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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Nun hab’ ich genug,“ sagte das Mädchen empört. „Glaubst Du denn nicht an Jupiter und sein Rächeramt?“

„Pah! . . . Ich glaube daran. Aber ich weiß auch von dem ägyptischen Priester Selencius, daß man sich loskaufen kann.“

„Loskaufen? Wieso?“

„Die Tötung eines verhaßten Gegners zählt zu den Sünden, für die’s eine Buße giebt. Weißt Du denn nicht, daß selbst Orestes, der Muttermörder, zuletzt noch den Furien entging? Ein Drittel dessen, was man besitzt, auf den Altar der Allmutter Isis gelegt und vier Wochen Kasteiung – dann spricht Selencius den blutigsten Mörder frei.“

„Und das leuchtet Dir ein?“ frug Afra entsetzt.

„Vollkommen! Weshalb nicht? Der Priester muß es doch wissen! Er trägt die Vergebung in seiner Hand. Nur eine Unthat giebt es, die er nicht lösen kann: das ist der Meineid. Alles übrige tilgt er hinweg.“

„Warum just nicht den Meineid?“

„Sehr einfach. Wer da schwört und die oberste Gottheit zum Zeugen und Rächer anruft, der spricht wörtlich oder doch nach dem Sinne zu Jupiter: ‚Strafe, hetze, jage, verfolge mich jetzt und ewig, falls ich den Schwur nicht halte!‘ Die Gottheit aber nimmt diesen Vertrag an, und so ist sie denn unauflöslich gebunden, als hätte sie selber beim Styx geschworen.“

Afra starrte zu Boden.

„Wohl, das begreife ich,“ sprach sie nach langer Pause. „Aber das andere – nein! Auch der Mord hetzt und jagt uns in alle Ewigkeit. Erst wenn die Götter zu Fall kommen, sterben die Furien. Du hast den Priester wohl mißverstanden. Was überhaupt suchst Du bei diesem Selencius? Ich bin höchlich erstaunt . . .“

„Wenn Du schweigen willst . . .“

„Ich verspreche Dir’s.“

„Ich hab’ ihn besucht im Auftrag des jungen Menenius. Eine heikle Geschichte . . . Das entzückendste junge Weib war im Spiele. Du weißt, Cajus Menenius treibt es ein wenig bunt. Er ist jung . . .“

„Und dazu giebst Du Dich her? Du kennst die unerbittliche Strenge des Vaters und schämst Dich nicht, der strafbaren Thorheit des Sohnes Vorschub zu leisten?“

„Muß ich nicht? Er ist mein Gebieter.“

„Lucius Menenius ist Dein Gebieter. Aber es scheint, es lockt Dich mehr, mit dem Sohne zu freveln, als mit dem Vater ehrbar zu leben und pflichtgetreu.“

„Ja, begreifst Du denn nicht. . . . Wenn ich den Cajus verpflichte, so weiß ich bestimmt – er hat mir’s auf Handschlag versichert – daß er mir, eh’ noch zwei Jahre vergehen, bei Menenius die Freiheit erwirkt. Und dann – ach, himmlische Afra, laß uns doch endlich zur Sache kommen! Wir streiten uns hier um die Gaiswolle, wie es im Sprichwort heißt, und stöbern Geschichten auf, die doch mit dem, was mir im Herzen brennt, gar nichts zu thun haben! Endlich muß es heraus, obgleich Du mir’s wider alle Vernunft schwer machst. Schon im verflossenen Jahr, als wir auf dem albanischen Landgut zusammen die Feigen pflückten – weißt Du noch, hinter dem Hügel des Herakles, wo Du mit Deiner ganzen Last auf den Rasen fielst und so reizend wehklagtest, weil Du Dein helles Gewand fleckig gemacht – damals schon war es bei mir beschlossen: Afra, die Blühende, Blonde wird meine Lebensgefährtin! Ich sagte nur nichts, weil Du so kindlich thatest und so schwesterlich, daß mir der Mut ausging. Später kam dann die Reise dazwischen und anderes. Jetzt aber hast Du’s gehört – und nun leg’ ’mal die Rosen beiseite und schling’ mir die Arme recht fest um den Hals und gieb mir einen recht wonnigen Brautkuß!“

„Unmöglich!“ stammelte Afra erschrocken.

„Unmöglich? Waren wir nicht befreundet von Jugend auf? Und ich will Dich doch heiraten, denn ich liebe Dich wie ein Verrückter!“

„Schlimm, sehr schlimm!“

„So verschmähst Du mich?“

„Verschmähen, das klingt so hart. Aber – wie soll ich mich ausdrücken? – Wir passen nicht zueinander!“

„Weshalb nicht? Wenn Du mich lieb hast . . .“

„Du bist zwanzig Jahre, ich sechzehn. Wir Frauen verblühen so rasch. Für Dich paßt Lydia, die zwölfjährige, oder ein Mädchen, das jetzt noch ein Kind ist. Auf so eine warte!“

„Thorheit! Vier Jahre Unterschied, das ist vollauf genug. Zudem, wenn zwei Menschen sich lieben, wär’ es da nicht die blödeste Narrheit, das Glück von der Anzahl der Lebensjahre abhängig zu machen? Ich würde Dich heiraten, Afra, selbst wenn Du noch zehn Jahre älter wärest.“

„So muß ich Vernunft haben für uns beide. Nicht nur das Alter zieh’ ich hier in Betracht: auch sonst wären wir beide ein sehr ungleiches Paar. Cajus – Du hast es ja selber gesagt – will Dir demnächst die Freiheit erwirken. Ein Freigelassener und eine Sklavin – wie fügt sich das? Nein, Geticus, gieb den Gedanken auf! Und verarge mir’s nicht, daß ich so gerade heraus bin! Da, nimm hier die Rose als Friedens– und Freundschaftszeichen!“

Geticus packte das Mädchen über dem Handgelenk. Sein Mund zuckte. „Afra“ raunte er, tonlos vor Aufregung, „Du liebst einen andern!“

„Laß doch, laß!“ wehrte sie ängstlich. „Du zerdrückst mir ja fast den Arm! Willst Du wohl aufhören?“

„Nicht eher, als bis Du mir alles gebeichtet hast!“

„Fällt mir nicht ein! Laß mich los, Du gewaltthätiger Mensch, oder ich rufe um Hilfe!“

„So also steht’s mit Dir?“ murmelte Geticus totenbleich. „Elende Gauklerin! War ich Dir gleichgültig – weshalb thatest Du früher so schön mit mir?“

„Ich? Du bist wohl von Sinnen? Es scheint, Du verträgst es nicht, wenn man freundlich gegen Dich ist und harmlos mit Dir verkehrt wie mit den übrigen! Ich sage Dir, laß mich, oder ich schreie! Diesmal ergeht’s Dir schlecht! Menenius duldet nicht, daß man im Haus hier den Frieden bricht!“

„Gut, ich lasse Dich los! Aber das schwüre ich Dir beim allwissenden Jupiter: es geschieht ein entsetzliches Unglück, wenn Du nicht augenblicklich gestehst, wer Dich so in der Stille erobert hat! Ein feiner Geselle, dessen bin ich gewiß! Vielleicht gar ein Erlauchter – wie? Cajus Menenius hat ja ein weites Herz, und er sieht nicht auf Rang und Geburt, wenn eine Blüte ihm lockend erscheint.“

„Du irrst,“ versetzte sie frostig. „Der, den ich liebe, wird mein Gemahl werden. Ich bin kein Spielzeug für den Uebermut senatorischer Jünglinge.“

„Also – wer ist’s?“ forschte er drohend. „Früh oder spät erfahr’ ich’s ja doch – und dann erwürg’ ich den Buben! Beim Jupiter, dem Rächer der Meineide, schwör’ ich Dir heilig zu: sprichst Du jetzt nicht und ich hör’ es demnächst von andern, so stirbt er durch meine Faust!“

Afra war blaß geworden. Sie überlegte. „Wohl!“ sagte sie zögernd. „Wenn Du mir bei dem nämlichen Jupiter schwörst, nie und nirgends wider den Mann meiner Wahl die Hand zu erheben, ja mehr noch, mit keiner Silbe ihn merken zu lassen, daß Du um unser Geheimnis weißt, so will ich Dir’s offenbaren. Anderenfalls tret’ ich noch heute vor unsern Herrn und fleh’ ihn um Schutz an. Lucius Menenius ist mild, aber den Frevler, der uns hier offen Gewaltthat und Mord ankündigt, wird er nicht schonen. Er verkauft Dich vielleicht nach Sardinien. Vertraure Dein Leben dann in den Bergwerken!“

„Afra!“ stöhnte der Sklave, zurückprallend. „Ich vergehe vor Liebe und Du drohst mir den Untergang!“

„Nur aus Not.“

Er wandte sich ab. Dann plötzlich wieder an sie herantretend, sprach er mit heiserer Stimme: „Also ich schwöre.“

„Nicht so!“ wehrte ihm Afra. „Leiste den förmlichen Eid! Rufe Du für den Fall, daß Du ihn brichst, den Zorn der allwissenden Gottheit auf Dich herab und den Fluch der Rastlosigkeit bis zum Tage des Weltuntergangs! Du weißt, was dieser Schwur zu bedeuten hat!“

Geticus, nur von dem einen Gedanken erfüllt, in dieser Minute noch zu erfahren, wer ihm bei Afra den Rang abgelaufen, sträubte sich nicht. Afra sprach ihm die Worte vor und er, die Rechte zum Himmel hebend, wiederholte sie eintönig.

„So!“ keuchte er, als er zu Ende war. „Du hast Deinen Willen gehabt . . . Und nun der Wahrheit gemäß – wer ist’s?

Afra drückte ihr Antlitz tief in die Rosen.

„Ninus!“

Ein wildes Gelächter scholl von den Lippen des Geticus. „Ninus!“ wiederholte er mit gemachter Geringschätzung. „Der Grieche! Der Kleinasiate! Der Halbbarbar! Vor kaum drei Monaten hat ihn Lucius Menenius gekauft, und nun bist Du schon eins mit ihm! Und so ganz ohne Aufsehen, still und geheim, wie’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_683.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2023)