Haar wärst Du zum Mörder geworden!“

„Wie gut Du in dieser Geschichte bewandert bist! Eins nur siehst Du nicht oder willst Du nicht sehen: daß mich der Gärtner gereizt hat. Und ich hasse den Kerl!“

„Ein vortrefflicher Grund! Wahrhaftig, es könnte mir vor Dir grauen. Anstatt Reue zu fühlen und den Göttern zu danken, daß sie Dein Opfer beschützten, rufst Du in störrischem Trotz: ,Ich hasse den Kerl‘!“

„Das thu’ ich auch,“ murmelte Geticus. „Und doppelt vielleicht, weil Du mir’s vorhältst! Er schaut mich jetzt immer so falsch von der Seite an! Und ich weiß, er verleumdet mich. Er hetzt den Menenius wider mich auf – er und noch andere! Zum Henker, ich wollte, der Steinwurf hätte ihn kalt gemacht!“

  1. Tischchen mit einem Fuße, Konsolentischchen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_682.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2023)